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„Die Backstube war meine Kinderstube“: Abschied von der Dresdner Bäckerei Walther in Altpieschen

1967 übernahmen Matthias Walthers Eltern die Bäckerei an der Leipziger Straße in Dresden. Warum er den Laden nun geschlossen hat und wie es beruflich für ihn weitergeht.

Lesedauer: 4 Minuten

Das Bild zeigt den Bäckermeister in seiner Backstube.
Ein Herz für Kekse: Der Dresdner Bäckermeister Matthias Walther hat seine Bäckerei an der Leipziger Straße aufgegeben und konzentriert sich nun voll und ganz auf seine "Kexerei". © Christian Juppe

Von Sandro Pohl-Rahrisch

Dresden. Wäre es eine reine Kopfentscheidung gewesen, hätte sich Matthias Walther schon viel früher getrennt. Dann hätte er seine Bäckerei an der Leipziger Straße vor neun Jahren geschlossen und sich geschäftlich aus Altpieschen verabschiedet. Doch das Herz hatte mehr zu sagen. Bis jetzt. Walther hat den Laden zum 1. April dichtgemacht. Um seine Motive zu erklären, hat er ins benachbarte Trachau eingeladen.

Eltern gründen 1967 Bäckerei an der Leipziger Straße

Hier an der Industriestraße werden an diesem April-Vormittag goldgelb gebackene Schweinsohren aus dem Ofen geholt. Um hineinzubeißen, sind sie noch zu heiß. Während sie abkühlen, wandern die blassen Keksrohlinge in den Ofen. Auch wenn „Backmanufaktur“ nach klein und beschaulich klingt – an der Industriestraße wird groß gebacken: Blecheweise Schweinsohren stehen neben dem Ofen, Kisten mit hunderten Keksen werden gegenüber gestapelt und auf dem Backtisch knetet ein Mann gerade Teig mit Schokoladensplittern, aus dem einmal Kekse werden, von denen eine vierköpfige Familie ein Jahr lang naschen könnte.

Mit der Dresdner „Kexerei“ hat sich Matthias Walther ein Plätzchenimperium in der Landeshauptstadt aufgebaut: vier Filialen, rund 45 Mitarbeiter und ein gut laufender Online-Shop. Etwas, worauf der 56-Jährige stolz sein kann. Doch wenn er von den letzten beiden Tagen seiner kleinen Bäckerei neben dem Ballhaus Watzke spricht, wird seine Stimme wehmütig. Da ist es wieder, das Herz, das in den vergangenen neun Jahren das Sagen hatte. „Die Backstube war meine Kinderstube“, erzählt Matthias Walther.

1967 kehren die Eltern nach fünf Jahren aus Oberwiesenthal zurück und übernehmen an der Leipziger Straße die Bäckerei Fiedler. Im Jahr darauf kommt ihr Sohn Matthias zur Welt. „Unsere Wohnung über der Bäckerei hatte keine Küche und keinen Wasseranschluss, deshalb war die Bäckereiküche unsere Küche. Dort haben wir gewohnt.“ In der Backstube macht Matthias Walther im Laufgitter seine ersten Steh- und Gehversuche, während Vater Eberhard die Brote und Brötchen in den Ofen schiebt und Mutter Gisela im Laden steht. „Da hat sich einfach alles abgespielt.“

Ins Bäckerhandwerk hineingewachsen

Wer Brötchenduft inhaliert und einem Meister bei der Arbeit zuschaut, muss irgendwann vom Backfieber erfasst werden. Zumindest dauert es nicht lange, bis Matthias Walther vor seinem eigenen kleinen Kinderbackofen steht und Mürbchen hineinlegt. „Mehr als zwei Kekse haben nicht in den Ofen gepasst“, erinnert sich der Bäcker. Und bis sie fertiggebacken waren, sei eine halbe Ewigkeit vergangen. „Aber ich habe gemerkt: Backen, das ist meins.“

Matthias Walther wächst in das Bäckerhandwerk hinein, packt mit an, befreit die Stollenmandeln von der Schale, zupft das Grüne von den Erdbeeren, entsteint die Pflaumen, darf später sogar den Sauerteig fürs Brot ansetzen. Nach der Schule, in den Ferien, in jeder freien Minute. „Es war heftig, aber ich habe diese Zeit als schön empfunden.“

