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„Der ländliche Raum ist nicht verloren“

Bautzens Landrat Michael Harig will eine Studie von Hallenser Wirtschaftsforschern nicht kommentarlos hinnehmen.

Lesedauer: 3 Minuten

In den Städten gibt es mehr Wirtschaftskraft, deshalb sollten sie auch mehr gefördert werden als der ländliche Raum. Mit dieser These sorgte für Kurzem eine aktuelle Studie des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle für Unmut jenseits der Zentren. Auch bei Bautzens Landrat Michael Harig (CDU). In Bausch und Bogen verurteilen will er die Autoren aber nicht.

Herr Harig, was waren Ihre ersten Gedanken, als Sie das Papier der Hallenser Wirtschaftsforscher gelesen hatten?

Ich dachte, da wird mal wieder so eine sprichwörtliche Sau durch’s Dorf getrieben. In der Vergangenheit haben wir ähnliche Papiere schon vom Dresdner Ifo-Institut für Wirtschaftsforschung gelesen, jetzt also aus Halle. Ich finde, dass solche Einschätzungen zur Zukunft der ländlichen Regionen mehr verwirren als orientieren. Die Botschaften ähneln sich: Der ländliche Raum ist verloren – die Zukunft liegt in den Städten. Da gehe ich nicht mit.

Aber die Wirtschaftsforscher in Dresden und Halle stehen ja in Konkurrenz zueinander, sie haben sich nicht abgesprochen. Wenn sie unabhängig voneinander zum gleichen Ergebnis kommen, ist da nicht etwas dran?

Es sind Wissenschaftler. Sie werten Zahlen aus, nicht die Gefühle von Menschen. Natürlich liegen ihren Aussagen Daten und Fakten zugrunde. Die dabei festgestellten Unterschiede zwischen Ost und West, Stadt und Land können unterlegt werden. Das Festgestellte dann zu bewerten, ist aber sehr subjektiv. Es kommt auf die Position und Haltung an, welche Schlüsse man zieht. Wenn dem nicht so wäre, könnten wir auf politische Diskussionen verzichten. Es bräuchte nur noch gerechnet zu werden. Irrtümer und Fehlentwicklungen wären ausgeschlossen.

Die Wissenschaftler schlussfolgern, dass gleiche Lebensverhältnisse bis in jeden Winkel Deutschlands nicht zu schaffen sind. Das stimmt doch.

Ja und nein. Es stimmt, wenn wir sagen: Es muss bis in jedes Dorf eine S-Bahn geben, die wie in Berlin im Zehn-Minuten-Takt fährt, und dann haben wir gleiche Lebensverhältnisse. Aber da scheitern wir schon an der Definition: Was sind überhaupt gleiche Lebensverhältnisse? Nach meinen Erkenntnissen unterscheiden sich diese von der Münchner Innenstadt zur Lüneburger Heide oder der Eifel mindestens ebenso wie zwischen Dresden und dem Lausitzer Seenland. Um noch einmal auf das genannte Beispiel zurückzukommen: Eine Stadt wie Berlin braucht S-Bahnen im Zehn-Minuten-Takt. Dörfer in der Oberlausitz brauchen keine Busse in dieser Häufigkeit. Was sie brauchen und zu Recht fordern, sind gute und annehmbare Busverbindungen untereinander und in die Städte. Und zwar auch an Wochenenden und in den Schulferien. Deshalb wollen wir im Landkreis Bautzen ja auch ab 2022 den Busverkehr neu organisieren. Vernünftiger Nahverkehr macht den ländlichen Raum attraktiv.

Auch für Menschen, die dem hektischen Stadtleben Adieu sagen wollen?

Für alle, die hier gern leben möchten. Das sind sowohl Menschen, die hier verwurzelt sind, als auch Neuankömmlinge aus den Städten. Fahren Sie mal durch die Dörfer und schauen Sie, wie viele Eigenheime da neu gebaut werden. Das würde doch niemand machen, wenn es so furchtbar und ohne Zukunft wäre, auf dem Lande zu leben. 70 Prozent der Menschen wohnen außerhalb der großen Städte. Auch die wirtschaftliche Wertschöpfung findet zu mehr als 60 Prozent auf dem Lande statt.

Zum Einkaufen fahren viele Menschen aus den Dörfern trotzdem in die Städte – einfach, weil es auf dem Land keine Einkaufsmöglichkeiten mehr gibt.

Wir können keinem Händler vorschreiben, wo er ein Geschäft betreibt. Was wir können, ist, dass wir als Landkreis in Schulen, Rettungswachen, Kultureinrichtungen und vor allem in die Breitbanderschließung investieren. Wir lassen uns dabei von der festen Überzeugung leiten, dass es auch weiterhin Menschen geben wird, die gern und sehr bewusst außerhalb der Ballungszentren leben wollen. Nun führt der technische Fortschritt zu neuen Entwicklungen. Arbeitsteilung und -organisation werden grenzenloser. Wer mit dem Internet arbeitet, kann zwar weiter in einer Fabrik angestellt sein, viele Aufgaben aber auch zu Hause am Laptop erfüllen. Neue Antworten für die Zukunft müssen gefunden werden, welche ich mir als wirkliche Handlungsempfehlung von wissenschaftlichen Studien wünschen würde.

 

Von Tilo Berger

Foto: © Uwe Soeder

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