Michael Rothe
Dresden. Was macht eigentlich? … so sind in einschlägigen Magazinen oft Nachfragen zum Befinden von Prominenten überschrieben, von denen die Öffentlichkeit lange nichts gehört hat. Auch Dinge geraten mitunter in Vergessenheit – selbst, wenn sie mal viel Staub aufgewirbelt haben. Wie zwei Initiativen, die beitragen sollten, Sachsen zu einem „Land guter Arbeit“ zu machen: die Novelle des Vergabegesetzes und ein Bildungsfreistellungsgesetz.
Am 12. August 2024 hatte ein Bündnis von mehr als 60 Parteien und Organisationen 55.628 Unterschriften an Sachsens damaligen Landtagspräsidenten Matthias Rößler (CDU) übergeben. Die Unterzeichner fordern ein Gesetz, das Beschäftigten auch im Freistaat fünf Tage bezahlte Weiterbildung garantiert – so wie in den meisten anderen Bundesländern.
Und was hat sich in den vergangenen fast sieben Monaten getan? „Wir haben Ende Januar vom Landtagspräsidenten ein Schreiben erhalten, dass die Voraussetzung von mehr als 40.000 Unterschriften für den Volksantrag erfüllt ist“, sagt Sachsens stellvertretende DGB-Vorsitzende Daniela Kolbe auf Anfrage dieser Zeitung. Mit der Veröffentlichung im Amtsblatt sei der Antrag im parlamentarischen Verfahren, so die Gewerkschafterin, auch Gesicht der Initiative.
Landtag muss sich mit Volksantrag befassen
Rößlers Nachfolger, Landtagspräsident Alexander Dierks (CDU), habe nach Prüfung entschieden, dass der Volksantrag „sowohl in formaler Hinsicht als auch in der Sache verfassungsgemäß und damit zulässig ist“, heißt es auf Anfrage vom Landtag. Eine erste Beratung finde „gegebenenfalls in einer der nächsten Plenarsitzungen am 26. beziehungsweise 27. März statt“. DGB-Vize Kolbe erwartet, dass sie dann als Vertrauensperson der Initiative im Plenum sprechen darf.
Zur Aussprache komme es, wenn sie von einer Fraktion oder von sechs Abgeordneten verlangt werde, heißt es von der Pressestelle des Landtags. „In der Regel wird ein durch Volksantrag eingebrachter Gesetzentwurf innerhalb von fünf Monaten nach Veröffentlichung im Amtsblatt abschließend behandelt.“ Deshalb müsste sich das Plenum „spätestens im Juni“ abschließend mit dem Thema befassen.
Warum sollte Sachsen übernehmen, was nachweislich nicht funktioniert? – Lars Fiehler, Geschäftsführer der IHK Dresden
Im Koalitionsvertrag der Minderheitsregierung von CDU und SPD steht: „Mit einem Qualifizierungszeitgesetz verankern wir das Recht der Beschäftigten ab 1. Januar 2027 auf drei Tage bezahlte Freistellung im Jahr.“ Das sei angesichts des bisherigen Widerstands der Christdemokraten „ein beachtlicher Teilerfolg“, heißt es vom DGB. Das Bündnis halte aber weiter an den geforderten fünf Tagen fest. Es ist sei nicht begründbar, warum Beschäftigte in Sachsen zwei Tage weniger bekommen sollen als anderswo.
Meist fünf bezahlte Tage zur Weiterbildung
Bei dem Gesetz gehe es nicht nur um Know-how für Unternehmen, argumentieren die Initiatoren, sondern auch um Trainer in 4500 Sportvereinen, Vertrauensleute in Betrieben und bis hin zur Freiwilligen Feuerwehr. Mit Ausnahme von Bayern und Sachsen haben alle Bundesländer so ein Gesetz für meist fünf bezahlte Arbeitstage im Jahr. Es erlaubt berufliche, kulturelle und politische Weiterbildung oder eine Qualifizierung für ehrenamtliche Arbeit. Teils gilt es ab einer Betriebsgröße von fünf, zehn oder 20 Leuten. Der Antrag kann verwehrt werden, wenn Betriebserfordernisse entgegenstehen. Und: Urlaub anderer hat Vorrang.
Dass es angesichts der Sitzverteilung im Vorfeld eine Abstimmung mit der Opposition braucht, sieht Gewerkschafterin Kolbe positiv. Mit Grünen und Linken seien neben der SPD zwei Oppositionsparteien Teil des Bündnisses. Auch das BSW habe die Initiative befürwortet, obwohl davon nichts in dessen Wahlprogramm zu lesen sei. Auf Unterstützung durch die Christdemokraten können die Initiatoren nicht bauen, denn die sehen einen Eingriff in die unternehmerische Freiheit. Auch hätten die Arbeitgeber nur begrenzt Einfluss auf Inhalte, heißt es. Fehltage gingen auf Kosten des Ertrags.
