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Bundesminister sagt, Sachsen produziere fast so viel Bürokratie wie die EU – stimmt das?

Der Bundesjustizminister sieht in Sachsen ein Bürokratie-Monster. CDU-Ministerpräsident Kretschmer weist den Vorwurf harsch zurück: "Marco Buschmann kennt sich in Sachsen offenbar nicht so gut aus".

Lesedauer: 3 Minuten

Man sieht ein Bild von Bundesjustizminister Marco Buschmann und ein Bild von sehr vielen Papierordnern
Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) sieht auch das Land Sachsen als großen Bürokratieproduzenten. © dpa

Von Nora Miethke & Gunnar Saft

Berlin/Dresden. Bundesjustizminister Marco Buschmann hat alle Bundesländer zum stärkeren Abbau von bürokratischen Vorschriften aufgefordert und dabei auch Sachsen kritisch ins Visier genommen.

„Der Freistaat ist fast so stark in der Bürokratieproduktion wie die EU“, sagte Buschmann bereits am Dienstag in einer Diskussionsrunde der Friedrich-Naumann-Stiftung in Dresden, die sich unter dem Motto „Weniger Zettel, mehr Wirtschaft!“ mit dem Thema Bürokratieabbau beschäftigte. Der größte „Bürokratieproduzent“ ist für den FDP-Politiker demnach die Europäische Kommission. Denn diese würde ihrem „one in/one out“-Versprechen, also für jede neue EU-Vorschrift im Gegenzug eine alte zu streichen, bei weitem nicht einhalten. Das wahre Verhältnis liegt laut Buschmann bei „one out/four in“, für jede gestrichene Vorschrift kommen aktuell vier hinzu.

Aber nicht nur Europa, auch die deutschen Bundesländer würden weiterhin für mehr Bürokratie sorgen. „Für Sachsen gelte dabei das Verhältnis „one out/three in“ und das bedeute nur etwas weniger Aufwuchs als in Europa, so Buschmann.

Kretschmer: „Buschmann kennt sich in Sachsen offenbar nicht sehr gut aus“

Die Vorwürfe in Richtung Freistaat sorgen hierzulande allerdings für Widerspruch. „Bundesminister Buschmann kennt sich auf Landesebene und vor allem im Freistaat Sachsen offenbar nicht sehr gut aus. Das erlebe ich bei vielen Bundesministerinnen und -ministern im Kabinett Scholz“, erklärte Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) auf Anfrage. Fast jedes neue Landesgesetz, so der Regierungschef weiter, und vor allem jede neue bürokratische Belastung resultiere aus neuen Gesetzen, Verordnungen oder Richtlinien von EU oder Bund. „Dem müssen wir künftig noch stärker Einhalt gebieten. Was wir brauchen, ist ein Bürokratiemoratorium auf allen Ebenen. Wir müssen gemeinsam daran arbeiten, unnötige Bürokratie abzubauen und neue Bürokratie nur dort zuzulassen, wo sie zwingend erforderlich ist. Nur so können wir die Potentiale Sachsens und Deutschlands entfesseln.“

So hatte die sächsische Staatsregierung kürzlich als Antwort auf eine parlamentarische Anfrage der AfD-Landtagsfraktion Zahlen veröffentlicht, die für einen gänzlich anderen Trend sprechen. Demnach nimmt die Zahl der landesweit gültigen Rechtsverordnungen, Verwaltungsvorschriften und Förderrichtlinien tendenziell sogar ab – und damit auch der Bürokratieaufwand. Lag deren Gesamtzahl vor drei Jahren noch bei 1.386, ist sie aktuell auf 1.312 gesunken, teilte Justizministerin Katja Meier (Grüne) mit.

Auch im laufenden Jahr seien dabei zwar 123 Vorschriften neu in Kraft getreten, gleichzeitig aber 148 außer Kraft getreten – ein absoluter Rückgang um 15 Vorschriften. Im Vorjahr hatte das Minus in Sachsen dann sogar bei 112 Vorschriften weniger gelegen. Ministerin Meier: „Sachsen muss sich weder hinter der EU noch hinter dem Bund verstecken. Das Gegenteil ist der Fall.“ Nachdem 2023 deutlich mehr Rechtsvorschriften weggefallen sind, zeichne sich für 2024 ein ähnlicher Erfolg ab. „Das von Herrn Buschmann zitierte one-in/one-out-Prinzip wird in Sachsen sogar übererfüllt. Die Kritik von ihm am Freistaat empfinde ich daher als uninformiert und ungerechtfertigt.“

Behörden leiden unter „Bürokratie-Burnout“

Das Bundesministerium verweist auf SZ-Nachfrage wiederum auf den Jahresbericht 2023 des Sächsischen Normenkontrollrats, in dem von einem Verhältnis 1:3 bei den finanziellen Entlastungen zu den finanziellen Belastungen durch Änderungen beim sächsischen Landesrecht die Rede ist.

In der Diskussionsrunde selbst hatte der Bundesjustizminister darauf verwiesen, dass nicht nur Bürger und Betriebe, sondern auch die Behörden unter einem „Bürokratie-Burnout“ leiden würden.

„Die Überbürokratisierung in Deutschland unterspült die Bereitschaft, Regeln zu befolgen. Und das ist fatal“, betonte der FDP-Politiker. Sein Ministerium ist in der Ampelregierung verantwortlich für das Lichten des Dschungels von Verwaltungsvorschriften, weil laut Buschmann der rote Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und der grüne Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck der Ansicht sind, „ein Liberaler hätte mehr Spaß am Bürokratieabbau“.

Allein die Hälfte des sogenannten Erfüllungsaufwandes – also dem Zeitaufwand und den Kosten, die durch die Befolgung gesetzlicher Vorgaben entstehen – geht seinen Angaben nach auf der Konto der EU. Laut der Statistikbehörde Destatis ist der Erfüllungsaufwand für die Wirtschaft allein im Jahr 2022 um rund 7,7 Milliarden Euro gestiegen. Tendenz weiter steigend.

Buschmann fordert ergebnisorientierte Führungskultur

Einen Grund dafür sieht der Minister auch in der Fehlerkultur, „über die müssen wir mit den Ländern sprechen“. Die entscheidende Frage sei: Sollen Sachbearbeiter hundert schnelle Entscheidungen treffen oder null Fehler machen? „Wir brauchen eine ergebnisorientierte Führungskultur im Öffentlichen Dienst“, fordert der Minister. Es gebe keine guten oder schlechten Beamten, sondern nur gute oder schlechte Führung.

Und was leistet die Ampelregierung selbst beim Bürokratieabbau? Auch darauf hatte Buschmann Antworten parat. Über eine digitale Umfrage hatte sein Ministerium 441 Vorschläge erhalten für Regeln, die aus Sicht der Wirtschaft überflüssig seien. Nach Überprüfung blieben noch 380 Vorschläge übrig. Davon sollen nun 120 Regeln über das Vierte Bürokratieentlastungsgesetz gestrichen werden, der Erfüllungsaufwand werde dadurch um rund drei Milliarden Euro im Jahr sinken, rechnete Buschmann dem Publikum vor.

Ist das viel oder wenig? Auf jeden Fall mehr als früher. Durch bisherige Bürokratieentlastungsgesetze hätte man im Schnitt eine Milliarde Euro an Bürokratiekosten gespart, jetzt sei es das Dreifache.

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