Der Verkehr auf der Autobahn A 4 wird immer dichter, die Lkw-Kolonnen werden immer länger und die Umwelt wird stärker belastet. Nun kommen weitere 800 Laster pro Jahr hinzu. Für potenziell mehr Staus sorgen die Umweltbehörden unfreiwillig selbst, weil Güterverkehr von der Elbe auf die Straße geholt wird.
Warum muss der bisherige Transport verändert werden?
Es geht um das Mineral Flussspat. Das wird seit 1903 auf dem Gelände der heutigen Fluorchemie in Dohna verarbeitet. Etwa 20 000 Tonnen werden pro Jahr von Bergwerken weltweit angeliefert. Per Schiffsfracht kommt der Rohstoff in Rotterdam an und wird mit Lastkähnen bis zum Dresdner Binnenhafen gebracht. Doch das hat das Dresdner Umweltamt als Untere Wasserbehörde nun ab 1. April untersagt. In einem Prüfbericht von 2017 wurden erhebliche Mängel der Hafenanlage festgestellt. „Die sind trotz Aufforderung unsererseits nicht beseitigt worden“, teilt die Behörde mit. Um eine weitere Gefährdung von Boden und Gewässer zu vermeiden, sei dem Amt nur die Möglichkeit übrig geblieben, den Umschlag von Flusspat zu untersagen.
Welche Folgen hat das für die Fluorchemie Dohna?
Diese Entscheidung hat erhebliche Folgekosten für die Fluorchemie in Dohna, denn der Transport per Schiff war wesentlich billiger als der per Lkw. Doch statt der 20 Kilometer vom Dresdner Hafen nach Dohna müssen diese nun die Fracht im 264 Kilometer entfernten Magdeburg abholen. „Das erhöht nicht nur die Kosten, sondern gefährdet im Winter auch die Liefersicherheit, wenn Straßen vereist oder zugeweht sein könnten“, sagt Harald Werner, der Geschäftsführer der Fluorchemie Dohna. Ein längerer Weg birgt ein höheres Risiko. Die Anlagen in Dohna sind ständig in Betrieb und müssen bestückt werden. In der Fluorchemie mit seinen 80 Mitarbeitern kann man sich mit der neuen Situation nur arrangieren. Weder auf bauliche Maßnahmen im Hafen noch aufs Umweltamt habe man Einfluss. „Wir prüfen aber derzeit den Hafen Decin als alternativen Umschlagplatz“, sagt Klaus Noack, der Leiter der Logistik bei Fluorchemie. Das würde den Fahrtweg erheblich reduzieren, den Lkw-Verkehr von der A 4 komplett auf die A 17 verlagern.
Warum gilt Flussspat als wassergefährdend?
Ausgangspunkt für die Misere war die Einstufung von Flussspat als wassergefährdender Stoff. Wer schon mal gesehen hat, wie diese Gesteine im Bergbau gebrochen werden, kann sich kaum vorstellen, wovon dabei eine Gefährdung ausgehen soll. Das per Schiff transportierte Material ist aber aufbereitet. Das heißt, es ist fein gemahlen, sodass Metalle ausgesondert werden konnten. Der feine Staub könne vom Wind jederzeit ins Hafenbecken getrieben werden. Weitere Gefahr besteht bei Hochwasser. Mit anderen Substanzen kann es zu chemischen Reaktionen kommen. Das Umweltamt beruft sich auf das Wasserhaushalts- und das Bundesimmissionsschutzgesetz.
Schaden zusätzliche Lkw-Kilometer der Umwelt nicht genauso?
Weil das Dohnaer Unternehmen den Flussspat nun aus Magdeburg holt, bringt das 800 Lkws zusätzlich pro Jahr auf die A 14, die A 4 und die A 17, und zwar in beide Richtungen. „Das sind etwa 250 Tonnen CO2-Ausstoß mehr, als beim jetzigen Transport vom Hafen in Dresden“, hat Werner errechnet. Der Feinstaub vom Abrieb an Bremsen kommt noch dazu. Welche Belastung für die Umwelt größer ist – die im Hafen oder die auf der Autobahn – spielt keine Rolle. Das Umweltamt habe nach eigenem Bekunden keinen Ermessensspielraum und setze nur die bestehenden Gesetze und Vorschriften um.
Wie groß ist die Gefahr von Unfällen beim Transport?
Trotz immer besserer Technik und Arbeitsschutzbestimmungen hat sich die Zahl der Unfälle mit wassergefährdenden Stoffen in Deutschland in den letzten 20 Jahren nicht verringert. Im Gegenteil. Bei der Beförderung ist die Zahl laut Statistischem Bundesamt zuletzt sogar erheblich gestiegen. Rund 93 Prozent aller Unfälle bei der Beförderung ereigneten sich mit Straßenfahrzeugen, schreibt das Umwelt-Bundesamt. Mit der Verlagerung der Flussspat-Transporte nach Dohna vom Schiff auf die Straße erhöht sich demzufolge das latente Unfallrisiko, das ja eigentlich vermieden werden sollte. Dem muss aber entgegengehalten werden: Wenn mehr Stoffe als wassergefährdend eingestuft werden, landen auch neue Unfälle in der Statistik. Zudem sage die Anzahl der Unfälle nichts über die Schwere der Einzelfälle aus.
Weshalb weicht Fluorchemie nicht auf die Schiene aus?
Fluorchemie in Dohna besitzt einen Schienenanschluss. Der wird rege genutzt und ist sogar unverzichtbar. Denn das Hauptprodukt, das aus dem Flussspat hergestellt wird, ist Flusssäure. Mit der macht das Unternehmen mehr als 90 Prozent des Umsatzes. Sie darf nur in speziellen Kesselwagen auf der Schiene transportiert werden. Für die wesentlich größere Menge an Flussspat ist der betriebseigene Rangierbahnhof aber nicht ausgelegt. Es gibt auch keine Entlademöglichkeit. Ist der Rohstoff lange unterwegs, friert er wegen seiner Restfeuchte im Winter fest und müsste aus den Waggons gestemmt werden. Das ist wirtschaftlich nicht vertretbar und im Übrigen auch jetzt bei langen Lkw-Fahrten ein Problem. Transporte bei strengem Frost versuche man zu vermeiden. „Milde Winter kommen uns entgegen“, sagt Noack.
Warum wird der Dresdner Hafen nicht umgebaut?
Das Dresdner Umweltamt hat der Sächsische Binnenhäfen Oberelbe GmbH (SBO) Auflagen zu einem möglichen Umschlag von Flussspat erteilt. Das Zwischenlager müsste eine Flächenbefestigung, eine neue Entwässerung und Abscheidetechnik bekommen sowie Hochwasserschutz. Die Investitionskosten würden sich laut SBO auf mindestens 1,6 Millionen Euro belaufen. Das sei jedoch unwirtschaftlich, weil bei höheren Preisen die Kunden auf Alternativen wie den Lkw-Transport umstiegen. Die SBO ist gegen den Bescheid des Umweltamtes in Widerspruch gegangen. (WiS)
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