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Wer zurückkehren will, braucht Perspektiven

Jan Kochta gehört zum Managementboard von Forvis Mazars in Deutschland. Ostdeutsche in Spitzenjobs – der Karriereweg des Lausitzers zeigt, wie es geht und dass man nicht unbedingt in Paris, London oder New York arbeiten muss, um international erfolgreich zu sein.

Lesedauer: 4 Minuten

Ein Mann schaut freundlich in die Kamera.
Jan Kochta stammt aus dem sorbischen Wittichenau und ist als erster Ostdeutscher in das sechsköpfige Managementboard von Forvis Mazars gewählt worden. Foto: PR

Von Nora Miethke

Dresden. Ostdeutsche sind in Spitzenpositionen 35 Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung nach wie vor deutlich unterrepräsentiert. Je nach Erhebung liegt ihr Anteil an Top-Jobs bei rund 12 Prozent, während rund 19–20 Prozent der Bevölkerung ostdeutsche Herkunft haben. Nach einer Studie der Uni Leipzig sind auch unter den jüngeren Führungskräften Ostdeutsche Mangelware.
„Mit Blick auf unsere Branche und unsere Wettbewerber kann ich das leider exakt so bestätigen“, sagt Jan Kochta. Doch er will das ändern. Der 47-jährige Lausitzer ist im Frühjahr dieses Jahres als erster Ostdeutscher in das sechsköpfige Managementboard von Forvis Mazars in Deutschland gewählt worden. Forvis Mazars gehört zu den Top 10 der Prüfungs- und Beratungsgesellschaften weltweit. In Deutschland ist die Firma mit über 170 Partnern und rund 3.000 Mitarbeitenden an 13 Standorten vertreten, davon auch in Dresden und Leipzig. Einer dieser Partner ist Jan Kochta. Seit 2021 leitet er von Dresden aus zusätzlich die globale Rechtsberatung und ist damit für rund 900 Anwältinnen, Anwälte und sonstige juristische Mitarbeitende verantwortlich. Eine Mammutaufgabe, denn Forvis Mazars ist in mehr als 100 Ländern vertreten. Seine Karriereweg zeigt, man muss nicht unbedingt in Paris, London oder New York arbeiten, um international erfolgreich zu sein.

Doch wie kam es eigentlich dazu? Vor fast genau zehn Jahren wechselten Jan Kochta und sein Kollege Rudolf von Raven 2016 mit ihren Mitarbeitenden und Mandanten von der Unternehmensberatung PriceWaterhouseCoopers (PwC) zu Mazars. Damals hatten sich die großen Kanzleien aus Dresden zurückgezogen, da der Nachschub an Juristen fehlte, aber auch die großen Geschäftstransaktionen. Kochta und sein Team wollten im breiten Beratungsgeschäft mit Mittelstand und öffentlicher Hand bleiben. „Damals waren wir 20 Leute und haben zuversichtlich gesagt; Wir wollen 200 in Sachsen werden. Nun ist es so weit“, sagt er. Die Standorte in Dresden und Leipzig haben jeweils rund 100 Mitarbeitende.
Gründe für das starke Wachstum liegen nach eigenen Worten in der Unternehmenskultur und der Breite der Dienstleistungen. Schon vor Jahren hat Forvis Mazars begonnen, sich von repetitiven Aufgaben weg zu entwickeln. Mit zunehmender Digitalisierung und Künstlicher Intelligenz nimmt dieses Geschäft ab. „Der Markt wird nicht mehr für Auswertung großer Datenmengen zahlen, wenn KI in Sekundenschnelle die Daten analysiert“, ist sich Kochta sicher. Der Mehrwert von Wirtschaftsprüfern besteht künftig darin, aus den Datenergebnissen Strategien abzuleiten. Deshalb wurde der Beratungsbereich auf den Feldern Steuer-, Rechts-, Nachhaltigkeits- und Finanzberatung stark ausgebaut. In Sachsen gibt es viele Hidden Champions – Unternehmen, die fast niemand kennt, die aber in ihrer Produktnische Weltmarktführer sind. Sie gehören zum Kundenkreis wie auch internationale Unternehmen mit ToPräsenz in Deutschland. Sie sollen multidisziplinär betreut werden, wobei in Dresden ein großer Fokus auf das internationale Geschäft ist.

