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Deutschlands „Bahnhof des Jahres“ kommt zum 4. Mal aus Sachsen

Der Bahnhof in Bautzen wird an diesem Montag zu „Deutschlands Bahnhof des Jahres“ gekürt. Würdigung einer Wiederauferstehung, die ohne privates Engagement nicht möglich gewesen wäre.

Lesedauer: 8 Minuten

Man sieht den Bautzner Bahnhof
Mit Bautzen kann Sachsen bereits zum 4. Mal Deutschlands „Bahnhof des Jahres“ vorweisen – nach Leipzig, Bad Schandau und Dresden. Quelle: Hentschke Bau GmbH

Michael Rothe

Bautzen. Er habe sich geschämt, wenn er Gäste am Bahnhof abgeholt habe, sagt Jörg Drews. Wie dem Chef von Hentschke Bau ging es vielen Bautznern. Es sei eine Katastrophe gewesen und habe ihn geärgert, „denn wir haben eigentlich eine schöne Stadt“. 2014 war das Empfangsgebäude so desolat, dass es baupolizeilich gesperrt werden musste. „Der Bahnhof war seines Namens nicht mehr würdig“, ergänzt Gerald Lucas, Prokurist beim größten Bauträger der Stadt.

2014 wurde die Bahnhofshalle baupolizeilich gesperrt. Reisende kamen nur um das Gebäude herum zum Zug und zum improvisierten Ticketschalter.
Quelle: Uwe Soeder

Das ist zehn Jahre her, und aus dem Schandfleck wurde ein funktionales Schmuckstück. Mehr noch: Der Bahnhof der ostsächsischen Kreisstadt ist „Deutschlands Bahnhof des Jahres 2024″. Mit dem Titel zeichnet die Allianz pro Schiene seit 2004 die besten Bahnhöfe aus der Perspektive der Reisenden aus. In der Jury sind unter anderem der Fahrgastverband Pro Bahn, der Verkehrsclub Deutschland, der Fahrrad-Club ADFC und der Deutsche Tourismusverband. Sie vergab auch einen Sonderpreis an den Landbahnhof Sörup in Schleswig-Holstein. Mit Bautzen stellt Sachsen zum 4. Mal den Champion – nach den Hauptbahnhöfen Leipzig, Dresden und dazwischen der Station in Bad Schandau.

Doch bis zu dessen Neueröffnung 2020 war es ein weiter Weg. 2014 seien sie auf dem Weg vom Notar am Bahnhof vorbeigekommen. Da habe er zu seinem Geschäftspartner gesagt: „Das kann man doch nicht dulden, wir sollten uns der Sache annehmen?“, erinnert sich Drews, Inhaber einer der größten Baufirmen Ostdeutschlands mit 700 Beschäftigten. 2015 hätten sie einen Optionskaufvertrag mit der Deutschen Bahn (DB) geschlossen. „Die Herausforderung war, die große Halle als Verteiler zu nutzen und die Seitenflügel zu integrieren. Vorher gab es nur Treppenaufgänge rechts und links“, sagt Lucas. Der Charakter eines Bahnhofs mit einer großen – dank neuem Oberlicht künftig hellen – Halle sollte unbedingt erhalten bleiben, so der 54-Jährige.

Um mit einer kompletten 3. Etage zusätzliche Bürofläche zu gewinnen, wurde im Zuge der Sanierung das Dach um 1,50 Meter angehoben.
Quelle: Hentschke Bau GmbH

Das ist zehn Jahre her, und aus dem Schandfleck wurde ein funktionales Schmuckstück. Mehr noch: Der Bahnhof der ostsächsischen Kreisstadt ist „Deutschlands Bahnhof des Jahres 2024″. Mit dem Titel zeichnet die Allianz pro Schiene seit 2004 die besten Bahnhöfe aus der Perspektive der Reisenden aus. In der Jury sind unter anderem der Fahrgastverband Pro Bahn, der Verkehrsclub Deutschland, der Fahrrad-Club ADFC und der Deutsche Tourismusverband. Sie vergab auch einen Sonderpreis an den Landbahnhof Sörup in Schleswig-Holstein. Mit Bautzen stellt Sachsen zum 4. Mal den Champion – nach den Hauptbahnhöfen Leipzig, Dresden und dazwischen der Station in Bad Schandau.

