Sachsen. Ab dem 1. Januar 2027 soll eine Bildungszeit für alle sächsischen Beschäftigten eingeführt werden – eine bezahlte Freistellung von drei Tagen laut dem Koalitionsvertrag von CDU und SPD. Im Landtag zeichnet sich dafür eine Mehrheit durch Linke, Grüne, SPD und BSW ab. Doch vier Kommunal- und Arbeitgeberverbände sprechen sich jetzt gegen einen solchen Bildungsurlaub aus.
Der sächsische Städte-und Gemeindetag, der Landkreistag, der Handwerkstag sowie die Vereinigung der sächsischen Wirtschaft (VSW) halten diesen für das „falsche Signal zur falschen Zeit“. Die Kritik: Kaum einer würde den Bildungsurlaub nutzen, und die Bildungszeit würde einen hohen bürokratischen Aufwand mit sich bringen. Die Verbände befürchten eingeschränkte Öffnungszeiten von Rathäusern und Kitas. Was ist da dran?
1. Kritikpunkt: Bildungsurlaub nutzt sowieso keiner
Laut dem Ifo-Institut nutzen tatsächlich nur 3,5 Prozent (1,22 Millionen) der Beschäftigten deutschlandweit den Bildungsurlaub. Dabei gehört er in 14 von 16 Bundesländern zur Normalität. In den vergangenen Jahren hat die Teilhabe jährlich um 10 Prozent zugenommen, erklärt Anian Schmitt, der Geschäftsführer von der Plattform Bildungsurlauber.de. Sie listet Sprach- und Rückenkurse, Programmier- und Demokratieunterricht sowie Trainer-Ausbildungen auf, die Beschäftigte als Bildungsurlaub nutzen können.
Die Zahl der Bildungsurlauber schwankt je nach Bundesland. In Brandenburg nutzten es im vorigen Jahr 0,65 Prozent (5656 Arbeitnehmer) aller Erwerbstätigen, in Rheinland-Pfalz 1,4 Prozent und in Hamburg 5,7 Prozent. Der Grund dafür: Viele wissen nicht, dass es Bildungsurlaub gibt. Oder sie trauen sich nicht, bei ihren Vorgesetzten danach zu fragen, sagt Lara Körber von Bildungsurlauber.de.
2. Kritikpunkt: Es gibt bereits Weiterbildungsangebote
61 Prozent der Beschäftigten in Sachsen nutzen bereits Weiterbildungen. Wozu noch Bildungsurlaub – fragen die Arbeitgeber. Bedenklich sei aber, dass die in Weiterbildung investierte Zeit zurückgegangen ist, sagt Daniela Kolbe, die stellvertretende Vorsitzende des DGB Sachsen.
Sie plädiert daher für den Bildungsurlaub. Er ermögliche außerdem mehr Freiheiten. So müssen Menschen nicht mehr ihre Freizeit opfern für die Trainer-Ausbildung, gerade wenn es um das Ehrenamt im Sportverein oder bei der Freiwilligen Feuerwehr geht, wo dringend Nachwuchs gesucht wird.
3. Kritikpunkt: Viel Bürokratie und hohe Kosten
Laut einer Evaluation in Baden-Württemberg stellt Bildungsurlaub eine finanzielle Belastung für viele Unternehmen dar, Betriebe mit weniger als 250 Mitarbeitenden haben Mehrkosten von rund 6.500 Euro, die Bearbeitung eines Antrages betrug 3,6 Stunden. Arbeitgeber können jedoch jederzeit Bildungszeit ablehnen, aus betrieblichen Gründen, oder wenn der Urlaub anderer Vorrang hat.
4. Kritikpunkt: Mehr Wartezeiten in Rathäusern
Kürzere Öffnungszeiten in Kitas und Rathäusern durch Bildungsurlaub hält die DGB-Vizevorsitzende Kolbe für „abwegig“. Auch die Praxis beweist das Gegenteil: In den Stadtverwaltungen von Leipzig und Dresden haben Angestellte bereits Anspruch auf Bildungstage. In Leipzig nutzten das im vorigen Jahr 3,3 Prozent der Beschäftigten. Damit wurden 617 Bildungstage beantragt. Dies habe laut Sprecher David Quosdorf nicht zu mehr Schließzeiten oder Wartezeiten geführt. Auch der Dresdner Bildungsbürgermeister Jan Donhauser (CDU) kann bestätigen, dass es durch den Bildungsurlaub nicht mehr Schließtagen in den Kitas gibt.
Anian Schmitt von Bildungsurlauber.de ergänzt: „Wenn die Städte als Arbeitgeber nicht schnell reagieren, dann verlieren sie noch mehr Mitarbeitende“ Laut der Evaluation aus Baden-Württemberg nutzen häufiger Beschäftigte aus Handwerk und Industrie den Bildungsurlaub. Auch in Rheinland-Pfalz waren nur 4,5 Prozent der Bildungsurlauber verbeamtet.
Für den DGB-Landesvorsitzenden Markus Schlimbach ist der Bildungsurlaub ein Wettbewerbsvorteil im Kampf um Fachkräfte. „Es ist ein Trauerspiel, dass die Zahl der in westliche Bundesländer pendelnden Beschäftigten aus Sachsen nach wie vor steigt“, erklärt er. „Fachkräfte müssen mit attraktiven Jobs und guten Lebensbedingungen vor Ort in den Städten und ländlichen Regionen gehalten werden.“
SZ