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Die Königinnen-Macher

Orgeln der Bautzener Firma „Hermann Eule“ erklingen weltweit. Christoph Kumpe hat viele auf den Weg gebracht.

Lesedauer: 4 Minuten

Bautzen. Eine schmale Holztreppe führt in der Orgelbauwerkstatt „Hermann Eule“ zum Refugium für die Intonation. In diesem kleinen Raum bekommen die Orgelpfeifen nach ihrem Bau ihren ersten vorläufigen Klang. Auf einem hölzernen Pfeifenbänkchen warten 54 bereits Wohl-Gestimmte aus Blei-Zinn zuerst auf das Verpacken und dann auf ihren Abtransport nach Bad Frankenhausen. „Das ist die Trompete. Für jede Taste gibt es eine Pfeife“, sagt Christoph Kumpe. Für den Technischen Leiter heißt das Ende der Restaurierung der Großen-Strobel-Orgel wieder einmal Abschied nehmen. Seit 40 Jahren arbeitet der 58-Jährige im traditionsreichen Handwerkbetrieb.

Christoph Kumpe stimmt einen Akkord an. Vor etwa 15 Jahren hat er die damals sehr derangierte „Königin der Instrumente“ aus der Unterkirche in der thüringischen Stadt zum ersten Mal begutachtet. Einige Pfeifen lagen nach einer Sanierung des Gebäudes unter abgeschlagenem Putz, andere waren verschwunden. Die Ursprünge der Orgel gehen bis 1703 zurück. Ihr heutiges Format erhielt sie 1886 durch den Orgelbauer Julius Strobel, der intakte Teile der ursprünglichen Orgel verwendete. Späteren und dem Zeitgeschmack geschuldeten Umbauten fielen in den folgenden Jahrzehnten fünf Register zum Opfer.

Die Suche nach den Originalteilen

Die Töne der Trompete schwingen nach. „Zum Glück haben wir den größten Teil wiedergefunden. Wir sind allein eine Woche durch das Instrument gekrochen, um die fehlenden Register – die Pfeifen gleicher Klangfarben zu finden“, sagt Christoph Kumpe und zeigt auf einzelne Metallpfeifen. Einigen ist ihr Alter anzusehen, andere sind frisch hergestellt und dann gibt es solche, wo alte Exemplare durch den Ansatz eines winzigen Stücks ihren Klang zurückbekommen.

Bei der Restaurierung geht es darum, so viel wie möglich vom Ursprungsinstrument zu erhalten. Mit zügigem Schritt geht Christoph Kumpe die hölzerne Treppe herunter. Zum ersten Mal betritt er Mitte der 1970er den damaligen Volkseigenen Betrieb in der Wilthener Straße. Eigentlich träumt er von einer Rundfunkmechanikerlehre.

Doch diesen Wunsch muss er ad acta legen. Stattdessen rät ihm der Technische Leiter des Orgelbaubetriebs seinerzeit: Komme zu uns. Die Familien kennen sich aus Löbau, wo Kumpes Vater bei „August Förster“ Klaviere baut. Der Sohn bewirbt sich 1976 in Bautzen. „Weil es keine Planstelle gab, wurde ich erst mal Tischler in Lawalde“, sagt der Orgelbaumeister. Am 1. August 1978 beginnt er die Orgelbauerlehre.

Seit 1872 in Bautzen

Hermann Eule meldet am 26. Januar 1872 sein Gewerbe als Orgelbauer in Bautzen an.

Nach seinem Tod 1929 übernimmt seine Tochter Johanne Eule die Firma.

Die Tradition des Orgelbaus setzt ab 1957 Hans Eule fort, ab 1971 vertrat dessen Frau Ingeborg Eule die Geschäfte des renommierten Handwerksbetriebs.

2006 ist ihre Enkelin und Orgelbaumeisterin Anne-Christin Eule ins Unternehmen eingestiegen, seit fünf Jahren kümmert sie sich gemeinsam mit ihrem Mann und Orgelbaumeister Dirk Eule um die Firma „Hermann Eule“.

