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Das Ende eines Traums

Vor 60 Jahren stürzte die in Dresden gebaute „152“ ab. Franz Neumann war damals sieben und sah die Katastrophe.

Lesedauer: 3 Minuten

Es ist kein besonders warmer Tag, dieser 4. März 1959. Sieben Grad zeigt das Thermometer zur Mittagszeit, der Himmel ist überwiegend bedeckt. Franz Neumann macht das nichts aus. Er hat schon Mittag gegessen, als er zum Spielen hinaus auf den Hof rennt. Der Siebenjährige lebt in Ottendorf-Okrilla. Das Haus seiner Eltern steht am Rande eines Feldes. Aus der Ferne hört er, dass sie im Anmarsch ist. Sie, die „152“ – das erste Passagierflugzeug mit Düsentriebwerk, der in Deutschland gebaut worden war. Genau drei Monate vorher hatte der Vogel seinen Jungfernflug in Klotzsche absolviert. Es hatte sich bereits in der Nachbarschaft herumgesprochen, dass die Maschine an diesem Mittwoch zu einem weiteren Testflug abheben wird. Neumann ahnt noch nicht, dass der Tag in einer fürchterlichen Katastrophe enden wird, als er das Flugzeug über der Ottendorfer Kirche sieht.

Bereits Anfang der 1950er-Jahre entstand in der Sowjetunion die Idee, in der DDR einen Flugzeugbau zu etablieren. In Klotzsche wurde der volkseigene Betrieb „Flugzeugwerke Dresden“ gegründet. Um die Industrie in Gang zu bringen, schickte die Sowjetunion die Luftfahrt-Spezialisten, die sie nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges zu sich geholt hatte, zurück nach Deutschland.

Unter ihnen befand sich Brunolf Baade, der im Deutschen Reich eine Konstruktionsabteilung in den Junkerswerken in Dessau geführt hatte und bereits reichlich Erfahrungen im Flugzeugbau mitbrachte. Er sollte mit Kollegen ein Düsenstrahlflugzeug nach sowjetischem Vorbild entwickeln. Der Materialmangel in der DDR, den auch andere Industrien zu spüren bekamen, verzögerte das Projekt jedoch immens. Im April 1958 musste Walter Ulbricht in Dresden ein nicht flugtüchtiges Exemplar der „152“ präsentiert werden, das aber zumindest äußerlich einen fertigen Eindruck machte. Umso beeindruckender war, dass Bade seine revoltionäre, technische Entwicklung doch noch umsetzen konnte. Der erste Testflug fand erst am 4. Dezember 1958 statt und dauerte etwa eine halbe Stunde. An Bord befanden sich die Piloten Willi Lehmann und Kurt Bemme sowie der Flugingenieur Paul Heerling. Klar, dass ein Testflug nicht reichen sollte.

Am 4. März des darauffolgenden Jahres rollt die „152“ abermals aus dem Hangar, um zu einem zweiten Flug aufzubrechen – mit derselben Crew. Dazu hat sich diesmal noch der Flugingenieur Georg Eismann gesellt. Kurz vor 13 Uhr hebt die Maschine in Richtung Nordwest ab.

Gegen 13.55 Uhr hat die Maschine bereits gewendet und sich Ottendorf genähert. „Man konnte von Weitem hören, dass es die ‚152‘ ist“, erinnert sich Franz Neumann. Ottendorf befindet sich in der Einflugschneise des Dresdner Flughafens. Das Brummen von Propellerflugzeugen ist den Anwohnern damals nicht fremd, ein Düsentriebwerk dagegen schon. Was Neumann danach hört, ist ein lauter, schwerer Schlag. Über dem Feld steigt Feuer und Rauch auf. „Es sah aus wie ein Atompilz.“ Er rennt zur Absturzstelle der „152“, ein riesiges Trümmerfeld offenbart sich ihm dort. Nachbarn, Arbeiter eines Werkes in der Nähe – alle stürmen zum Unglücksort. Um Überlebende zu suchen? Des Schocks wegen? Aus sensationeller Neugier? Bis heute kann sich der Ottendorfer nicht erklären, warum alle so unvorsichtig gewesen sind. „Wie gefährlich das war, niemand hat gewusst, ob es zu einer Nachexplosion kommen würde.“

Es dauert nicht lange, bis Rettungskräfte und Polizei eintreffen. „Wir sollten alle raus aus dem Trümmerfeld“, erzählt Neumann. „Erst 100 Meter, dann 200 Meter, dann wurde der Bereich großräumig abgeriegelt.“ Gerettet wird niemand. Alle Insassen sind ums Leben gekommen. Die Nächte darauf haben sich in Neumanns Kopf eingeprägt. Rings um die Absturzstelle bauen die Einsatzkräfte Flutlichtstrahler auf, um das Feld auszuleuchten. Nach und nach transportieren sie die Trümmer nach Klotzsche ab.

Stasi findet einen Schuldigen

Was zu dem Absturz führte, wird in der DDR nur spärlich bis gar nicht bekannt gegeben. Und ob das stimmte, ist bis heute unklar. Im Raum steht der Vorwurf eines Pilotenfehlers. Zu wenig Schub soll die Maschine gehabt haben, als die Piloten nach einem steilen Sinkflug das Flugzeug abfangen und wieder nach oben ziehen wollten, lautet eine Theorie. Die Staatssicherheit, deren Einschätzung erst nach der Wende an die Öffentlichkeit gelangte, gab Baade, dem Konstrukteur, die Schuld an diesem Manöver. Dieser habe einen zu niedrigen Überflug angeordnet, um Bilder von der „152“ machen zu können. Eine andere Theorie geht davon aus, dass es bei den Tanks Konstruktionsfehler gegeben haben könnte, die zum Triebwerksausfall führten.

Der Absturz leitete das Ende der „152“ ein. Nachdem eine weitere flugfähige Maschine gebaut wurde, sind offenbar Mängel erkannt worden. 1961 stellte die DDR-Führung das Projekt ein. Franz Neumann wird den Absturz nie vergessen. „Es war eine schlimme Katastrophe“, sagt der heute 67-Jährige. 

 

Von Sandro Rahrisch

Foto: © dpa

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