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Woher kommt in Zukunft unser Obst, Frau Scharff?

Kaum ein Apfel hat die Frostschäden überlebt. Der Klimawandel macht dem sächsischen Obstbau zu schaffen. Was zukünftig in Sachsen wächst und warum wir über Gentechnik nachdenken sollten, erklärt Wissenschaftlerin und Obstbäuerin Claudia Scharff.

Lesedauer: 4 Minuten

Man sieht Claudia Scharff, Geschäftsführerin des Obstbauunternehmens und der Früchteverarbeitung in Sohra
Claudia Scharff ist Geschäftsführerin des Obstbauunternehmens und der Früchteverarbeitung in Sohra. Sie vertritt gleichzeitig die Professur für Obstbau an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Dresden. © ronaldbonss.com

Von Luisa Zenker

Mit einem Futtereimer läuft Obstbäuerin Claudia Scharff über die Wiese. Ein braunes, ein schwarzes und ein weißes Alpaka sind ihr dicht auf den Fersen. Claudia Scharff schaut sie schelmisch an. Das Braune guckt frech zurück und stupst mit der Nase an den Futtereimer. Eigentlich ist Claudia Scharff nicht wegen der Tiere hier draußen, sondern wegen der Bäume. Die 39-Jährige betreibt bei Sohra im Landkreis Mittelsachsen auf knapp 5 Hektar einen Obstbaubetrieb. Äpfel, Birnen, Pflaumen wachsen auf der Wiese. Manche Blüten davon sind braun, die Blätter sind eingerollt.

Sie vertritt die Professur für Obstbau in Pillnitz

„Es wird immer extremer“, sagt Claudia Scharff und nimmt eine Blüte zwischen die Hände. Sie meint damit zweierlei: das Wetter und die Lage der Obstbauern. „Der sächsische Obstbau kämpft ums Überleben.“ Die 39-Jährige kann das gut beurteilen, denn neben Obstanbau, Saft- und Konfitürenverarbeitung sowie Hofladen, hält sie noch Vorlesungen für Gartenbau-Studierende. An der Professur für Obstbau in Dresden-Pillnitz bereitet die Dozentin die jungen Menschen auf den zukünftigen Job vor. Und der wird in Zukunft nicht leicht sein, weiß Scharff und holt einen Stapel Papiere hervor.

Sie zeigt auf ein Diagramm. Die Blütezeit hat sich in den vergangen 60 Jahren, um zwei Wochen nach vorne verschoben. In diesem Jahr blühten die Obstbäume einen Monat früher als normal. Dann kam der Spätfrost Ende April, mit Minus sieben Grad. Die Süßkirsche ist deshalb beinahe komplett erfroren. Beim Apfel rechnet der Obstbauverband mit einem Ernteausfall zwischen 50 und 100 Prozent.

Den entstandenen wirtschaftliche Schaden könne man noch nicht beziffern, heißt aus dem Landwirtschaftsministerium. Sachsens Weinbauern hatten nach den Frostnächten im April von einem Schaden in Höhe von 15 Millionen Euro gesprochen, die Obstbauern hatten die Schadenssumme allein bei Steinobst insgesamt auf 50 bis 70 Millionen Euro geschätzt.

„Der Obstbau hat es schwer“, sagt Scharff. Extreme Trockenheit, die Konkurrenz mit anderen Ländern, die starken Nachtfröste im Frühjahr, die Ausbreitung der Schädlinge durch die milden Winter, der Preisdruck vom Einzelhandel, die aufwendige Handarbeit, der steigende Mindestlohn, zählt Scharff auf. „Es kann sein, dass wir dieses Jahr kaum sächsische Äpfel kaufen können.“ Und wenn dann werden sie wohl teurer und krummer sein, prognostiziert die Wissenschaftlerin.

Der Obstbau muss sich dem Klimawandel anpassen

Doch woher kommt dann das Obst? „Das ist die Frage. Das Alte Land in Hamburg und der Bodensee haben es nicht so hart getroffen. In Polen hatte man auch mit den Frösten zu kämpfen. Südeuropa hat mit der Trockenheit zu tun.“ Die Statistik zeigt: In den vergangenen Jahren kamen die meisten importierten Äpfel in Deutschland aus Italien, Polen und den Niederlanden. Zu den zehn wichtigsten Apfellieferanten für Deutschland zählen zudem Chile, Neuseeland und Südafrika. Sächsisches Obst dürfte dieses Jahr kaum im Einzelhandel vertreten sein, so Scharff, das könnte auch Folgen für die nächsten Jahre haben, weil die Obstbauern aus der Listung fallen. Viele Bauern fordern jetzt staatliche Hilfen. Das Ministerium prüft derzeit Unterstützungsmöglichkeiten, aber die dauern länger als drei Frostnächte.

Claudia Scharff weiß, dass es mit einer einmaligen Unterstützung nicht ausreicht. Der Obstbau müsse sich den Wetterextremen anpassen. Studien zeigen , dass die Extreme durch den Klimawandel normal werden. Es ist ein Teufelskreis, mildere Winter führen zu einer früheren Blütezeit, doch die Spätfröste werden extremer und schädigen die Pflanzen. Reicht es da, wie bisher Kerzen anzuzünden?