Orgel-Export bringt Devisen

Seine ersten Handgriffe an einer Orgel macht Christoph Kumpe bereits 1975 als Ferienschüler. „Das war die Orgel für die Alte Kirche in Duisburg-Beeck“, erinnert er sich. Überhaupt gehen in dieser Zeit zahlreiche Instrumente ins sogenannte nichtsozialistische Ausland. Ihr Export bringt der DDR die so nötigen Devisen und dem alteingesessenen Handwerksbetrieb manchen Vorteil für den Bau von Orgeln zwischen Saßnitz und Suhl.

„Unsere Firma wurde zum Beispiel immer zuerst angerufen, wenn Holz auf den Markt kam, damit wir uns geeignete Bretter aussuchen können“

sagt der Technische Leiter. Heute wüssten die Holzzulieferer, welche Qualität die Orgelbauer benötigten. Christoph Kumpe durchläuft jede Station im Betrieb, lernt größere Kaliber und kleinere Schönheiten kennen. Kurz vor der Wende beginnt er mit der Meisterschule – und übt sich in der Konstruktion der luftdurchhauchten Königinnen.

Sein Meisterstück wird eine Orgel für das Gemeindezentrum in Pirna-Sonnenstein. Seinen ersten eigenständigen Entwurf fertigt er für die Orgel der Dreikönigskirche in Dresden nach 1990. Es sind schwierige Jahre. Westdeutsche Auftraggeber springen ab, weil sie nun für die Orgeln einen reellen Preis zahlen sollen. Aus Ostdeutschland bleiben die Aufträge ganz aus.

Spannende Projekte

Doch mit neuer Auftragsakquise und durch den hervorragenden Ruf des Handwerksbetriebs können sich die Wogen glätten. Mitte der 1990er-Jahre ist das Unternehmen auf einigermaßen sicherem Kurs. Für Christoph Kumpe und seine heute 38 Kollegen folgen unzählige spannende Orgelprojekte weltweit. Ein spektakuläres Vorhaben war für den Orgelbauer aus Kleinwelka unter anderem die Restaurierung und Erweiterung der Orgel aus der Schlosskirche in Wittenberg. „Unmittelbar nach dem Reformationstag 1993 haben wir sie ausgebaut, genau ein Jahr später erklang sie wieder“, sagt er.

Vergessen wird er auch nicht die Restaurierung der Orgel in der Leipziger Nikolaikirche vor 15 Jahren – mit 103 Registern eine der größten Orgeln Sachsens. Doch Christoph Kumpe denkt viel lieber an die Zukunft statt an die Vergangenheit. Sein jüngster Weg in Sachen Orgel-Patient führte ihn nach Berlin. Für die Auferstehungskirche bauten die Mitarbeiter der Bautzener Orgelbaufirma in den 1960er-Jahren ein Instrument. Nun wird die Kirche nur noch in Teilen als Gotteshaus genutzt.

Stattdessen sind Büros und vor allem Heizungen eingezogen. „Diese Wärme schadet Orgeln. Holz ist gerissen, die Leimfugen der Blasebälge sind kaputt. Es ist überall Wind, wo er nicht hingehört. Das Projekt muss aber erst ausgeschrieben werden“, sagt der Orgelspezialist. Als Technischer Leiter ist er unter anderem für die Angebote der Restaurierungen und Konzepte für den Umbau von Orgeln zuständig.

Orgel Nummer 476

In diesem Jahr dagegen kümmert sich die Werkstatt noch um den Neubau einer Orgel im holsteinischen Oldenburg und die Restaurierung der Ladegast-Orgel in Lohsa. „Ich bin bei Orgel Nr. 476 ins Unternehmen gekommen“, sagt Christoph Kumpe. Inzwischen haben knapp 700 Instrumenten das Bautzener Haus seit seiner Gründung 1872 verlassen. Dazu kommen gut 100 restaurierte, historische Instrumente. Und jedes Mal heißt es dann für Orgelbauer Abschied nehmen, wie auch jetzt bei der „Königin“ für Bad Frankenhausen.

 

von Miriam Schönbach

Bildquelle: Uwe Soeder, 

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