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Der Neue für Dresdens HTW

Der ehemalige VW-Manager Ingo Gestring will für die Hochschule mehr Forschung und eigene Doktoranden.

Lesedauer: 4 Minuten

Ein Mann schaut lächelnd in die Kamera.
Ingo Gestring stammt aus Melle in Niedersachsen. Er studierte Maschinenbau in Hannover und promovierte dort am Institut für Verfahrenstechnik, arbeitete bei VW und Bentley. 2009 kam er als Professor für Produktionslogistik an die HTW Dresden, war Dekan der Wirtschaftswissenschaften und ist nun Rektor. Foto: Thomas Kretschel

Von Stephan Schön

Dresden. Ende März in Dresden. An der Hochschule für Technik und Wirtschaft fragt eine Studentin ihren Professor, ob sie ihn auch ab der kommenden Woche dann wie bisher einfach so mit Fragen zur Abschlussarbeit ansprechen könne. Nicht ungewöhnlich eine solche Frage. Nur Ingo Gestring ist nicht irgendein Professor, er wurde die Woche drauf der Rektor dieser großen Hochschule. Und seine Antwort zu der Studentin: „Auf jeden Fall können Sie mich auch dann noch erreichen.“ Ungläubig die Rückfrage der Studentin „Aber als Rektor?“
Ja auch als Rektor. „So viel Zeit muss bleiben“, sagt Ingo Gestring. Wenngleich die Forschung nun zurückstecken muss, die Studenten jedenfalls bleiben, die er betreut. Der Manager, der aus der Wirtschaft kam und nun eine der großen Hochschulen in Sachsen leitet, er bleibt nahbar. Bodenständig. Er kam aus der Chefetage, wurde Mitarbeiter an der HTW Dresden, und ist nun wieder in der Chefetage. „Das aber ist hier ganz anders als in der Industrie“, erzählt er beim Treffen mit diesem Wirtschaftsmagazin.
Damals war er auch international für VW im Management tätig. In der Gläsernen Manufaktur Dresden leitete er die Fertigung und war für die Logistik verantwortlich. Da war sein Kalender auf die Viertelstunde genau durchgetaktet, wie er sagt. Er hatte ein großes eigenes Büro, ein eigenes Sekretariat, Assistenten und wurde mit Konzernboni entlohnt. Das China-Geschäft brummte gerade so richtig. Das wäre eigentlich die Zukunft für ihn gewesen.

Die Verbindung zur Industrie ausbauen
Ingo Gestring entschied sich anders. Für Dresden, für seine Frau und den gemeinsamen Wohnsitz hier. Und er ging von der Wirtschaft in die Wissenschaft. „Es war schon ziemlich Glück, dass diese Professur an der Hochschule ausgeschrieben war“, erzählt er heute und erinnert sich, wie er damals, 2009, hier an der HTWD ankam: Da war ein Büro für ihn reserviert, das er sich mit einem Kollegen teilte. Und er wurde darauf hingewiesen, dass es doch letztlich ein besonderes Büro sei, eines mit Waschbecken.
Die Zeiten sind andere geworden an der HTWD. Inzwischen wurde an der Hochschule viel gebaut. Neue, große Labors vor allem. Neue Büros. Nur, das Rektorat blieb dort, wo es seit Jahrzehnten zu finden war. Gestring ist nun dort eingezogen. An der Spitze der Hochschule, die er noch ein Stück näher mit der Industrie zusammenbringen möchte. Es gebe ja schließlich die großen Universitäten in der Region. Seit Januar hat Sachsen nun auch noch die Duale Hochschule mit sieben Standorten. „Und dazwischen befinden wir uns. Wir müssen viel stärker zeigen, was wir können. Anders werden wir in dem Wettbewerb um die Studierenden nicht bestehen.“

Ingo Gestring setzt auf Praxis und Praxisnähe. „Gegenüber der TU haben wir den großen Vorteil, dass die Professorenschaft bei uns aus der Praxis kommt. Aus den Unternehmen. Sie wissen, was in den Konzernen läuft und was in den großen Institutionen angesagt ist. Die Studierenden hier werden uns nicht daran messen, wie viele wissenschaftliche Publikationen aus ihrer Fakultät kommen. Sondern daran, wie viel Praxiswissen dort vermittelt werden kann.“ So wie er selbst damals hier angefangen hat, als neuer Professor mit der Erfahrung aus der Wirtschaft. „Alle Übungsaufgaben, die Fallstudien beispielsweise, die ich für die Lehre entwickelt habe, basieren auf meinem Wissen aus dem Management in verschiedenen Unternehmen, unter anderem bei VW.“

Die Forschung stärken
Studenten sind dem Manager wichtig, sie sind das Wichtigste an dieser HTW und nicht die wissenschaftlichen Publikationen. „Gute Lehre ist in den vergangenen Jahren deutlich anspruchsvoller geworden.“ Das weiß er nur zu gut aus der eigenen Erfahrung als Hochschullehrer. „Ein gutgemachtes Vorlesungsskript reicht da längst nicht mehr. Zur Lehre gehören heute Videos genauso wie Podcasts. Das ist Coaching, statt frontale Lehre.“ Dennoch will Gestring die Forschung stärken und hat dafür eine Agenda. Professoren sollten sich als eine Art Unternehmer begreifen und so auch Forschungsaufträge an die Hochschule holen, die schließlich gemeinsam mit der Industrie abgearbeitet werden. „Das wird schwer. Die Konkurrenz ist hart und das Geld nun begrenzter. Ich gehe davon aus, dass jedem Professor hier ein Tag Forschung in der Woche ermöglicht wird.“
Forschung und Forschungsprojekte an Land ziehen, das war für ihn, der aus der Wirtschaft kam, eine Herausforderung. Als Manager konnte er ohne Anträge über erhebliche Gelder entscheiden. „Dort brauchte ich nur die richtigen Ideen. Das hier ist eine ganz andere Welt.“ Um es künftig den neuen Kollegen leichter zu machen, will er für die HTW sowas wie eine Laufbahnberatung für junge Professoren und Professorinnen gründen, wie sie am besten ihre Forschungsgelder akquirieren. „Die ersten Forschungsanträge sind die schwierigsten. Weil genau solch eine Hilfe mir selbst in den ersten Jahren hier an der Hochschule sehr geholfen hätte.“

Dresden schon lange im Fokus
Der Weg dahin begann bereits mit der Wende. 1989 kam der Dittersbacher Posaunenchor zu Besuch nach Niedersachsen in seine Heimat also. Und hier traf Ingo Gestring erstmals seine Frau. Es war der Beginn einer Freundschaft, der Anfang für eine Familie mit vier Kindern. Nun mit Haus und Hof bei Stolpen und zwei Isländer-Pferden auf der Wiese. Das gemeinsame Hobby des Musizierens hatte Ingo Gestring und seine Frau letztlich zusammengebracht. Musik ist heute noch wichtig und bleibt es. Auch die Kinder musizieren auf Blasinstrumenten, erzählt Ingo Gestring.
Dresden war also bei ihm bereits mehr als zehn Jahre lang im Fokus, als sich nach seiner Promotion an der Uni in Hannover 2002 eine Stelle im Management der Gläsernen Manufaktur in Dresden für ihn auftat. Bis ihn dann die Wissenschaft rief. 2009 als Wirtschaftsprofessor der HTW, und nun Rektor. Mit seiner Forschung Lean and Green Production in der Automobilindustrie und Digitalisierung dort bleibt er der Autoindustrie jedoch ein Stück weit auch jetzt noch erhalten. Und das auch mit den Absolventen, die er für die Wirtschaft ausbildet.

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