Die Obstbäuerin schüttelt den Kopf, sie lehrt ihren Studenten viele Maßnahmen, um die Pflanzen vor dem Frost zu schützen: Feuer, Frostberegnung, Luftverwirbelungsmethoden. Die technischen Maßnahmen seien aber auf der Fläche zu teuer. Allein 6.000 Euro pro Hektar koste es einen Obstbauern, eine Nacht lang Kerzen aufzustellen.

Gentechnik als mögliche Lösung

Claudia Scharff hält es für notwendig, über gentechnisch veränderte Pflanzen nachzudenken. „Die Züchtung neuer Sorten braucht zu lange. 10 bis 15 Jahre.“ Das sei zu spät angesichts des Klimawandels. Die Gentechnik könne schneller reagieren und spätblühende resistente Pflanzen entwickeln. In den USA seien gentechnisch veränderte Obstsorten erlaubt. Die Wissenschaftlerin hält die strikte Ablehnung in Deutschland für falsch.

Solange es wissenschaftlich begleitet werde, könnten gerade im Bioanbau gentechnisch veränderte Pflanzen helfen, um weniger Pflanzenschutzmittel einzusetzen. Denn mit den milderen Wintern breiten sich Schädlinge, wie Blattläuse, Apfelblütenstecher, Mehltau und Mäuse mehr aus. Claudia Scharff baut ihre Pflanzen biologisch zertifiziert an und ist ständig auf der Suche, um gegen die Schädlinge vorzugehen, denn die Mittel im Bioanbau sind begrenzt.

Ein paar Blüten hat der Apfelbaum von Claudia Scharff noch. Ende Mai können die Obstbauern einschätzen, wie stark die Schäden waren und wie teuer der Apfel sein wird.
© ronaldbonss.com

Kirschen und Pflaumen wird es zukünftig weniger geben

Die Dozentin für Obstbau führt auf einen Hügel. Eine Allee mit Wildobstbäumen rahmt die Hangseite. „Alte Obstsorten können resistenter sein.“ Die langjährigen Züchtungen von Industrieäpfeln wie Pink Lady haben dazu geführt, dass die Früchte größer werden, aber auch anfälliger, erläutert sie. Ihr gegenüber stehen Aronia-Sträucher in Reih und Glied. Ihnen hat der Frost wenig angetan. An den Johannisbeeren dagegen hängt kaum eine Frucht am Ast. Den Stachelbeeren am anderen Ende der Wiese gehe es besser. „Vielfalt“ – das ist das Stichwort für Scharff. Der Obstbau werde in Zukunft auf mehrere Sorten setzen müssen, um zu überleben. Dennoch: eines wird es wohl in Zukunft weniger geben: „Steinobst, wie Süßkirsche, Pflaume, Sauerkirsche – sie haben es schwer.“ Auch Pfirsich oder Orange wird es hier nicht großflächig geben, weil die Nachtfröste im Frühjahr zu extrem seien. Sie rechnet damit, dass sich Obstregionen vielmehr verlagern werden, nach Skandinavien. In Sachsen könnte der Obstbau in Richtung Erzgebirge ziehen, wo in höheren Lagen die Blütezeit später beginnt.

Fotovoltaik, Tourismus, Smart Farming als Zukunft für den Obstbau

Claudia Scharff läuft zurück zum Hof. Am Wochenende hat sie ein Hoffest organisiert. Um vier Uhr am Nachmittag war der Kuchen leer, weil es so einen großen Andrang gab. „Ich finde es wichtig, dass unsere Kunden uns kennen.“ Gartenbesitzer können auf ihrem Hof, selbstgemachten Saft pressen. Am Eingang wirbt der Dreiseithof mit vier Ferienwohnungen. Claudia Scharff sieht darin die Zukunft für den Obstbau: Es mehrere Standbeine. Energiegewinnung über Fotovoltaik auf dem Feld, Tourismus, Smart Farming. Im vergangenen Monat flogen Drohnen über die Felder von Scharff, um die Blattqualität zu messen. Sie arbeitet mit zahlreichen Forschungseinrichtungen zusammen, experimentiert mit Blaulicht bei der Lagerung und Mikrowellen bei der Trocknung für Tee. Die Wissenschaftlerin und Obstbauerin hat viele Wege gefunden. Doch sie weiß, dass viele Obstbauern in einer schwierigen wirtschaftlichen Situation stecken, die vergangenen Trockenjahre haben dazu beigetragen. Die Anbaufläche sinkt in Sachsen stetig, weil obstbauern aufhören oder ihre Flächen auf Getreideanbau umrüsten, erklärt Claudia Scharff. Das braune Alpaka schaut von der Obstwiese zu dem Hof rüber. Es ist Rasenmäher und Kinderliebhaber gleichzeitig. Äpfel mag es aber nicht.

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