Doch bis zu dessen Neueröffnung 2020 war es ein weiter Weg. 2014 seien sie auf dem Weg vom Notar am Bahnhof vorbeigekommen. Da habe er zu seinem Geschäftspartner gesagt: „Das kann man doch nicht dulden, wir sollten uns der Sache annehmen?“, erinnert sich Drews, Inhaber einer der größten Baufirmen Ostdeutschlands mit 700 Beschäftigten. 2015 hätten sie einen Optionskaufvertrag mit der Deutschen Bahn (DB) geschlossen. „Die Herausforderung war, die große Halle als Verteiler zu nutzen und die Seitenflügel zu integrieren. Vorher gab es nur Treppenaufgänge rechts und links“, sagt Lucas. Der Charakter eines Bahnhofs mit einer großen – dank neuem Oberlicht künftig hellen – Halle sollte unbedingt erhalten bleiben, so der 54-Jährige.

Um mit einer kompletten 3. Etage zusätzliche Bürofläche zu gewinnen, wurde im Zuge der Sanierung das Dach um 1,50 Meter angehoben.
Quelle: Hentschke Bau GmbH

Zur Eröffnung 1846 kam sogar Sachsens König – mit dem Zug

„Wir haben das Dach 1,50 Meter angehoben, um eine 3. Etage zu gewinnen“, ergänzt der Geschäftsführer. Da habe die jahrelange Erfahrung des Unternehmens geholfen. Hentschke ist Spezialist für Verkehrs-, Industrie-, Gesellschafts- und Sozialgebäudebau und als Brückenbauer bekannt. Auch an Bahnhöfen wie Dresden-Neustadt habe die Firma ihre Spuren hinterlassen. Aber als Bauherr sei es das erste Projekt gewesen, sagt Bauingenieur Drews.

Die Geburtsstunde der deutschen Eisenbahn 1835 ist auch die der Bahnhöfe. Da Züge länger und die Zahl der Reisenden höher war als in Postkutschen, brauchte es Bahnsteige und Hallen. Anfangs klein und aus Holz, entstanden Ende des Jahrhunderts repräsentative Empfangsgebäude, teils regelrechte Kathedralen des Verkehrs wie in Leipzig.

Anfangs hatte der Bahnhof noch keine Bahnsteige – festgehalten um 1850 auf dem Aquarell von Gustav Täubert.
Quelle: Museum Bautzen

In Bautzen ging es ein paar Nummern kleiner. Zur Eröffnung am 23. Juni 1846 war der sächsische König Friedrich August II höchstselbst angereist: mit Gemahlin und großem Gefolge in einem Festzug aus zehn Waggons – gezogen von der legendären Saxonia, der ersten deutschen Dampflok und der Lusatia, einem Dampfross aus Belgien. Während der zweistündigen Visite tönten Glockengeläut und Böllerschüsse.

Mit der Erweiterung um die markanten Seitenflügel 1877 kam das Gebäude seiner heutigen Gestalt nahe. 1921 wurde die Empfangshalle vergrößert und nach vorn gezogen. 1945 in den letzten Kriegswochen ausgebrannt, danach schlichter wieder aufgebaut, war der Bahnhof zu DDR-Zeiten ein grauer aber wichtiger Verkehrsknoten mit Linien nach Dresden, Görlitz, Hoyerswerda und Bad Schandau. Bis Anfang der 1990er fuhr mit dem „Sorbenexpress“ sogar ein Schnellzug nach Berlin.

Heute halten weniger Züge in Bautzen als im Jahr 1900

Aber die Zeiten sind vorbei. Die Deutsche Bahn spricht von 70 Zügen pro Tag. Zum Vergleich: Im Jahr 1900 waren es 92 Personen-, Eil- und Güterzüge. Die Station auf halbem Weg zwischen Sachsens Landeshauptstadt und Görlitz kennt nur noch die beiden Richtungen. Von der Länderbahn als Trilex betriebene Züge verkehren als RB 60 und RE 1, die Reisende mehrmals täglich nach Zgorzelec bringt, wo sie Richtung Breslau (Wroclaw) umsteigen können.

Pro Tag verkehren etwa 70 Reisezüge zwischen Dresden und Görlitz – organisiert von der Länderbahn als Trilex.
Quelle: kairospress

Wenn sich einer der meist vier Züge pro Stunde ankündigt, ist es in der Halle vorbei mit der Idylle. Pendler hasten auf einen der beiden aktiven Bahnsteige. Am Bahnhof steigen laut Zweckverband ZVON, der den Nahverkehr in der Oberlausitz und Niederschlesien organisiert, pro Tag etwa 3.300 Menschen ein und aus. Allenfalls Touristen haben einen Blick für das mitten im Atrium stehende Altstadtmodell mit gut 300 liebevoll gefertigten Häusern auf Basis eines Plans von 1709.

Meist geht es in der Halle beschaulich zu. Da taucht Karin Prien auf, die nicht nur wegen ihrer neongelben Jacke auffällt. Die 78-Jährige hat das Herz auf der Zunge und trifft Bekannte – auch ihren pakistanischen Nachbarn Anwar Shah. Der 35-jährige Journalist ist wegen politischer Verfolgung vor fünf Jahren nach Deutschland geflohen. An jenem Vormittag hat er mit Iqbal Khattak einen Landsmann dabei und zeigt dem Kollegen von der Organisation „Reporter ohne Grenzen“ bis ihr Zug kommt die Station.

Anwar Shah und Iqbal Khattak (v.l.) sind aus Pakistan und bewundern auf dem Weg nach Dresden die Halle.
Quelle: kairospress

Beim Blick nach oben entdecken sie in der Galerie der 1. Etage ganz besondere Wandbilder: Repliken von acht Stukkateur-Arbeiten mit Motiven traditioneller Oberlausitzer Wirtschaftszweige wie Waggonbau, Fischzucht, Weberei. Der Lausitzer Künstler Alfred Herzog schuf diese Sgraffiti nach dem Zweiten Weltkrieg. Seine übermannshohen Originale stehen unweit im Areal der Kfz-Zulassungsstelle. Neben dem Straßenverkehrsamt sind mit den Landratsbehörden für Jugend und Soziales, ZVON, Bäckerei Dreißig, Barmer Ersatzkasse, DB Netz AG, Avis Autovermietung, drei Schilderdiensten und dem Blumenladen auf dem Vorplatz weitere Frequenzbringer untergebracht – alle barrierefrei erreichbar. Zudem gibt es neben dem Gebäude 300 Park- und 160 Fahrradstellplätze.

Eine Wartelounge für alle – und kostenlose Toiletten

„Außen prachtvoll, innen praktisch“, bringt es die Allianz pro Schiene auf den Punkt. Der Bahnhof beeindrucke nicht nur mit denkmalgerecht sanierter Fassade, heißt es in der Begründung der Jury. Auch im Inneren präsentiere er sich hell, freundlich, offen. Das kleine Reisezentrum biete neben Fahrkarten auch Tageszeitungen, Snacks und Kaffee an. Gewürdigt werden außerdem der Lounge-Bereich für Wartende, der Büchertausch-Schrank und das Café mit gemütlichen Sitzbereichen innen und außen, die Wandfotos aus der Geschichte des Bahnhofs, kostenlose Toiletten, günstige Gepäckschließfächer, die anbieterübergreifende Packstation am Bahnsteig.

Plaudertasche Karin Prien kommt nur wegen des Kaffees, „denn zu dem gibt es immer ein paar Kekse gratis“, gesteht die Mecklenburgerin, die seit 25 Jahren in Bautzen lebt. Mit der Bahn habe sie nichts am Hut, „aber die Zitronen-Sahne-Schnitten sind toll – wie der gesamte Bahnhof“.

Karin Prien kommt nicht der Züge wegen zum Bahnhof, gönnt sich aber beim Bäcker regelmäßig ein Käffchen.
Quelle: kairospress

„Der war früher sogar mal Teil der Verbindung Breslau–Paris“, schwärmt Bauunternehmer Drews. Von solcher Bedeutung könne man heute nicht mehr sprechen.

