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Zwangsversteigerungen in Sachsen nehmen deutlich zu

Der Freistaat stellt drei der fünf Städte mit den meisten Terminen bei Amtsgerichten. Die häufigsten Notverkäufe entfallen auf Ein- und Zweifamilienhäuser. Auf die Erwerber warten Schnäppchen – und Risiken.

Lesedauer: 3 Minuten

Michael Rothe

Dresden. Nach jahrelangem Rückgang nehmen die Zwangsversteigerungen in Sachsen wieder deutlich zu. Der Immobiliendienstleister Argetra, Marktführer für Versteigerungsdaten in Deutschland, zählte im Freistaat bis Ende Juni 427 Termine – gut fünf Prozent mehr als im ersten Halbjahr 2024. Das Plus liegt noch über dem bundesweiten Anstieg. Bezogen auf 100.000 Einwohner rangiert Sachsen mit 20 Terminen im Mittelfeld.

Laut dem Wirtschaftsverlag mit Sitz im nordrhein-westfälischen Ratingen entfallen mehr als zwei Drittel der Notverkäufe auf Wohnimmobilien und fast die Hälfte davon auf Ein- und Zweifamilienhäuser. Die Agentur wertet die Daten von mehr als 500 Amtsgerichten aus.

Böses Erwachen nach der Umschuldung

Sechs der insgesamt 25 Gerichte in Sachsen führen auch tatsächlich Zwangsversteigerungen durch. Alle sechs rangieren den Angaben zufolge unter den 40 Standorten mit den meisten Zwangsversteigerungsterminen. In der von der Bundeshauptstadt Berlin mit 189 Terminen angeführten Liste rangieren mit Chemnitz (101), Leipzig (95) und Zwickau (78) gleich drei sächsische Städte unter den „Top-5″ – dazwischen München auf Platz drei. Dresden, Görlitz und Bautzen folgen auf den Plätzen 10, 17 und 39.

Die Entwicklung ist regional unterschiedlich. Während es in Chemnitz, Dresden und Görlitz deutlich mehr Zwangsversteigerungen gab als im gleichen Vorjahreszeitraum, gingen sie an den drei anderen sächsischen Amtsgerichten zurück. Dort war die Zahl der Termine bis Ende 2022 wegen guter Konjunktur, niedriger Zinsen und weniger Zahlungsausfällen von Kreditnehmern gut ein Jahrzehnt lang rückläufig.

Wer vor zehn Jahren mit wenig Eigenkapital und geringer Tilgung einen Kredit aufgenommen hat, stößt beim derzeitigen Zinsniveau an seine Grenzen.

Ernes Shabani

Verlagsleiter und Prokurist bei der Argetra GmbH

Danach kamen wegen explodierender Energie- und Mietpreise sowie einer hohen Zahl an Privatinsolvenzen wieder mehr Immobilien zwangsweise unter den Hammer. Der Trend hat sich nun verfestigt. Neben steigenden Lebenshaltungskosten und zunehmender Arbeitslosigkeit nennt Argetra-Verlagsleiter Ernes Shabani anstehende Umschuldungen als Hauptursache.

„Wer vor zehn Jahren mit wenig Eigenkapital und geringer Tilgung einen Kredit aufgenommen hat, stößt beim derzeitigen Zinsniveau an seine Grenzen“, sagt der Experte. Die Zinsen seien mit 3,6 und mehr Prozent über zehn Jahre zwei- bis dreimal so hoch wie damals.

Nur jede zweite Immobilie kommt unter den Hammer

35 Prozent vom Nettoeinkommen sollten für die monatliche Rate reichen, lautet eine Faustformel. „Doch das ist in den wenigsten Haushalten der Fall“, so Shabani. Auch habe manche Finanzierung mit zehn Prozent Eigenkapital schon bei Vertragsabschluss auf wackeligen Beinen gestanden. Die lange Zeit üblichen 20 Prozent würden nur noch wenige aufbringen. Der Prokurist geht von einem weiteren Anstieg der Zwangsversteigerungen bis zum Jahresende aus: auf rund 14.500 bundesweit.

Laut Argetra GmbH landet nur die Hälfte der eröffneten Zwangsverfahren im Gerichtssaal. Der Rest werde zuvor freihändig verkauft, heißt es. Klamme Eigentümer würden ihre Immobilien oft selber veräußern, ehe Banken die Zwangsversteigerung beantragen – in etwa jedem fünften Fall auch für eine Eigentumswohnung.

Nachteil: Objekte können nicht besichtigt werden

Angesichts hoher Immobilien­preise sind Zwangs­versteigerungen andererseits eine Möglich­keit, günstig an ein Haus oder eine Wohnung zu kommen. Laut Onlineplattform Dein-Immocenter beträgt der mittlere Verkehrswert einer Immobilie unter Zwangsversteigerung in Sachsen 57 Prozent der Angebotspreise im Internet. Das sei einer der bundesweit niedrigsten Werte, sagt Geschäftsführer Thomas Mahn.

Auch entfällt die übliche Maklerprovision von drei bis sechs Prozent, und es liegt immer das Wertgutachten eines neutralen Sachverständigen vor – kostenfrei, was sonst eher die Ausnahme ist. Zudem sind die Zuschlaggebühren niedriger als die Kosten für die notarielle Beurkundung eines freihändigen Verkaufs. Die Immobilie ist frei von finanziellen Belastungen der Vorbesitzer und der Aufwand im Vergleich zu einem Neubau geringer und kalkulierbar.

Allerdings fallen Kosten an wie die Grunderwerbssteuer – in Sachsen derzeit 5,5 Prozent vom Kaufpreis – und für den Eintrag ins Grundbuch, abhängig vom amtlichen Schätzwert. Der größte Nachteil: Die Objekte können oft nicht vorab besichtigt werden. Schuldner und Mieter sind nicht dazu verpflichtet. Außerdem gibt es keinerlei Gewährleistung für Baumängel oder Altlasten. Der Höchstbietende kauft die Immobilie so, wie sie ist – etwaige Scherereien bei der Räumung inklusive.

SZ

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