Austausch in die ganze Welt
Das Partnernetz zieht sich über den gesamten Globus. Kochta kann junge Mitarbeiter oder Mitarbeiterinnen zum Austausch in die ganze Welt entsenden. Derzeit ist eine Kollegin in Stockholm, eine andere, die erst vor zwei Jahren in Dresden gestartet ist, geht für einige Monate nach Sydney. Mitziehende Kinder werden mit Kita- oder Schulplätzen versorgt. „Wer international arbeiten will, aber in der Heimat bleiben will, kommt an uns nicht vorbei“, so Kochta. Er kann sich über viele Bewerbungen freuen. Grund dürfte auch die Unternehmenskultur sein. Bei früheren Arbeitgebern hätte er selbst eine Top-Down-Führungskultur erlebt. Bei Forvis Mazars sei es eine „Partnerschaft auf Augenhöhe“. „Ich bilde mir persönlich ein, dass es eine gute Teamatmosphäre ist“, sagt Kochta. Dazu tragen vermutlich die flexiblen Arbeitszeitmodelle bei wie auch das Bemühen, in der Regel Wochenend-Arbeit zu vermeiden. Mit Blick auf den Stundensatz könnte Forvis Mazars bei den Gehältern mit amerikanischen Großkanzleien durchaus mithalten. Dort seien die Gehälter zwar höher, dafür werde aber auch erwartet, das Wochenende dem Arbeitgeber zu opfern. Trotz aller Investitionen in die Mitarbeitenden könnte die Bereitschaft zur Übernahme von Führungsaufgaben höher sein, insbesondere bei Frauen, findet der Chef. Der Frauenanteil liegt insgesamt bei 50 Prozent, auf Ebene der Partner sind es nur 23 Prozent. Im Management mache man sich viele Gedanken darüber, warum so wenige Frauen Partnerin werden wollen. Obwohl Forvis Mazars sogar Partner-Modelle in Teilzeit anbietet. Der zweifache Vater verschweigt jedoch nicht, dass seine zeitliche Beanspruchung auf Managementebene „enorm“ ist. Für wichtige Fußballturniere seines Sohns lässt er aber auch mal alles liegen.

Auf die Frage, warum es so wenige Top-Führungskräfte ostdeutscher Herkunft gibt, meint Kochta: „Ich bin überzeugt davon, man muss auch mal woanders hinschauen, sich Herausforderungen stellen, an denen man wachsen kann.“ Wenn er nach dem zweiten Staatsexamen in Dresden geblieben wäre, wäre das niemals so passiert.
1978 in Wittichenau in der Lausitz geboren, wollte Jan Kochta als Kind Kohlebaggerfahrer werden. Stattdessen studierte er in Dresden Rechtswissenschaften und steckte im Referendariat die Fühler nach Frankreich aus. 2005 packte er einfach seine Sachen, meldete sich an der Uni ab und zog nach Paris, nur mit Schulfranzösisch. Mithilfe der Deutschen Botschaft fand er ein WG-Zimmer, neue Freunde und eine Anstellung in einer internationalen Rechtsanwaltskanzlei. Mehr als einmal fragte er sich damals, ob er sich übernimmt. Rückblickend war die Pariser Zeit ein Schlüsselmoment für seine Karriere gewesen, sagt er heute. Zwei Jahre später ging er für ein Masterstudium an die University of Durham in der Nähe von Newcastle und tauchte ein in eine Welt, die viele hier nur aus den Harry-Potter-Filmen kennen: studieren in alten Gemäuern, formelle Dinner an riesenlangen Tischen. Auch dort arbeitete er nebenbei in einer Kanzlei. 2011 kehrte er zurück nach Deutschland, um erst für T-System International Digitalisierungsprojekte rechtlich zu begleiten und dann für die Unternehmensberatung PwC die Rechtsberatung in Dresden gemeinsam mit Rudolf von Raven aufzubauen, bis zum Wechsel zu Forvis Mazars.

Karrierebeispiel als Vorbild
Und wie prägt die ostdeutsche Herkunft das Führungsverhalten? Kochta denkt schon, dass er Dinge anders angeht, bezweifelt aber, dass dies nur mit der Herkunft zusammenhängt. Statt auf externen Veranstaltungen seine Visitenkarten zu verteilen, kommuniziert er viel nach innen, um Menschen zu verbinden, damit Neues entsteht. „Meine Mitarbeiter wissen, sie müssen keine Angst davor haben, ob sie morgen noch einen Job haben. Ich versuche, sie vor gewissen Themen zu schützen“, beschreibt er sein Selbstverständnis. Auch sei ihm wichtig, den globalen Blick zu behalten, um ihn lokal einordnen zu können, ob nun bei Themen wie Strukturwandel, Lieferkettengesetz oder dem Krieg in der Ukraine. Eine Hoffnung für die Zukunft ist: Vielleicht können Karrierebeispiele wie seins, junge Menschen zum „Hierbleiben“ motivieren oder zur Rückkehr. Dafür brauche es Perspektiven. „Man muss etwas vorfinden, um Persönlichkeit und Erfahrungen ausleben zu können. Diese Perspektiven müssen wir für die organisieren, die hier in der Region arbeiten“, betont der 47-Jährige.

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