Suche

Suche

Das Grüne Gewölbe von Sachsens Industrie

Das Industriemuseum Chemnitz ist ein Kleinod, steht aber noch im Dresdner Schatten. Das soll sich ändern – auch mit dem Rückenwind von Europas Kulturhauptstadt 2025.
Lesedauer: 3 Minuten
Ein Mann mit Handschuhen steht neben einem Ausstellungsstück.
Museumsleiter Jürgen Kabus hat auch ein Lieblingsstück: den filigranen Jubiläumspokal der Chemnitzer Wanderer-Werke von 1915. Foto: Thomas Kretschel

Von Michael Rothe

Der spinnt, der Hartmann! Im Untergeschoss des Industriemuseums Chemnitz sitzt er an einem Tretspinnrad von 1890 und hat sichtlich Spaß, staunenden Besuchern die Textilgeschichte Sachsens näherzubringen. Frank sieht sich schon wegen seines Namensvetters in der Pflicht: Richard Hartmann (1809 -1878) gilt als Symbolfigur der Industrialisierung und Prototyp einer ganzen Unternehmergeneration im damaligen „sächsischen Manchester“. Der Elsässer kam 1832 nach Chemnitz und wurde dort Sachsens „Lokomotiven-König“.
Ein Dampfross der Baureihe 98 aus der Sächsischen Maschinenfabrik, vormals Richard Hartmann, huldigt dem prominenten Chemnitzer im Erdgeschoss. Das Teil von 1910 ist nicht das einzige Highlight. Einzigartige Stücke wie eine Dampfmaschine von 1896 sind zu sehen, ebenso eine Sammlung von DKW-Autos und -Motoren. Zu besichtigen sind auch weit jüngere Industrieroboter, der Elektro-BMW i3 und der 3 D-Drucker Trikarus – in Summe fast 30.000 Exponate in 21 Themenfeldern – von Schreib-, Rechen- und Nähmaschinentechnik bis zur Bergbau- und Gießereigeschichte.
Die Schau ist Teil des Sächsischen Industriemuseums, einem Verbund mit drei weiteren Erlebniswelten: der Zinngrube Ehrenfriedersdorf, der Energiefabrik Knappenrode, der Tuchfabrik Gebr. Pfau in Crimmitschau. Die denkmalgeschützte Gießerei- und Montagehalle der Hermann & Alfred Escher AG von 1907 stand nach der Stilllegung 1982 leer. Die Wende in der DDR verhinderte ihren Abriss. 2000 begannen Umbau und Sanierung. 2003 dann die Eröffnung, auch mit Teilen einer seit 1992 existierenden kleineren Ausstellung im Süden der Stadt.
Damals hatten Idealisten mit einem alten W-50-Lkw und Ladekran todgeweihte Fabriken der Region abgegrast, die nach Lesart der Treuhand nicht konkurrenzfähig waren. „Fahr doch mal hin, ob die Maschine noch da ist“, hieß es. ABM-Kräfte, die im Museum unterkamen, hatten dort gearbeitet. Manch Teil vom Schrottcontainer landete so wieder in einer Ex-Produktionshalle. Als Zeitzeuge.

3.500 Gäste an Aktionstagen
„In Anlehnung an das Grüne Gewölbe in Dresden wird unser Depot liebevoll auch als das Grüne Gewölbe der sächsischen Industriegeschichte bezeichnet“, sagt Museumsleiter Jürgen Kabus. Sein Haus beherbergt zahlreiche Schätze des Industriezeitalters, so fast 500 Werkzeug- und 50 Holzbearbeitungsmaschinen. Es sammle alles: von der Briefmarke bis zum 50 Tonnen schweren und gut 25 Meter hohen Turmdrehkran von 1956, sagt Kabus. Die Sammlung, die jährlich mit 2,2 Millionen Euro Steuergeld bezuschusst wird, diene auch als Ressource für Forschung und universitäre Ausbildung, so der 42-Jährige. Die tägliche Besucherzahl schwanke zwischen 30 und über 3.500 Gästen an Aktionstagen.
Derweil hat das Quietschen von Hartmanns Spinnrad und sein „Klack-klack, Klack-klack“ weitere Besucher angelockt. „Komm’se ruhig mit ran“, sagt er. Der Mann, Baujahr 1971, ist einer von drei Vorführern in der 21-köpfigen Belegschaft des Museums. „Alles, was hier an Maschinen steht, ist funktionstüchtig“, sagt er stolz. „Wir stellen die Dinger nicht nur rein, wir setzen sie auch in Gang.“ Ein, zwei Mal im Monat stehe auch die Dampfmaschine unter Dampf.
„Mechanik war schon immer mein Ding“, sagt der gelernte Elektriker. Doch Elektronik sei ihm zu abstrakt gewesen, „und so bin ich 1999 hergekommen“. Der Mann ist ein Universalgenie, denn allein in der Textilstraße im Untergeschoss kommen gut zehn Lehrberufe zusammen. „Ich hatte das Glück, dass ich noch mit den alten Herren mitgehen und viel von ihnen aufsaugen konnte“, erzählt er. Auch die CNC-Maschine eine Etage höher kann er bedienen. Beim Flügelspinnrad sei es „reine Übungssache, die man in ein paar Wochen draufhat“, stapelt der agile Typ in T-Shirt und Jeans tief. Pro Stunde seien 100 Meter Faden machbar. „Das reicht für viele Knöpfe, aber für eine Hose braucht es schon vier, fünf Kilometer.“
Hartmann wird nicht müde, jede Frage zu beantworten: Läuft die Maschine unter Dampf? Wie viel PS hat sie? Wo wurde sie hergestellt? Sein Lieblingsstück ist eine Einfädelmaschine von 1900, entwickelt von einem Uhrmacher.

Filigrane Damenhandschuhe
Am Ende des Rundgangs steigt die Geräuschkulisse an. Der Vorführer wirft eine etwa fünf mal drei Meter große und vier Tonnen schwere Flachkulier-Wirkmaschine an. Das 116 Jahre alte Stück hat ein Verein in großer Fleißarbeit restauriert. Im Zusammenspiel von über 2.000 Spitzennadeln, ebenso vielen Platinen und Harnischschnüren entstehen spitzenähnliche Muster – und am Ende filigrane Damenhandschuhe.
Das Industriemuseum erwartet in Kürze den millionsten Gast. Und Leiter Jürgen Kabus hofft auf einen Schub und Fördergeld durch Chemnitz als „Europas Kulturhauptstadt 2025“. Im BidBook II, dem Bewerbungsbuch, ist das Haus mit zwei Großprojekten vertreten: Sonderausstellungen zu Industriedesign im Osten und zu „Europäisches Manchester“.

Das könnte Sie auch interessieren: