Die hellblaue Wanne rattert über das Förderband. Sie ist randvoll mit Büchern und entsprechend schwer. Nadine K.* packt dennoch entschlossen zu und wuchtet sie auf den Rollwagen, von dort geht es direkt zum Versand. In einer langen Reihe stehen Männer und Frauen, vor sich ein Regal mit vielen blauen Kisten. Jede Kiste sei ein Kundenauftrag, erklärt Andreas Behrendt. Er ist der Logistikchef von Momox in Leipzig und damit Herr über 60 000 Quadratmeter Lagerraum, jeweils verteilt über vier Etagen. Das entspricht einer Fläche von mehr als 33 Fußballfeldern.
Gefüllt sind die Regale mit Büchern, mit CDs, DVDs und Games. Neun Millionen Artikel verteilen sich auf den türkisgrünen Regalsystemen, die einst der Versandriese Quelle hat installieren lassen.
Momox ist der Marktführer beim Ankauf und Wiederverkauf von Büchern, Tonträgern und DVDs. 2016 wurden 150 Millionen Euro umgesetzt. Dabei ist es noch gar nicht lange her, als Momox in Berlin als Start-up begann. Christian Wegner, Ideengeber und Gründer, war 2004 auf einem Flohmarkt in seinem Viertel unterwegs. Er kaufte für kleines Geld vier Bücher, die er danach auf Ebay wieder veräußerte. Mit Gewinn, aber großem Zeitaufwand. Das muss auch einfacher gehen, sagte sich der damals joblose Wegner und begann einen Algorithmus zu entwickeln, der Preise für gebrauchte Bücher ermittelt. Das System ist sehr komplex, wurde über die Jahre immer weiter verfeinert, ist aber bis heute die Basis der Geschäftsidee von Momox.
Der Name der Reseller-Plattform hat übrigens keine tiefere Bedeutung. Er sollte kurz und einprägsam sein. Das gilt auch für Medimops, der Plattform, unter der Momox die gebrauchten Bücher, CDs oder DVDs wieder veräußert.
Das erste Lager des Resellers war in der Berliner Wohnung von Familie Wegner. Als es zu eng wurde, mietete sich das Unternehmen in Neuenhagen das erste Logistikzentrum an. Doch auch dort stieß man schnell an die Kapazitätsgrenze. Im Berliner Umland suchten die Manager von Momox nach einem neuen Zuhause. Fündig wurden sie aber knapp 200 Kilometer weiter südlich, in Leipzig am Alten Flughafen.
Dort stehen die großen grauen Hallen von Europas größtem Logistikzentrum. Ein Milliarde D-Mark (rund 500 Millionen Euro) hat der Neubau gekostet, etwa ein Drittel davon stammte aus Fördergeldern. Es war dennoch die größte Investition des Quelle-Konzerns, der bereits im Nachwendejahr Interesse an dem Areal angemeldet hatte. Die Leipziger Stadtverwaltung reagierte prompt. Der Bauantrag wurde in Rekordzeit durchgewunken, und schon 1991 konnte der Grundstein gelegt werden. Am 18. Mai 1995 reiste dann Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) in die Messestadt, um bei der Eröffnung des Logistikzentrums dabei zu sein.
15 Jahre später gingen die Lichter in Leipzig aus. Der Versandhausriese war pleite, konnte sich zuletzt nicht einmal mehr den Druck des neuen Kataloges leisten. Die 3 000 Mitarbeiter, die hier in Leipzig-Mockau bis zu 180 000 Pakete pro Tag gepackt hatten, verloren ihren Job. Zurück blieben die Regale, die blauen Wannen und ein mit Fotos dekorierter unterirdischer Tunnel.
„Wir nutzen noch Teile der Infrastruktur von Quelle“
sagt Heiner Kroke (48), der 2013 die Geschäftsführung des Unternehmens übernommen hat. Diese gute Infrastruktur war es auch, die das Unternehmen 2011 nach Leipzig brachte. In der Halle 22 werden die über Momox angekauften Bücher, CDs und DVDs gelagert. Die Lagerhaltung ist chaotisch. Da steht der Asterix-Band neben einem Sprachkurs für Niederländisch und einem ADAC-Reiseführer von München. „Für uns ist ein Buch ein Buch“, sagt Andreas Behrendt. Momox sei schließlich keine Buchhandlung, in der fein säuberlich nach Sachbuch, Biografien, Belletristik oder Kinderbüchern sortiert werden muss, möglichst noch alphabetisch Autor für Autor. Bei Momox erhalten alle angekauften Medien nach einer Sichtprüfung einen Barcode. Der Computer meldet dann freie Regalplätze und dort werden die Bücher abgestellt. Da ist es schon möglich, dass die 18 Ausgaben von „Harry Potter und der Stein der Weisen“ an 18 verschiedenen Stellen in den Regalen stehen. „Wir finden sie alle wieder“, versichert der Logistikchef.
Wie schnell die Bücher verkauft werden, entscheidet der Kunde. Es gibt sogenannte Schnelldreher, denen nur Stunden im Regal bleiben, und andere Artikel, die dort Jahre zubringen. Der Algorithmus versucht dann mit Preisveränderungen, den Verkauf zu stimulieren. „Wir kalkulieren alle 30 Minuten neu“, sagt Heiner Kroke. Das gilt für den Ver- und den Ankauf.
Zwischen den An- und Verkaufspreisen liegen zwischen 60 bis 70 Prozent. Eine scheinbar gigantische Marge, die sich aber im ein- oder niedrigen zweistelligen Eurobereich bewegt. Und, so Heiner Kroke weiter, die auch die Kosten für Lagerung, für Versand und die Mitarbeiter beinhaltet. Bei 150 Millionen Euro Umsatz blieben 2016 am Ende 6,8 Millionen Euro Gewinn. Die Zahlen für 2017 liegen noch nicht vor, der Trend sei aber positiv. „Wir sind gewachsen und werden das auch 2018 tun“, so der CEO.
»Die Gutenberg-Bibel gibt es bei uns nicht. Sie hat keine ISBN-Nummer.«
Momox wächst, sowohl am deutschen Heimatmarkt als auch in Österreich, Frankreich und Großbritannien. Selbst in den USA und Kanada ist das Unternehmen schon aktiv, dort allerdings nur als Ver- nicht als Ankäufer. Die Logistikkosten wären zu hoch, sagt Heiner Kroke, der zuvor bei den Online- Verkaufshäusern Ricardo in der Schweiz und Ebay in Deutschland Erfahrungen im Wiederverkauf gesammelt hat. Neben neuen Regionen hält Momox auch Ausschau nach neuen Produkten. 2014 ist das Unternehmen mit der Plattform „upub.com“ in den Markt mit getragener Kleidung eingestiegen. Ihre Logistik wird in Neuenhagen abgewickelt. Kleidung ist anders als Bücher. Es gibt keine EAN- oder ISBN-Nummer. Für die Wertermittlung des Ankaufspreises reichen zwei Faktoren. Das eine ist die Marke und das andere die Art der Kleidung. Geschulte Mitarbeiter entpacken und bewerten die Kleidung, die dann über ubup.com direkt oder über andere Marktplätze verkauft wird.
Ohnehin sind Ebay und Amazon wichtige Vertriebskanäle für Momox. Bei Büchern und CDs wickelt das Unternehmen einen größeren zweistelligen Prozentsatz seiner Verkäufe über diese beiden Plattformen ab. In Zukunft sollen es weniger werden, denn Momox möchte seine eigenen Plattformen weiter stärken. Beim Second-Hand-Portal Ubup ist das bereits gelungen. Rund drei Viertel der Kleidung wurden 2017 direkt über die Webseite veräußert.
Sorge, dass ihm durch Streamingdienste und E-Books die Ware ausgehen wird, hat Heiner Kroke nicht. „Das fragt man uns schon seit der Momox-Gründung vor 15 Jahren. Nein, wir reiten kein totes Pferd“, so Kroke. Der Markt mit E-Books stagniere bei etwa fünf Prozent. Und selbst wenn digitale Medien künftig stärker verkauft würden, die potenziellen Produkte des Resellers stehen alle schon daheim in den Wohnzimmern der Kunden. Millionen – wenn nicht gar milliardenfach.
Die Geschichte der ISBN
Internationale Standardbuchnummer
1966 führte das größte britische Buchhandelshaus WHSmith erstmals eine Standardbuchnummer ein. Sie wurde mit
„SBN“ abgekürzt.Die Internationale Organisation für Normung griff 1968 diese Vorschläge auf, erweiterte die neunstellige SBN um eine weitere Stelle zur Internationalen SBN und veröffentlichte 1972 die Norm ISO 2108, die auch in Deutschland übernommen wurde.
Redaktion: Ines Mallek-Klein
Bildquelle: Ronald Bonss, Momox