Ob es zum Gesetz kommt, ist offen. Die Befürworter hoffen auf ein Déjà-vu: Vor der Landtagswahl 2019 waren gut 50.000 Unterschriften für längeres gemeinsames Lernen in Schulen Basis dafür, dass SPD und Grüne der CDU die Bildung von Gemeinschaftsschulen abringen konnten.
Vergabegesetz seit zwei Jahren in der Schublade
Sogar gut zwei Jahre liegt ein Entwurf zur Novelle des sächsischen Vergabegesetzes in der Schublade. Auch dort haben Sachsen und Bayern ein Alleinstellungsmerkmal gegenüber dem übrigen Bundesgebiet, wo es ökologische und soziale Bedingungen für lukrative öffentliche Aufträge gibt – inklusive Mindestlohn.
Vor fast genau einem Jahr hatte Ex-Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) erklärt, dass er den Gesetzentwurf, solange er noch geschäftsführend im Amt sei, in den Landtag einbringen werde. Nach damaligem Stand sollten Dienstleistungen im öffentlichen Nahverkehr nur noch an Firmen vergeben werden, die Mindestarbeitsbedingungen und Löhne repräsentativer Tarifverträge einhalten. Ansonsten sollte ein vergabespezifischer Mindestlohn laut Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes der Länder von derzeit 2611,86 Euro im Monat gelten.
Zu „Kann-Kriterien“ zählten die Einhaltung von Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation, Ausbildung, Beschäftigung von Langzeitarbeitslosen und Schwerbehinderten. Nur der Bestbieter müsste vor dem Zuschlag Belege vorlegen. Und Kommunen, deren Vergaben gut die Hälfte der jährlich knapp drei Milliarden Euro ausmachen, sollte die Anwendung des Gesetzes lediglich empfohlen werden.
„Das Gesetz ist klar im Koalitionsvertrag verankert, und beiden Partnern ist klar, dass es in dieser Legislatur kommen muss“, heißt es aus dem Wirtschaftsministerium. Anvisiert sei „die erste Hälfte der Regierungszeit“. Das Gesetz werde mit Blick auf die Haushaltsverhandlungen aber „nicht mit Priorität behandelt“. Eine Änderung der Vorlage von vor zwei Jahren steht bereits im Koalitionsvertrag. Demnach soll der Vergabemindestlohn nur noch „15 Prozent über dem gesetzlichen Mindestlohn zum 1. Januar 2027″ liegen. Das wären nach DGB-Angaben rund 2530 Euro im Monat.
Wirtschaft: zu teuer, zu viel Bürokratie
Ginge es nach der Wirtschaft, könnten beide Gesetze ewig auf sich warten lassen. Kammern und Verbände begründen das mit Mehrkosten und zusätzlicher Bürokratie. Das belegten die Quoten anderswo, heißt es von der Dresdner Industrie- und Handelskammer. Bildungsurlaub gebe es seit den 1970ern, sagt Geschäftsführer Lars Fiehler. Dennoch nutzten ihn bundesweit kaum drei Prozent.
„Warum sollte Sachsen übernehmen, was nachweislich nicht funktioniert?“, fragt Fiehler. „94 Prozent der sächsischen Unternehmen haben weniger als zehn Mitarbeiter. Ist einer krank, einer im Urlaub, einer im Bildungsurlaub, fehlt schnell ein Drittel der Belegschaft“, argumentiert Fiehler. Um die Gefahr für kleine Betriebe zu minimieren, habe etwa Baden-Württemberg eine Mindestgrenze definiert. Das Gesetz gelte dort ab elf Beschäftigten. Das bedeute, der Freistaat bekäme ein Gesetz, das für nur sechs Prozent der Firmen gelten würde.
Sachsens Handwerkstag lehnt ein Recht auf Bildungsurlaub ebenfalls ab. Das sei für die Betriebe, zumal in Zeiten von Personalmangel, nicht leistbar, sagt Uwe Nostitz, Präsident jener Dachorganisation der Kammern und Verbände.
Auch bei zu den öffentlichen Aufträgen sind sich Kammern und Verbände einig: Sachsen brauche ein schlankes Gesetz ohne ideologischen Ballast – und das gebe es bereits. Ein Mindestlohn und andere „vergabefremde Kriterien“ gehörten dort nicht hin. Die Lobbyisten vertrauen auf ein von Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) gegebenes Versprechen, kein Gesetz gegen die Interessen der Wirtschaft zu verabschieden.
SZ