Den Spaß am Backen hat Matthias Walther nicht verloren, auch deshalb, weil er sich kreativ austoben kann. Die Kexerei zählt heute mehr als 100 Kekssorten – Vanille und Schokoladen, Cranberrys, Mandeln und Rosinen, sogar eine Variation aus Schinken und Käse gibt es. Schon als Teenager formt er Marzipanmasse, bis daraus Rosenblüten entstehen. „Ich weiß nicht, wie oft ich es versucht habe, bis es geklappt hat.“

Bäcker zu werden, stand nie infrage. „Es gab nie etwas anderes.“ So übernimmt er 2002 die Bäckerei seines Vaters – sechs Wochen, bevor das Jahrhunderthochwasser Dresden trifft. Die Elbe schafft es zwar nicht in die Backstube. Aber das Grundwasser setzt den Keller unter Wasser. Gebacken werden muss daraufhin erst einmal woanders, während die Schäden an der Leipziger Straße beseitigt werden. Ein turbulenter Start.

„Das Konzept der Kexerei funktioniert“

2009 erfüllt sich Walther, dessen Thema „Teegebäck“ bei der Meisterprüfung war, seinen Traum von der Kexerei, zunächst mit einer Filiale in der Centrum-Galerie. Das Geschäft gibt es inzwischen nicht mehr, dafür lockt der Duft frisch gebackener Kekse heute im Elbepark, im Kaufpark, im Hauptbahnhof und in der Sporergasse. Im Bahnhof Mitte betreibt der Bäcker ebenfalls einen Laden.

„Anfangs wurde ich mit meiner Idee von der Kexerei von anderen Bäckern belächelt“, erinnert sich Walther. „Aber ich habe schnell gemerkt: Das Konzept funktioniert. Wir haben damit ordentlich zu tun.“ 2014 produziert die Bäckerei schon etwa elf Millionen Kekse. Besonders in der Winterzeit ist das Gebäck gefragt. In diesen Monaten stellt Walther auch Stollen her.

Die Weihnachtszeit ist es auch, die dem Handwerksmeister die Grenzen seiner Backstube an der Leipziger Straße aufzeigt – Brot, Brötchen, Kuchen, Kekse, Stollen. Das alles auf 55 Quadratmetern herzustellen, ist eine Herausforderung. Deshalb verlagert er die Keksproduktion 2015 auf die Industriestraße. Dort wird heute auf mehr als 600 Quadratmetern ein Großteil der Kekse gebacken. In den Schaubackstuben in den Filialen kümmern sich die Mitarbeiter vor allem um Sonderaufträge, Kekse mit Firmenlogos für Unternehmen zum Beispiel.

„Wenn du einen Laden nur aus emotionalen Gründen betreibst, musst du es lassen“

„Wirtschaftlich hätte man schon damals auf der Leipziger Straße zumachen können“, so Walther. Es sei einfach zu wenig verkauft worden. Das habe aus seiner Sicht nicht wirklich etwas mit der Konkurrenz an Filialbäckern und Discountern in der Nähe zu tun. Die Lage sei einfach ungünstig. „Hinterm Haus verläuft die Elbe, da wohnt keiner. Und wer früh auf der Kötzschenbroder Straße ins Auto steigt, hat kaum eine Chance, vor unserem Laden zu parken.“ Die viel befahrene Leipziger Straße habe darüber hinaus wie eine Barriere gewirkt. „Es war noch nie ein Megastandort.“

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Bis 2018 bäckt Walther noch selbst an der Leipziger Straße, danach lässt er sich von der Bäckerei Uhlig mit Broten und Brötchen beliefern. Es ist ein letzter Versuch, das Geschäft nicht schließen zu müssen. „Ich habe eben dran gehangen.“ Jetzt, 2024, haben Walther und seine Frau die schwere Entscheidung getroffen, endgültig in Altpieschen aufzuhören. Der geringe Absatz, die gestiegenen Lohn- und Energiekosten, aber auch teure Reparaturen, etwa für die Kaffeemaschine, hätten den Ausschlag gegeben. „Wenn du einen Laden nur noch aus emotionalen Gründen betreibst, musst du es lassen“, gesteht sich der Geschäftsmann ein.

Die letzten Tage in der Bäckerei sind trotzdem nicht leicht für Matthias Walther gewesen. „Kunden kamen mit Blumen vorbei.“ Doch der Bäckermeister blickt nach vorn. „Mittlerweile sind wir eben die Kexerei.“

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