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„Die Leute in der Oberlausitz glauben, der Strukturwandel hat noch gar nicht begonnen“

Die Stimmung in der Oberlausitz ist schlechter als die wirtschaftliche Lage, sagt der Kommunikationspsychologe Jörg Heidig - und erklärt, woran das liegt und was sich dagegen tun lässt.

Lesedauer: 3 Minuten

Kommunikationspsychologe Jörg Heidig steht vor der Bautzner Skyline und lächelt vergnügt in die Kamera.
Jörg Heidig führt jährlich eine Online-Befragung von 1.000 Menschen in der Lausitz durch. Eine Erkenntnis aus diesem Jahr: Die Menschen haben noch gar nicht erkannt, dass der Strukturwandel im vollen Gange ist.

Von Tim Ruben Weimer

Bautzen. Der Oberlausitzer Kommunikationspsychologe Jörg Heidig sagt, der Wandel von der Braunkohle hin zur Forschung gehe noch an den Leuten vorbei. Der Landkreis Bautzen brauche ein klares Bild von der Zukunft.

Rein persönlich geht es den Leuten gut. Die Zufriedenheit mit dem eigenen Leben ist im Landkreis Bautzen sogar noch ein bisschen besser als im Landkreis Görlitz. Sie unterscheidet sich auch nicht von der in Deutschland insgesamt. Die Lausitzer sind nicht signifikant glücklicher oder unglücklicher.

In Bezug auf die Region gibt es allerdings Unterschiede. Wenn man fragt „Wie zufrieden sind Sie mit der Lage in Ihrer Region?“ haben wir zehn Prozentpunkte weniger positive Zustimmung als im Bund. Da sieht man, dass wir es hier mit Strukturwandel und einer verschärften demografischen Lage zu tun haben.

Strukturwandel ist so ein abstrakter Begriff. Wie betrifft er die Menschen im Landkreis Bautzen überhaupt?

Menschen in Bautzen eher nicht. Wenn wir über Hoyerswerda und die Gegend drumherum reden, dann betrifft die Leute das schon mehr. Der Strukturwandel betrifft eher die Region insgesamt. Natürlich gibt es auch Bautzener, die in der Energiebranche oder bei zuliefernden Maschinenbauern arbeiten, die dann direkt oder indirekt von dem wirtschaftlichen Wandel betroffen sein werden.

Die Skepsis gegenüber dem Kohleausstieg hat in der Region wieder zugenommen. Es gab 2021 in der Lausitz erstmals mehr Befürworter des Kohleausstiegs als Gegner. Jetzt gibt es wieder mehr Gegner als Befürworter. Selbst pragmatische Menschen machen irgendwann den Deckel zu, wenn jetzt über den früheren Kohleausstieg gesprochen wird.

„Wir haben hier eine Wahrnehmungslücke“

Was genau daran ist für die Menschen nicht nachvollziehbar?

Das eine ist die allgemeine politische Stimmung. Einiges lässt sich nicht von den Entscheidungen in Berlin trennen. Das heißt, ich kann hier kommunizieren, was ich will – wenn in Berlin bestimmte Leute die falschen Sätze sagen, ist die Stimmung, wie sie ist.

Die andere Seite ist, dass wir hier in der Gegend eine Wahrnehmungslücke haben: Es laufen schon viele Strukturwandel-Projekte, aber die Leute haben das Gefühl, es ist noch gar nicht losgegangen. Zwei Drittel sagen, dass in der Lausitz ein tiefgreifender Strukturwandel notwendig ist. Dass er schon losgegangen ist, sagt aber nur ein Drittel.

Woran erkennt man überhaupt, dass der Strukturwandel schon losgegangen ist?

Das ist ja die Frage. Es soll jetzt ein Referenzkraftwerk zum Thema Wasserstoff in Schwarze Pumpe kommen. Wenn man nicht jeden Tag die SZ liest oder die entsprechenden Seiten bei Facebook abonniert hat, weiß man das nicht.

Die Baustelle liegt nicht so sehr beim Strukturwandel, wir haben vor allen Dingen eine Kommunikations-Baustelle. Wir müssen öfter darüber reden und mehr Geld in konkrete Bilder von der Zukunft investieren. Die Lage ist besser als die Stimmung. Es wird viel über negative Dinge gesprochen, und wenn positive Geschichten kommen, werden sie bei Facebook zerredet. Die schweigende Mehrheit braucht aber positive Bilder von der Zukunft.

„Es wird Zentren geben, die stärker strahlen als andere“

Ist das geplante Astrozentrum in Görlitz kein positives Bild von der Zukunft?

Natürlich wird das auf die Region ein bisschen ausstrahlen. Man sollte es aber auch nicht übertreiben, denn die Frage ist: Wo wohnen diese Leute? Wenn sie in Dresden wohnen und jeden Morgen einpendeln, bleibt die Ausstrahlung auf die Region begrenzt. Sicher entsteht da ein Anziehungspunkt durch viele kluge Köpfe an einer Stelle, aber der Effekt für die Region bleibt begrenzt.

Die Entscheidung für das Astrozentrum in Görlitz war auch eine Entscheidung gegen Bautzen, hier hätte das Lausitz Art of Building angesiedelt werden können. Sind die Bautzener der Verlierer des Strukturwandels?

Langfristig wird es in der Lausitz Zentren geben, die stärker strahlen als andere. Ich glaube, mit dem Strukturwandelgeld steht erst einmal der letzte Zug im Bahnhof. Es wird keine weitere Investition dieser Größenordnung in den nächsten 30 Jahren geben. Die Herausforderungen für die Bundesrepublik liegen dann auf anderen Baustellen. Wirtschaftliche Dynamik kann man nicht mit der Gießkanne in der Landschaft verteilen.

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