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14,60 Euro Mindestlohn – was bedeutet das für Sachsen?

Die Lohnuntergrenze könnte für kleinere Betriebe in Sachsen zum Problem werden. Gewerkschafter sehen das anders. Was der Kompromiss für die nächsten beiden Jahre für Arbeitgeber und -nehmer bedeutet.

Lesedauer: 4 Minuten

Michael Rothe

Dresden. Die von Sachsens Arbeitgebern befürchtete 15 vor dem Komma ist ihnen erspart geblieben. Der gesetzliche Mindestlohn in Deutschland soll von derzeit 12,82 Euro 2026 zunächst auf 13,90 Euro pro Stunde und ein Jahr später auf 14,60 Euro steigen. Das sieht der einstimmige Beschluss der Mindestlohnkommission vor, den das Bundesarbeitsministerium formell umsetzen muss.

Die Empfehlung ist ein Kompromiss zwischen der von Arbeitgeberverbänden geforderten Beibehaltung des Ist-Zustands und den von Arbeitnehmervertretern geforderten und von der SPD als Zielmarke erklärten 15 Euro.

230.000 Sachsen arbeiten zum Mindestlohn

Der Mindestlohnkommission gehören je drei Vertreter von Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften sowie zwei Wissenschaftler an. Sie passen die Lohnuntergrenze alle zwei Jahre an.

In Sachsen erhalten rund 230.000 Beschäftigte den gesetzlichen Mindestlohn. Die neue Anpassung bedeutet für sie ein Lohnplus von 14 Prozent binnen zwei Jahren. Laut Deutschem Gewerkschaftsbund (DGB) haben Vollzeitbeschäftigte damit pro Monat brutto rund 190 Euro mehr in der Tasche. Im zweiten Jahr sind es im Vergleich zu heute 310 Euro mehr.

Appell an die Bundesregierung

Für Lukas Rohleder, Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer Dresden, „haben sich die schlimmsten Befürchtungen zum Glück nicht erfüllt“. Da die Entscheidung einstimmig gefallen sei, sollte sie von der Bundesregierung nicht infrage gestellt werden, so Rohleder.

Die Steigerungsraten, deutlich über der Entwicklung der Reallöhne, ließen sich aus Sicht der Wirtschaft nicht rational erklären, sagt der IHK-Chef. Der resultierende Anstieg der Arbeitskosten werde Spuren hinterlassen und einige Branchen an den Rand der Belastungsgrenze bringen. Rohleder sieht auch den Vorgriff auf 2027 kritisch, da die prognostizierte konjunkturelle Erholung wegen diverser Unsicherheiten nicht absehbar sei.

Entscheidung tut dem Handwerk weh

„Diese Entscheidung tut den sächsischen Handwerksunternehmern weh“, sagt Uwe Nostitz, Präsident des Sächsischen Handwerkstages. Die Erhöhung werde von ihnen nur schwer zu stemmen sein. Die Handwerksunternehmen im Freistaat plagten ohnehin schon große konjunkturelle Sorgen, argumentiert der Bauunternehmer aus der Lausitz. „Die Kostensteigerung ist insbesondere für Handwerksbetriebe im ländlichen Raum und in Grenznähe nur schwer verkraftbar“, sagt der Präsident der regionalen Dachorganisation der Kammern und Verbände. Die Steigerung werde sich in höheren Verbraucherpreisen niederschlagen.

Auch Nostitz hofft, dass die Entscheidung respektiert „und nicht durch neuerliche, parteipolitisch motivierte Attacken“ belastet wird. Es gehe auch darum, „die gesetzlich verbriefte Tarifautonomie zu verteidigen“.

Bauern fordern Sonderregelung für Saisonkräfte

Torsten Krawczyk, Präsident des Sächsischen Landesbauernverbands, begrüßt, „dass die Mindestlohnkommission nicht dem Ruf der Berliner Bundesregierung gefolgt ist, sondern eine Entscheidung mit Augenmaß und im Sinne des Wirtschaftsstandorts Deutschland getroffen hat“. Dennoch brauche es dringend eine Sonderregelung für Saisonarbeitskräfte, fordert er. „Andernfalls droht der gesetzliche Mindestlohn zum Schlüssel zu werden, der die Tore vieler unserer landwirtschaftlichen Betriebe und Höfe verschließt“, so der Schweinehalter aus Westewitz bei Döbeln.

Der Präsident des Deutschen Bauernverbands, Joachim Rukwied, hatte vor wenigen Tagen vorgeschlagen, dass Saisonkräfte nur noch 80 Prozent des gesetzlichen Mindestlohns erhalten sollen. Dafür hatte er bundesweit heftige Kritik geerntet.

