Von Ulrich Wolf & Tobias Winzer
Dresden. Angesichts der aktuell stagnierenden wirtschaftlichen Entwicklung und dem Mangel an Fachkräften gerät das Geschäftsmodell der Zeitarbeitsfirmen unter Druck. Wie Zahlen der Arbeitsagentur Sachsen und des Statistischen Landesamtes zeigen, geht die Zahl der Personaldienstleister zurück. Die Zahl der Insolvenzen in der Branche erreicht in diesem Jahr voraussichtlich einen Rekordwert.
Demnach gab es zum Stand Juni 2023 noch exakt 785 Zeitarbeitsfirmen in Sachsen. Die Zahl der Betriebe ist seit 2017 konstant rückläufig. Ein Hoch erreichte die Branche im Jahr 2012, als die Arbeitsagentur 966 Zeitarbeitsfirmen im Freistaat zählte. Das Geschäftsmodell, bei der der Arbeitnehmer dem Entleiher gegen eine Gebühr überlassen wird, schien damals zu florieren.
Bereits doppelt so viele Insolvenzen wie 2023
Der nachfolgende Rückgang ist zum einen mit Fusionen und altersbedingten Geschäftsaufgaben, zum anderen aber auch mit Insolvenzen zu erklären. Nach Zahlen des Statistischen Landesamts gab es im ersten Halbjahr 2024 bereits 14 Pleiten bei Zeitarbeitsfirmen. Zum Vergleich: Im gesamten vergangenen Jahr gab es in der Branche sieben. Ähnlich hohe Zahlen wie dieses Jahr wurden zuletzt in den Jahren 2013 und 2014 mit jeweils 19 Insolvenzen gemeldet.
Generell nutzen Unternehmen Zeitarbeit, um Auftragsspitzen abzudecken. Sie kann außerdem für junge Menschen ohne Berufserfahrung, Langzeitarbeitslose, Menschen mit Handicap oder auch Geringqualifizierte eine Brücke zu einem festen Job sein. Zugleich hat Zeitarbeit einen schlechten Ruf, weil viele Menschen, die in Zeitarbeit tätig sind, nur geringe Löhne bekommen.
Zu den erst kürzlich zahlungsunfähig gewordenen Personaldienstleistern zählt die Dresdner HR Success Management GmbH. Ralf Hage von der Kanzlei DMP-Solutions, der als Verwalter die vorläufige Insolvenz betreut, sieht im Arbeitskräftemangel den Hauptgrund für den Anstieg der Pleiten in der Branche. Allerdings sei in seinem konkreten Fall ein „drastischer Auftragseinbruch in den letzten Monaten“ die wesentliche Ursache für die Zahlungsunfähigkeit gewesen.
Nicolas Rebel vom Dresdner Büro der internationalen Wirtschaftskanzlei White & Case berichtet, der Mangel an Fachkräften spiele bei Zeit- und Leiharbeitsfirmen eine große Rolle. Deren Rekrutierung führe zu einem „erheblichen Zeit- und Arbeitsaufwand“. Potenzielle Arbeitnehmer erschienen nicht zu Vorstellungsgesprächen oder kämen einfach nicht zum vereinbarten Arbeitsbeginn. Dieses Verhalten sei wohl im Wesentlichen darauf zurückführen, dass die Leiharbeiter ihre Tätigkeit „häufig nur als Zwischenlösung ansehen“; sie identifizierten sich daher nicht mit den jeweiligen Arbeitgebern. Rebel verwaltet das Vermögen der insolventen Montageservice Berthold GmbH in Großröhrsdorf im Landkreis Bautzen. Auslöser dieser Pleite waren nach seinen Angaben „kurzfristige und nicht vorhersehbare Auftragseinbrüche“.
Auch der Leipziger Wirtschaftsjurist Tobias Hohmann, der für die Insolvenz der Chemnitzer Albrecht Service Holding GmbH eingesetzt ist, sieht Personaldienstleistungs-Unternehmen verstärkt von Pleiten betroffen. In vielen Branchen sei „kaum noch geeignetes Personal“ zu finden, die Fluktuation auf dem Arbeitsmarkt habe ein Rekordniveau erreicht. Zudem berichteten ihm Geschäftsführer betroffener Firmen, dass auch politische Entscheidungen das Geschäft erschwerten, etwa die seit 2017 geltende Höchstüberlassungsdauer von 18 Monaten.
Nur noch jeder 50. Sachse ist ein Zeitarbeiter
Zahlen belegen, dass mit dem Rückgang der Zeitarbeitsfirmen auch immer weniger Menschen für Personaldienstleister arbeiten. Nach aktuellen Hochrechnungen der Arbeitsagentur vom Mai 2024 sind 33.100 Frauen und Männer in Sachsen in der Zeitarbeit. Das sind 3.000 weniger als vor einem Jahr. Heißt: Jeder 50. Mitarbeiter in Sachsen ist derzeit in der Zeitarbeit tätig. Die höchste Beschäftigungsanzahl hatte die Zeitarbeit im Jahr 2017: Damals gab es rund 52.000 Zeitarbeiter in Sachsen. Bis 2018 hielt die Beschäftigungssituation an, bevor es in den vergangenen Jahren deutliche Rückgänge gab. Die meisten Zeitarbeiter sind in der Verkehrs- und Logistikbranche, also beispielsweise bei Paketdienstleistern oder Speditionen, beschäftigt.
Frank Vollgold, Sprecher der Arbeitsagentur in Sachsen, sagt, in Folge des Ukraine-Krieges und deren Auswirkungen seien die wirtschaftlichen Risiken und Unsicherheiten hoch. „Das wirkt sich nicht nur auf die verhaltene Einstellungsbereitschaft der Unternehmen aus, sondern führt in einigen Branchen auch zu Beschäftigungsrückgängen – auch in der Zeitarbeit.“ Er bezeichnet die Zeitarbeit als „Frühindikator für die Entwicklung am Arbeitsmarkt“. Wenn Unternehmen wegen der schwächelnden Konjunktur keine Auftragsspitzen haben, die mit flexiblem Personal abzuarbeiten sind, haben Zeitarbeiter weniger zu tun und Zeitarbeitsfirmen ein schlechteres Geschäft.
Wolfram Linke, Sprecher des Gesamtverbands der Personaldienstleister, nennt zudem den Fachkräftemangel als Grund für die Probleme der Branche. „Neben einer möglichen nachlassenden Nachfrage aus den Kundenunternehmen kann auch der zunehmende Fachkräftemangel ursächlich sein, unter dem ja auch die Zeitarbeitsfirmen leiden“, sagt er. Die Unternehmen seien in erster Linie regional aufgestellt. „Stagniert dann vor Ort bei einem Kunden die Nachfrage, leidet dann in erster Linie das Zeitarbeitsunternehmen darunter, über das der Kunde externe Mitarbeiter anfragt. Herrscht in Sachsen also eine Wirtschaftskrise, sind auch die örtlichen Zeitarbeitsunternehmen zwangsläufig davon betroffen.“