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Der Fischhändler sagt tschüss

Bischofswerda verliert wieder ein Geschäft. Nur noch bis zum 10. August wird Gerd Schneider sein „Fisch-Eck“ an der Kirchstraße öffnen.

Lesedauer: 3 Minuten

Dann gönnt er sich eine Woche Urlaub. Anschließend wird ausgeräumt. Ende August gibt er die Räume nach fast 13 Jahren an den Hauseigentümer Axel von Gahlen zurück. Das Geschäft trägt sich nicht mehr, begründet der 63-Jährige seine Entscheidung. Umsätze von rund 50 Euro am Tag decken bei weitem nicht die Kosten, von einem Gewinn ganz zu schweigen. „Im vergangenen Jahr ging es noch. Doch seit Januar greife ich das Ersparte an, das ich fürs Alter zurückgelegt habe, um die Miete zu bezahlen“, sagt Gerd Schneider.

Weniger Kunden und Konkurrenz durch Discounter

Frischen Fisch bieten heute auch Discounter an. Zwar eingeschweißt. Doch dem „Fischmann“, der seine Ware täglich frisch vom Fischhandel Nartzschke in Wölkau bezieht, tut das Abbruch. Hinzu kommt die Situation in der Innenstadt. Es sind weniger Kunden als vor Jahren unterwegs. Kurz, nachdem das Finanzamt geschlossen wurde, stellte Gerd Schneider seinen Fisch-Imbiss ein. Acht bis zehn Mittagsportionen hatte er täglich an Mitarbeiterinnen der Behörde verkauft. Als dieser Umsatz wegbrach, lohnte es sich nicht mehr, die Fritteuse anzuwerfen. Bei den Kunden nach wie vor gefragt sind seine Fischsemmeln. Die schmecken auch Hamburgern, sagt er und erzählt eine Episode: Eines Tages hielt eine Limousine mit Hamburger Kennzeichen vor seinem Geschäft. Die beiden Hanseaten kauften sich eine Fischsemmel und zogen kauend davon, um sich etwas in Bischofswerda anzusehen. Kurz darauf kam einer zurück und kaufte eine zweite Semmel. Solche Fischsemmeln, noch dazu für damals 1,50 Euro, bekomme man in ganz Hamburg nicht, sagte er.

Ein Mann mit Herz und Anstand

Es sind auch solche Erlebnisse, von denen Gerd Schneider zehrt. Er ist ein Mann mit Herz, der sich die Zeit nimmt, seiner vorwiegend älteren Kundschaft zuzuhören und mit ihr zu reden. Der mitfühlt, wenn eine Frau, die vor Kurzem noch gemeinsam mit ihrem Mann einkaufen kam, allein und in Schwarz das Geschäft betritt. Menschlicher Anstand und seine Würde sind ihm wichtig. Dazu gehört für ihn auch, Grenzen zu ziehen, wo andere unanständig sind. Der gelernte Schäfer arbeitete bis zum Ende des Mähdrescherwerkes bei der Anschlussbahn. Danach sattelte er um zum Kraftfahrer. Er war Fernfahrer bei einer Spedition, danach Lkw-Fahrer bei einem örtlichen Dienstleistungsunternehmen. Als dessen Chefin den Mitarbeitern kündigte mit der Aussicht, sie wieder einzustellen, aber ohne die bisherigen Berufsjahre anzuerkennen, war für ihn Schluss im Betrieb. Er machte sich mit einem Kurierdienst selbstständig. Bis nach wenigen Jahren auch der Kooperationspartner, ein großes Logistikunternehmen, den Vertrag kündigte und ihm schlechtere Konditionen anbot. Auch da ging Gerd Schneider nicht mit. „Ich wollte immer mit Anstand ein Geschäft führen. Man muss rechnen und notfalls die Reißleine ziehen, wenn eine Sache droht, aus dem Ruder zu laufen“, sagt er.

Nach 48 Arbeitsjahren ist Schluss

Dass der Fischliebhaber im Dezember 2005 das Geschäft in Bischofswerda eröffnete, war maßgeblich auch seiner Frau und seinen Kindern zuzuschreiben. Sie hatten ihm zugeredet. Zeitweilig hatte der Großdrebnitzer sogar ein zweites Geschäft in Seifhennersdorf, im Vorkassenbereich eines Supermarktes, gleich neben Bäcker und Fleischer. Es lief besser als damals noch das Geschäft in Bischofswerda, berichtet er. Bis der Supermarkt quasi über Nacht geschlossen wurde. Bäcker und Fleischer machten dicht. Der Fischhändler stand allein da. Für die Technik, darunter eine weitaus größere Fischtheke als sie im Bischofswerdaer Laden Platz gehabt hätte, fand sich kein Käufer – 30 000 Euro Verlust.

So etwas tut weh. Doch umwerfen lässt sich der schwergewichtige Mann davon nicht. Ab September ist er Rentner, nach 48 Arbeitsjahren. Doch wir werden weiter von ihm hören. Als Mitglied des Vereins Napoleonstraße 1813, dessen Schatzmeister er ist, und als Generalmajor von Brause im Regiment König des sächsischen Grenadierbataillons. Noch nicht entschieden hat sich Gerd Schneider, ob er beim Schiebocker Weihnachtsmarkt weiterhin den Weihnachtsmann spielen wird. Nach einem Schlaganfall vor einigen Jahren, von dem er sich glücklicherweise wieder erholt hat, möchte er etwas kürzer treten.

 

von Ingolf Reinsch

Bildquelle: Steffen Unger

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