Was tut ein Unternehmer, wenn er sich auf seine Lieferanten nicht mehr so recht verlassen kann? Er sucht nach anderen und stockt inzwischen sein Vorratslager auf. Andreas Sperl hat das getan. Der Chef der Elbe-Flugzeugwerke in Dresden und zweier Betriebe in Kodersdorf bei Görlitz bereitet sich auf den Brexit vor. Er ist zugleich Präsident der Industrie- und Handelskammer Dresden (IHK) und kann dennoch nicht besser als andere voraussehen, ob seine britischen Material-Lieferanten ihn künftig noch bedienen. Daher hat Sperl sicherheitshalber größere Materialvorräte angesammelt.
Doch der Brexit ist nicht seine einzige Sorge. Nach gut einem Jahr im Amt verriet der Chef der Kammer mit 92 000 Mitgliedern am Mittwoch noch mehr Zukunftsängste. Dabei hatte die IHK erst im Herbst von einer außerordentlich guten Geschäftslage berichtet.
Sorge 1: Der Brexit bringt langjährige Partner auseinander
Mit dem Brexit rechnen Sperl und seine Kollegen schon lange, aber die genauen Folgen sind immer noch nicht klar. „Die Aussichten sind nicht gut“, sagt der Kammerpräsident. Selbst bei einem geregelten Austritt Großbritanniens aus der EU dürften ab 2021 wieder Zollanmeldungen nötig sein, heißt es in einer Checkliste für Unternehmer auf der Internetseite der Kammer. Womöglich kommt es zu langen Einfuhrkontrollen, für die zunächst Personal fehlt. Womöglich erlöschen Genehmigungen für Produkte. IHK-Sprecher Lars Fiehler weiß, dass viele Unternehmen schon seit zwei Jahren in Verträge mit Briten Brexit-Klauseln hineinschreiben. Sie wollen sicher sein, notfalls vom Vertrag zurücktreten oder Preise nachverhandeln zu können. Großbritannien steht auf Platz 3 der sächsischen Exporte. Fast 200 Unternehmen im Bezirk Dresden liefern dorthin, elf haben dort Niederlassungen.
Sorge 2: In der Lausitz ist nicht nur die Zukunft der Kohle unsicher
Der Ausstieg aus der Braunkohle steht fest, aber kein Zeitpunkt. „Ein klares Konzept kennen wir noch nicht“, bedauert Sperl. IHK-Hauptgeschäftsführer Detlef Hamann sagt, eine „Unmenge an Konzepten“ für die Lausitz sei geschrieben worden, oft mit Schwerpunkt Energieregion. Nun warte jeder auf die Kohlekommission, doch danach müsse noch der Gesetzgeber entscheiden. Hamann will Sicherheit, damit nicht später etwa neue Grenzwerte den Kohleausstieg noch weiter vorziehen. Er warnt vor Versuchen, die Lausitz „völlig neu erfinden“ zu wollen. Große Arbeitgeber wie Siemens und Bombardier in Görlitz seien schon einmal gefährdet gewesen: „Möglicherweise laufen noch Kohlekraftwerke, wenn von ihnen niemand mehr spricht.“ Heute vorhandene Betriebe müssten auch künftig das Rückgrat der Lausitzer Wirtschaft sein. Sachsens Abstimmungen mit Brandenburg laufen laut Hamann nicht optimal.
Sorge 3: Elektromobilität gefährdet wichtigen Teil der Auto-Industrie
Gefahr droht laut IHK-Präsident Sperl auch Sachsens wichtigster Branche: der Autoindustrie, die allein 44 Prozent am Exportumsatz ausmacht. Die politisch verordnete Elektromobilität sei „ein heißes Experimentierfeld für die sächsische Wirtschaft“. Denn bisher seien Fabriken und Lieferanten vor allem auf Verbrennungsmotoren eingestellt. Sperl hofft auf eine „friedliche Koexistenz“ der beiden Auto-Gattungen. Er freut sich, dass Elektroautos in Sachsen gebaut werden. Aber gibt es genügend Kunden, was wird aus den Lieferanten?
Sorge 4: Sachsen werden älter, Ausländer schwer zu bekommen
In den kommenden zehn Jahren verliert Sachsen mehr als 300.000 Fachkräfte, vor allem durch Mangel an Nachwuchs für die neuen Rentner. Zugleich erwartet Sperl Wandel durch Digitalisierung und gesellschaftliche Werteveränderung. Personalmangel ist für ihn „ein echter Risikofaktor und Begrenzungsfaktor für weiteres Wachstum“. Er staunt, dass das angekündigte neue Gesetz zur vereinfachten Einwanderung wohl erst zum nächsten Jahreswechsel in Kraft trete. Aus Sicht des Unternehmers ist es wichtig, dass Fachkräfte aus dem Ausland leichter eingestellt werden können als bisher.
Sorge 5: Nach der Landtagswahl könnten stabile Partner fehlen
Sperl sagt, in seinem ersten Amtsjahr habe er „viel Gehör gefunden auf politischer Ebene“. Die Region habe sich in den vergangenen Jahren gut entwickelt. Doch nun sorgt er sich, dass nach der Landtagswahl vom 1. September keine Regierungskoalition mehr zustande kommt. Die IHK hat ein Set aus 13 Positionspapieren zusammengestellt, mit Themen wie Verkehr, Handel, Tourismus und Energie. Nun ist Mit-Autor Hamann gespannt, was sich davon in Wahlprogrammen wiederfindet.
Sorge 6: Bürokratie bringt Unternehmern Arbeit und Kosten
Als Unternehmer ist es Sperl gewöhnt, schnelle Entscheidungen zu treffen – Bürokratie findet er oft frustrierend und klagt über neue Herausforderungen wie Datenschutzgrundverordnung, Erhöhung des Mindestlohns und immer wieder neue Gesetze zum Arbeitsrecht.
Unerwähnte Sorge: Flüchtlinge sind kein Schwerpunktthema mehr
Das Thema Flüchtlinge, Schwerpunkt vieler Pressegespräche in den vergangenen Jahren, fehlte an diesem Mittwoch. Auf Nachfrage sagte IHK-Hauptgeschäftsführer Detlef Hamann dazu, viele Unternehmen hätten Flüchtlinge integriert, auch in Ausbildung. Der Staat stehe aber nicht immer zu seiner Zusage, während der Lehrjahre nicht abzuschieben. Die Firmenchefs müssten sich darauf verlassen können.