DGB spricht von „schmerzlichem Kompromiss“

Sachsens DGB-Vorsitzender Markus Schlimbach spricht von einem „schmerzlichen Kompromiss, der unter unseren Erwartungen liegt“. Dennoch sei die Erhöhung für die Beschäftigten im Niedriglohnbereich eine deutliche finanzielle Verbesserung und ein Schritt nach vorn. „Einmal mehr zeigt sich, dass die Sozialpartner auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten verantwortliche Entscheidungen treffen“, sagt Schlimbach.

Sachsens DGB-Chef appelliert an die Arbeitgeber, „nicht ständig auf die gesetzliche Untergrenze zu schauen, sondern mit Tarifverträgen für ordentliche Löhne und Arbeitsbedingungen zu sorgen“. Der Wettbewerb um Fachkräfte werde nicht mit Mindestlöhnen gewonnen.

Arbeitgeberpräsident: Was ist gerecht?

„Sozial gerecht ist, wenn Politik dafür sorgt, dass die Lohnnebenkosten endlich wieder von ihrem Allzeithoch sinken“, sagt Jörg Brückner, Präsident der Vereinigung der sächsischen Wirtschaft. Der geschäftsführende Gesellschafter des Kupplungswerks Dresden vertritt dort im Ehrenamt die Interessen von 38 Branchenverbänden.

„Was nutzen den Mindestlohnempfängern die beschlossenen Erhöhungen, wenn der Staat gleich wieder ordentlich kassiert, wenn Dienstleistungen teurer und für manchen damit unerschwinglich werden, so dass am Ende der Job gleich ganz in Gefahr gerät?“, fragt der Arbeitgeberpräsident rhetorisch.

Der FDP-Landesvorsitzende Matthias Schniebel sieht es ähnlich. Die Erhöhung werde die Bürger teuer zu stehen kommen, prophezeit er. Die Koalition verkaufe den Beschluss als sozialpolitischen Erfolg, bleibe aber „jede Antwort darauf schuldig, wie die dadurch ausgelöste Kostenlawine aufgehalten werden soll”, so der liberale Politiker. Wenn der Staat Löhne hochtreibe, müsse er auch dafür sorgen, dass Wohnen, Energie und Alltag bezahlbar bleiben.

Creditreform erwartet Teuerung und Pleiten

Wegen des Lohnabstandsgebots erwartet Thomas Schulz von Creditreform Dresden, dass die Löhne auch in anderen Gehaltsgruppen steigen werden. Arbeitnehmer hätten zwar deutlich mehr im Geldbeutel, „aber für viele kleinere Unternehmen in Sachsen könnte das eine sehr große Herausforderung werden“, so der Vertriebschef.

Laut der Wirtschaftsauskunftei erzielen in Sachsens kleinteiliger Wirtschaft 87 Prozent der Betriebe höchstens 500.000 Euro Umsatz pro Jahr, und sie hätten oft nicht mehr als fünf Mitarbeitende. Für diese Betriebe sei es meist unmöglich, steigende Lohnkosten in Form von höheren Preisen direkt an die Kundschaft weiterzugeben.

Die Anpassung wirke sich besonders auf lohnintensive Dienstleister wie Friseur- und Kosmetiksalons, Bäckereien, kleine Gastronomiebetriebe und die Essensversorgung in Kitas und Schulen aus, sagt Prokurist Schulz. Dort sei mit deutlichen Preissteigerungen zu rechnen. Es bestehe die „Gefahr, dass etliche kleinen Betriebe schließen müssen und Arbeitsplätze in diesem Segment verloren gehen“.

Wirtschaftsminister lobt „nötiges Augenmaß“

Sachsens Wirtschaftsminister Dirk Panter (SPD) bescheinigt den Tarifpartnern in schwieriger wirtschaftlicher Lage „das nötige Augenmaß“. Die Erhöhung sei spürbar – für alle Seiten, sagt er. „Ist der Mindestlohn zu niedrig, erfüllt er seine Schutzfunktion gegen Lohndumping nicht und verwehrt den Menschen die Chance, mit ihrer Arbeit einen angemessenen Lebensstandard zu erreichen und im Alter eine vernünftige Rente zu erhalten“, so der Minister.

„Ist er zu hoch, gefährdet er Arbeitsplätze und schmälert die Chancen von Menschen mit geringer oder keiner beruflichen Qualifikation, einen Job zu finden“, benennt Panter die Kehrseite. Aus seiner Sicht berücksichtigt die Kommission beides. Ihre Unabhängigkeit sein ein hohes Gut „und deshalb bin ich dafür, dieser Empfehlung zu folgen“.

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) sieht es anders. Er nennt die Empfehlung „eine von vielen Entscheidungen, die sehr deutlich zeigen, dass handelnde Personen die dramatische wirtschaftliche Situation in Deutschland unterschätzen“. Angesichts des Verlusts von 100.000 Industriearbeitsplätze im vergangenen Jahr müsse Wirtschaften „dringend günstiger und nicht teurer werden“.

SZ

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