Görlitz bleibt. Unter dieser Zeile hatten gestern der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und die Industriegewerkschaft (IG) Metall ins Zentrum der Neißestadt eingeladen, um den Erhalt der zwei größten Görlitzer Industriebetriebe zu feiern.
Ursprünglich hatte der kanadische Schienenfahrzeugkonzern Bombardier sein östlichstes deutsches Werk genauso schließen wollen wie der Industrieriese Siemens. DGB und IG Metall rechnen sich zugute, mit öffentlichem Druck beide Schließungen verhindert zu haben. Um sich darüber zu freuen, boten die Organisatoren gestern sowohl Sachsens Regierungschef Michael Kretschmer (CDU) als auch DGB-Bundesvorsitzenden Reiner Hoffmann (SPD) auf.
Beide erfuhren dabei, dass durchaus nicht allen Görlitzern zum Feiern zumute war. Zum Beispiel dem parteilosen Oberbürgermeister Siegfried Deinege. Er sieht Siemens auf einem guten Weg, auch wenn die nächsten Jahre für das Görlitzer Werk sehr schwer werden. Harsche Kritik äußerte Deinege am Bombardier-Konzern, der an der Neiße statt kompletter Züge nur noch Wagenkästen bauen will. „Zurzeit steuern wir auf eine verlängerte Werkbank zu. Der Kampf um den Standort muss aber jetzt Fahrt aufnehmen.“ Hoffnungslos sei die Situation nicht – „aber eben auch kein Anlass zur Freude“.
Doch die Neuordnung des Görlitzer Bombardier-Werkes kommt langsamer voran als gedacht, erfuhren Reiner Hoffmann und der sächsische DGB-Landesvorsitzende Markus Schlimbach am Nachmittag vor Ort. Grund: Der Betrieb steckt noch mitten in einigen Großaufträgen aus Deutschland, der Schweiz und Israel, die eigentlich schon abgehakt sein sollten.
Bombardier in Görlitz war für den 63-jährigen DGB-Chef die erste Station seiner zweitägigen Sommertour durch Sachsen. Dass die Umstrukturierung des Waggonbauwerkes länger dauert, ist für die Beschäftigten keine schlechte Nachricht. Immer noch seien mehr als 1 400 Menschen bei Bombardier in Görlitz beschäftigt, erklärte der ostsächsische IG-Metall-Bevollmächtigte Jan Otto. Der Konzern wolle das Werk aber umbauen und auf etwa 800 Mitarbeiter herunterfahren – immerhin rund 800 mehr als ursprünglich von den Kanadiern geplant.
Deutlich wortkärger als Jan Otto gab sich Reiner Hoffmann. Er habe bei Bombardier mit Betriebsräten und Standortleiter Pierre Fleury sprechen können, sagte Deutschlands oberster Gewerkschafter auf Anfrage der SZ. Die Werkleitung sei „nicht unfreundlich“ gewesen. Die Stimmung im Bombardier-Werk schätzte Hoffmann als „nüchtern, aber nicht euphorisch“ ein. Die Öffentlichkeit blieb bei Hoffmanns Besuch im Bombardier-Werk ausgesperrt.
Von einem Oberlausitzer Sorgenkind zum anderen: Hoffmanns Abstecher zu Bombardier folgte eine gut einstündige Stippvisite bei Siemens. Der Weltkonzern hatte das Werk ursprünglich 2023 schließen wollen, ruderte inzwischen aber zurück. Jetzt wird Görlitz der führende Betrieb für den Bau von Industriedampfturbinen im ganzen Konzern, hatte Vorstandschef Joe Kaeser unlängst im Gespräch mit der SZ angekündigt. Bis 2020 solle eine „schwarze Null“ in den Bilanzen stehen. Dabei lasse der Konzern den Verantwortlichen vor Ort freie Hand, um die nötigen Strukturen zu organisieren.
Bis zum 1. Oktober soll die neue Struktur stehen. Es werde eine „Mitarbeiter-Bewegung“ geben, ließ Standortleiter Ronald Schmidt gestern durchblicken. Es seien „noch einige Themen zu steuern“, um das globale Geschäft von Görlitz aus zu führen, teilte Schmidt dem DGB-Chef mit. An der Zukunft des Standortes hätten alle mitgewirkt, „jetzt kommt es darauf an, das Beste daraus zu machen“. Betriebsratsvorsitzender Ronny Zieschank sagte, es gehe jetzt darum, den „Standort Görlitz nachhaltig“ aufzustellen.
Viel Zeit, über Details zu sprechen, blieb nicht; der Gewerkschaftstross musste weiter zur nächsten Veranstaltung des Görlitz-bleibt-Tages. Aber ein kurzer Betriebsrundgang musste noch sein. Reiner Hoffmann ließ sich zeigen, wie Turbinenschaufeln und daraus fertige Anlagen entstehen. In den Werkhallen sah der DGB-Chef gestern weniger Mitarbeiter, als er an anderen Tagen zu Gesicht bekommen hätte. Aber Siemens hatte allen freigegeben, die an der Dankesfeier zum Erhalt des Werkes teilnehmen wollten.
Reiner Hoffmann ist keiner, der überschwänglich Gefühle nach außen trägt. Aber außer einem Lächeln waren gestern hin und wieder auch Sorgenfalten zu beobachten. Görlitz bleibt – in der Stadt werden weiter Zugteile und Turbinen gebaut, übern Berg sind die beiden größten Industriebetriebe der Stadt aber noch nicht.
Reiner Hoffmann setzt seine Sommertour heute in Leipzig fort. Unter anderem spricht er beim Ostdeutschen Energieforum, anschließend trifft er sich mit Polizisten und Betriebsräten der Deutschen Bahn AG. (mit dpa)
von Tilo Berger
Bildquelle: Nikolai Schmidt