Bahn besitzt in Sachsen nur noch 21 Bahnhöfe

Die wenigsten der 396 seit 1999 von der Deutschen Bahn (DB) in Sachsen verkauften Empfangsgebäude haben Kümmerer. Die meisten verfallen und sind Opfer von Vandalismus. In keinem anderen Bundesland hat die DB mehr dieser Gebäude abgestoßen – und selbst nur noch 21 in Besitz. Grund dafür war die seit der Bahnreform 1994 geltende Anforderung, dass sich Bahnhofsgebäude aus Mieteinnahmen komplett selbst finanzieren müssen.

Mitte 2022 dann der Sinneswandel. Seitdem verkauft die neue Tochter DB Infrago AG keine Empfangsgebäude mehr. Der Konzern setzte „nun sukzessive, im Sinne der Gemeinwohlorientierung und Kundenzufriedenheit, auf eine neue Gestaltung und Weiterentwicklung in Zusammenarbeit mit den Städten und Gemeinden“, wie ein Sprecher mitteilt. Derzeit gibt es in Deutschland rund 5.700 Stationen für Bahnreisende. Von den dort rund 2.300 Empfangsgebäuden gehören nur noch etwa 700 der Deutschen Bahn.

Die wenigsten der fast 400 von der Deutschen Bahn in Sachsen verkauften Bahnhöfe haben Kümmerer. Viele Empfangsgebäude fristen ein trauriges Dasein – wie das in Dürrröhrsdorf bei Dresden.
Quelle: Jürgen Lösel

„Die DB war wohl froh, dass wir kaufen wollten“, mutmaßt Drews. Schließlich habe ihr Angebot schon länger bei der Stadt gelegen. Ohne die privaten Investoren hätte man das nie bewerkstelligen können, räumt die Verwaltung freimütig ein. Während einige von Armutszeugnis für die Bahn sprechen, sehen andere den Deal positiv. Auch die Erkenntnis, die Sanierung selbst nicht zu schaffen und den Weg für andere frei zu machen, sei ein Verdienst.

Bahnhofsretter träumen von einer Verbindung Paris-Breslau

Über Geld redet Drews ungern. Nur so viel: „Es war nicht der symbolische Euro, wie oft nach der Wende, aber erschwinglich.“ Die Sanierung habe einen zweistelligen Millionenbetrag gekostet, so der 65-Jährige. Außer steuerlichen Vergünstigungen habe es kein Fördergeld gegeben. Nur fürs Schulterklopfen komme man nie zum Ziel, sagen die Investoren. Um das durchzuziehen, müsse man schon „Enthusiast für die Heimat und ein bissel bekloppt sein“. Die Bautzner zollten ihnen dafür Respekt, so der Firmenchef, der sich auch im Stadtrat engagiert und bei der Kommunalwahl im Juni die mit Abstand meisten Stimmen für das Bürger-Bündnis Bautzen holte.

Jörg Drews und Gerald Lucas (v. l.) haben Bautzens Bahnhof gekauft, saniert – und ihm neue Türen geöffnet.
Quelle: kairospress

Der Bahnhof ist das Tor zur Stadt, sein Erhalt auch nach dem Bau nicht leicht. Das Problem: Vandalismus. Man müsse ständig Schäden und Schmierereien beseitigen, sagt Drews. Der Aufwand: rund 30.000 Euro. Die DB, weiter für die Gewährleistung des Betriebs verantwortlich, teilt die Sorge. Dennoch hat Sachsens Datenschutzbeauftragte eine Videoüberwachung untersagt.

Anderswo hingegen wird das unproblematisch gesehen: so am Nürnberger Hauptbahnhof und am Berliner Südkreuz, wo testweise Hunderte Kameras laufen. Sie verhinderten zwar keine Straftaten, aber die Aufklärungsquote liege bei 100 Prozent, heißt es aus Bahnkreisen.

Wir träumen von einer erneuten Linie Paris–Breslau, damit wieder internationale Gäste in der Stadt absteigen.

Jörg Drews, Mitinhaber des Bahnhofs Bautzen

Das Projekt sei beruflich nicht ihr größtes, „aber ein sehr besonderes, weil viele Emotionen dran hängen“, resümieren die Bahnhofsretter. Drews und Lucas wünschen sich von Sachsens Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (CDU) „ähnliche Unterstützung wie für Görlitz“ sowie die für 2030 versprochene S-Bahn nach Dresden. „Und wir träumen von einer erneuten Verbindung Paris–Breslau, damit wieder internationale Gäste in der Stadt absteigen.“

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