Er sieht von Weitem wie ein Flughafen-Terminal aus und ist drinnen ein Kuhstall de luxe: der erste Kuhgarten Deutschlands. Am 20. Juni wurde er in Kleincarsdorf bei Kreischa von der Dresdner Vorgebirgs Agrar AG offiziell eröffnet. Bereits im Mai sind die ersten 240 Kühe eingezogen. Künftig werden es über 600 sein. Angestrebt wird die Haltungsform 4, die höchte Stufe der freiwilligen Kennzeichnung in Deutschland.
Während sich Landwirtschaftsminister, Vorstände, Behördenvertreter, Baufirmen und weitere Beteiligte unterhalten, machen die Kühe, was sie immer machen: fressen, lümmeln, schlafen, lassen sich massieren und melken und ihrer Verdauung freien Lauf. Alles dann, wenn ihnen danach ist – auch das Melken.
„Die Kühe gehören in die Gegend und den Speckgürtel um Dresden“
Ab und zu werden auf dem weichen und durchlässigen Boden liegende Kühe aufgescheucht, weil der Roboter vorbeikommt, der ihre Hinterlassenschaften einsammelt. Ein anderer Roboter bringt das Futter. Der Stall ist an den Seiten offen und hat eine Dachkonstruktion mit viel Stahl. Zwischen den Kuh-Aufenthaltsbereichen wachsen Bäume und Büsche, die dem besonderen Stall seinen Namen geben. Für die Dachstatik holten sich die Kleincarsdorfer Unterstützung in Holland.

Quelle: Vincent Kamprath
„Dieser Stall ist eine zukunftsweisende Verbindung von Tierwohl, Digitalisierung, Wirtschaftlichkeit, Klimaschutz und Hygiene“, sagte der sächsische Landwirtschaftsminister Georg-Ludwig von Breitenbuch am Freitag in Kleincarsdorf.
Der Stall sei ein wichtiger Beitrag zur Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln und zur Entwicklung des ländlichen Raumes und darüber hinaus. „Die Kühe gehören in die Gegend und den Speckgürtel um Dresden.“

Quelle: Vincent Kamprath
In Kleincarsdorf sehe man die Möglichkeiten der sächsischen Landwirtschaft zur Innovation, sagte der Minister und dankte den Initiatoren für ihren Mut, neue Wege zu gehen, und für ihren Durchhaltewillen. „Ich hoffe, dass die nun beginnende Praxis auch die Skeptiker dieses Projekts überzeugen wird.“ Damit spielte der Minister unter anderem auf die Gemeinde Kreischa und Anwohner an.
Acht Jahre von der ersten Idee bis zur Eröffnung
Die Idee für den Kuhstall hatte die Dresdner Vorgebirgs Agrar AG vor acht Jahren. Die letzte große Investition lag 20 Jahre zurück. Viele Genossenschaften verabschiedeten sich von der Tierproduktion. „Wir wollten einen anderen Weg gehen, etwas Neues machen“, sagt Ingolf Schulze, einer der Chefs. Damals seien Tierwohl, Klimawandel und ökologischer Fußabdruck noch kein Thema gewesen, sagt Lutz Müller, der andere Chef. Dass es am Ende so lange dauerte, war auch eine Folge der juristischen Auseinandersetzungen, die zugunsten des Projektes entschieden wurden, den Baustart aber um ein Jahr verzögerten.

Quelle: Vincent Kamprath
Der Kuhstall in Zahlen
- 10.002 Quadratmeter groß ist der Stall.
- Platz ist für bis zu 630 Kühe und 150 Kälber.
- Über zwölf Millionen Euro hat der Stall gekostet. Der Freistaat förderte den Bau mit knapp sieben Millionen Euro.
- Acht Mitarbeiter kümmern sich im Stall um die Kühe und die Technik.
- 220 Kühe wurden von der Reinhardtsdorfer Genossenschaft gekauft und übernommen, die die Tierproduktion eingestellt hat.
Verfressene und verschmuste Kühe
Dirk Strauß gibt den Kühen einen Klaps im Vorbeigehen und schaut, das sie sich ordentlich benehmen. Strauß arbeitet seit März bei der Agrargesellschaft, vorher war er Fleischermeister. Als Quereinsteiger aus gesundheitlichen Gründen bezeichnet er sich. Er schaut auch nach den faulen und verfressenen Kühen.

Quelle: Vincent Kamprath
Die Verfressenen haben schnell das Prinzip beim Melken erfasst. Nach dem Melken gibt‘s Kraftfutter-Leckerlis. So schlau die Kühe auch sind, der Automat ist schlauer. Die Menge der Leckerli richtet sich nach der Milchmenge. Derzeit liegt die durchschnittliche Milchmenge bei 41 Liter pro Kuh und Tag. Namen haben die Kühe nicht, das wäre bei derzeit 240 und künftig bis zu 600 auch zu viel. Die verschmusten Hildegard und Linda machen eine Ausnahme.
Die Milch der glücklichen Kühe aus Kleincarsdorf wird an Heinrichsthaler verkauft. Mit denen habe man einen guten Vertrag aushandeln können, sagte Vorstand Ingolf Schulze. Der Stall ist fertig, die Arbeit gehe weiter. Als nächstes wird über die Verarbeitung der Milch vor Ort, einen Hofladen und ein Kompetenzzentrum nachgedacht. Für das Zentrum brauche man weiter die Unterstützung des Freistaates, sagte Schulz und richtete sich an den Minister: „Sie wissen, wir sind hier engagierte Leute, die es schaffen wollen, auch den Leuten zu zeigen, dass die Milch bei aller Technik aus dem Euter der Kühe kommt.“
SZ