Am Montag hat Konrad Scheerbaum seinen Rucksack gepackt – eine Flasche August der Starke, Wackerbarth-Sekt. Dazu vier Gläser. Silvester feiert er schon seit Jahren unterm großen Feuerwerk auf der Brühlschen Terrasse mit seiner Frau Christine und Freunden. Silvester 2018/19 kommt noch etwas anderes mit in den Rucksack. Die Zeitschrift „Vinum“ aus der Schweiz.
In der letzten Ausgabe steht über mehrere Seiten ein Artikel samt Fotos über Schloss Wackerbarth. Der Anlass für Europas führende europäische Fachzeitschrift zu Wein und Sekt: Das Radebeuler Staatsweingut Schloss Wackerbarth ist als bester Sekterzeuger Deutschlands gekürt worden. Eine Auszeichnung, die Konrad Scheerbaum besonders rührt und die er unbedingt seinen Freunden schwarz auf weiß zeigen will.
Der 65-Jährige ist seit 1969 bei Wackerbarth. Keiner kennt die Geschichte des Sektherstellens so wie er. Weinküfer hat er gelernt. „Ich wollte in den Weinkeller, dort mitbestimmen, wie der Wein und der Sekt werden.“ Wenn Konrad Scheerbaum über vergangene Jahrzehnte spricht, dann fallen ihm zu den 1970ern vor allem Massenproduktion ein.
Sekttanks mit bis zu 100 000 Liter und sechs Atmosphären Druck. Täglich wurden 200 000 Flaschen abgefüllt, die Hälfte ging in die damalige Sowjetunion. Riesenlieferungen wurden für Hotels in der DDR abgeholt. Für Otto-Normalbürger war Wackerbarth-Sekt Bückware. Der Coswiger erinnert sich: „In den riesigen Tanks mussten die Hefen ständig gefüttert und am Leben gehalten werden, rund um die Uhr. Zehn 50-Kilo-Säcke mit Zucker zuschütten, war normale Arbeit, auch am Wochenende.“ Ständig aufpassen, dass ja kein Schlauch einen Riss bekam. Massenproduktion eben.
Dabei hatte es Konrad Scheerbaum in der Lehre anders, feiner kennengelernt. In der damals noch existierenden Firma Bussard an der Moritzburger Straße. Traditionsreiche Weinkeller, in denen einst Kellermeister Monsieur Joseph Mouzon das Herstellen von moussierenden Weinen vor fast 200 Jahren aus der Champagne nach Radebeul gebracht hatte. Genau genommen Champagnerproduktion, bei der der Sekt auf der Hefe reift und die Flaschen zwischendurch gedreht, gerüttelt werden müssen. Nur, dass außerhalb der Champagne das keiner so nennen darf.
Ende der 1970er-, Anfang der 1980er-Jahre kehrte bei Wackerbarth wieder die Flaschengärung ein. Bussard war geschlossen worden, in den Kellern wurden Dauerbackwaren für den Katastrophenfall eingelagert. „Ein Jammer, mit diesen Weinkellern so umzugehen“, sagt Scheerbaum. Aber Bussard war verstaatlicht worden. Alle Sektproduktion sollte im volkseigenen Gut passieren.
Bekannte Winzer aus dem Elbland wie Matyas Probocskai als Leiter der Weinproduktion und dessen Frau Ingeborg als Lehrmeisterin haben sich damals große Mühe gegeben, aus den vor allem aufgekauften billigen Tischweinen aus Bulgarien, Rumänien, Ungarn, auch aus Frankreich, feinen Sekt herzustellen. Konrad Scheerbaum: „Das Ergebnis stand solchen Marken wie Mumm oder Henkel, die es im Intershop zu kaufen gab, in nichts nach, eher umgekehrt.“ Die Wackerbarth-Sekte wurden dafür im Delikat angeboten – 15 bis 18 DDR-Mark eine Flasche. „Das war Luxus.“
Mit der Wende, vor allem aber mit dem Bekenntnis des Landes Sachsen zu Investitionen in das Staatsweingut wurde bei Wackerbarth nochmals richtig durchgestartet. Erlebnisweingut nennt sich die Anlage am Westende von Radebeul seitdem. Und einer, der den Besuchern Erlebnisse zwischen Weinreben und im Keller verschafft, ist Konrad Scheerbaum.
Sonja Schilg, die Leiterin des Weingutes, hat ihm damals dem Titel Chefverkoster verpasst. Das steht heute noch auf seiner Jacke – obwohl es den Chefverkoster gar nicht gibt. Konrad Scheerbaum hatte sich schon zu DDR-Zeiten und gleich nach der Wende ein paar Mark dazuverdient, indem er zu Weinproben, etwa in Großes Weinstuben in Altkötzschenbroda, über den Radebeuler Wein und Sekt erzählte. Da fand die Chefin, dass er das am besten gleich mal auch im Staatsweingut machen sollte.
Und das macht der inzwischen Senior und Rentner immer noch. Fit, zum Beispiel vom Fußballspielen, steigt er ab dem Frühjahr wieder mit Besuchergruppen in die steilen Rebanlagen am Wackerbarth-Berg und plaudert über den mineralhaltigen und spritzigen Riesling, der hier sonnengereifte Trauben hervorbringt. Oder den Weinberg Goldener Wagen, die edelste Lage im Elbtal, dessen Weine schmelziger und fülliger als von anderswo schmecken. „Das spürt man auf der Zunge und im Abgang“, sagt der Kenner.
Konrad Scheerbaum erinnert sich, wie ihm die Zeitschrift "Vinum" zu DDR-Zeiten ein Freund aus der Schweiz monatlich zuschickte und er deshalb von den Staatsbehörden peinlichst befragt wurde. Mit eigenem Westgeld hat er sie sich nach der Wende selbst abonniert.
Die jüngste Ausgabe hält er mit Stolz in den Händen. „Wir als so kleines Weingut, geehrt von den Schweizern nach der Auswahl unter 500 eingereichten Sekten aus 75 Weingütern und Sekthäusern – das ist wirklich was wert.“
Von Peter Redlich
Foto: © Arvid Müller