Suche
Suche

Die Wein-Pioniere

Der Klimawandel bietet neuen Rebsorten große Chancen. Sachsen ist beim Anbau vorn mit dabei.

Lesedauer: 3 Minuten

Meißen. Sie heißen Calardis blanc, Cabernet Cortis oder VB Cal 6-04: Neue Rebsorten sollen den Weinbau in Deutschland auch in Zeiten des Klimawandels sichern. Denn die den Weintrinkern vertrauten Rebsorten bekommen zunehmend Probleme. „Wir haben unseren Riesling am Kaiserstuhl gerodet, der Anbau ist bei steigenden Temperaturen nicht mehr sinnvoll“, sagt etwa der Direktor des Staatlichen Weinbauinstituts in Freiburg, Rolf Steiner.

Bei der Züchtung neuer Rebsorten geht es sowohl um die Anpassung an den Klimawandel als auch um die Entwicklung pilzwiderstandsfähiger Varianten. Die Neuen werden daher kurz Piwi-Sorten genannt.

Bislang haben Piwi-Reben einen Marktanteil von etwa drei Prozent der Anbaufläche in Deutschland. Sachsen liegt den 2017er Zahlen des Landwirtschafts-Landesamtes zufolge mit rund sieben Prozent, das sind 35 Hektar, deutlich über dem Durchschnitt. An erster Stelle steht die Sorte Solaris. Diese wird wegen ihrer ausgesprochenen Fruchtigkeit und frühen Reife vor allem für Federweißer und Cuvées verwendet. Dieses Jahr hat das Staatsweingut Schloss Wackerbarth aufgrund der seit Mai anhaltenden Hitze bereits vor gut drei Wochen mit der Lese des Solaris begonnen.

Der Direktor des Julius-Kühn-Instituts für Rebenzüchtung auf dem Geilweilerhof in Siebeldingen im Landkreis Südliche Weinstraße, Reinhard Töpfer, erwartet, dass es in zehn Jahren bereits zehn Prozent Piwis geben wird: „Der Klimawandel wird uns zu einem Sortenwandel zwingen.“ Der Riesling werde noch eine ganze Weile eine feste Größe im deutschen Weinbau sein. Aber Veränderungen seien unausweichlich. „Wir wollen nicht, dass wir künftig unseren Wein in Schweden produzieren.“

Riesling ist empfindlich gegen starke Sonneneinstrahlung, die Winzer sprechen von Sonnenbrand. Und wenn die Riesling-Trauben, wie , dieses Jahr erwartet, bereits im September reifen statt im Oktober, sind sie bei den dann wärmeren Temperaturen anfällig für den Fäulnispilz Botrytis. Für die Rebzüchter gehören somit Widerstandsfähigkeit gegen Pilzerkrankungen und Anpassung an den Klimawandel zusammen.

Im Freistaat Sachsen sind die Piwi-Pioniere vor allem unter jüngeren Privatwinzern zu finden. Bei Winzer Jan Ulrich in Diesbar-Seußlitz gehören sie ganz selbstverständlich zu einer im April neu präsentierten Reihe von Cuvées. „Sächsisch cool“, „Sächsisch strong“ und „Sächsisch top“ heißen die drei neuen Weißweinlinien. Zu den coolen Weinen zählt die Familie die leichteren Sorten wie Goldriesling, Johanniter oder Piwi – ein Cuvée aus den drei pilz-widerstandsfähigen Sorten Johanniter, Solaris und Souvignier gris. Seit Jahren setzt Ulrich in seinen Lagen auf eine umweltschonende Anbaumethode, die weitgehend auf Pflanzenschutzmittel verzichtet.

Bereits vom Aufbau seines Weinguts Rothes Gut auf den Höhen über Meißen an arbeitet auch Winzer Tim Strasser mit Piwis. Sein Weinbauberater habe ihm um 2010 zu Weinsorten wie Hibernal oder Helios geraten, bei denen wenig Pflanzenschutzmittel gebraucht wird. Das passe in die Zeit. „Piwis sind super, weil sie so gezüchtet wurden, dass sie lockerbeerig sind und wenig Fäulnis auftritt“, sagt Strasser. Die Pflanzen sind frosthart. Er sei glücklich mit ihnen. Sie passten zu seiner jungen Mannschaft.

Welche Bedeutung Sachsen selbst dem Thema beimisst, zeigt sich an einem staatlich geförderten Fortbildungsprogramm, welches 2017 und Anfang 2018 lief. Vier Weinexperten haben dabei in zehn Fachveranstaltungen den Winzern ihr Spezialwissen über Methoden vermittelt, die Sachsens Weinanbau fit für den Klimawandel machen sollen. Der erste sächsische Master of Wine Janek Schumann widmete sich im Februar explizit dem Thema Piwis.

Herkunftsort der neuen Sorten ist unter anderem das Weinbauinstitut Freiburg im Breisgau. Dort kümmert sich Gärtnerin Liane Veith um Aussaat und Jungpflanzen. Im März hat sie 1 700 Traubenkerne ausgesät, jeder Kern ist nach gezielter Kreuzung eine eigene Sorte. Von diesen entwickelten sich 1 100 zu einzelnen Sämlingen, die zweimal mit den verschiedenen Mehltaupilzen infiziert wurden. Nach der Infektion mit dem Falschen Mehltau blieben 110 Pflanzen ohne Krankheitssymptome übrig, nach dem zweiten Besprühen mit Erregern des Echten Mehltaus waren es noch 30. Diese Pflanzen werden dann als Kandidaten für eine weitere Verwendung ins Freiland ausgesetzt und beobachtet.

Für eine neue Sorte werden die resistenten Reben, deren Eltern oft Wildreben aus Amerika oder Asien sind, mit europäischen Qualitätsrebsorten gekreuzt. Das alles ist ein langer Weg: Von der Kreuzung bis zum ersten nennenswerten Ertrag dauert es etwa zehn Jahre. Erst wenn eine entsprechende Menge von Trauben da ist, lässt sich die Weinqualität einschätzen. Einschließlich weiterer Kreuzungen, Tests und Zulassung erstreckt sich die Zucht einer neuen Rebsorte über 25 bis 30 Jahre.

 

von Peter Anderson und Peter Zschunke

Bildquelle: Lutz Weidler

Das könnte Sie auch interessieren: