Andreas Dunte, Florian Reinke und Michael Rothe
Leipzig. Es ist ein regelrechter Geldregen, den die wahrscheinlich nächste Regierung aus CDU und SPD da auf Bundesebene angekündigt hat – doch Feierstimmung kommt in der Wirtschaft in Leipzig und Sachsen längst nicht überall auf. Die Pläne haben in der Wirtschaft in Leipzig und Sachsen gemischte Reaktionen ausgelöst – die Meinungen reichen von Zustimmung über Skepsis bis hin zu Ablehnung. Einigkeit herrscht zumindest in der Analyse: Leipzig benötigt Investitionen.
Ein immenser Investitionsbedarf in die Infrastruktur und dringend benötigte Impulse für die Bauwirtschaft seien zwar unstrittig, sagt Volker Lux, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer zu Leipzig. Doch es müsse nun darum gehen, die öffentlichen Haushalte von konsumtiven Ausgaben zu befreien, um Spielraum für Investitionen zu schaffen.
Handwerk in Sorge um Haushaltsdisziplin
Lux äußert Bedenken, dass sich die Politik in ihren Ausgaben nicht begrenzt, wenn jetzt auf diesem Weg Milliarden mobilisiert werden. „Mir persönlich fehlt das Vertrauen in die Politik, dass die Bildung von Sondervermögen zur mehr Haushaltsdisziplin führt. Schlussendlich muss man befürchten, dass Investitionen dann nur noch aus Sondervermögen finanziert werden und der Kernhaushalt weiter verfrühstückt wird.“
Leipzigs Wirtschaftsbürgermeister Clemens Schülke (CDU) begrüßt hingegen die Pläne für ein milliardenschweres Investitionspaket. „Das ist ein super Impuls“, sagte Schülke im Leipziger Rathaus. Gerade in einer Krise sei es wichtig zu investieren, um die Wirtschaft in Schwung zu bringen.
Dass die Infrastruktur in Deutschland in die Jahre gekommen ist, sei indes allen bekannt. Er verwies beispielhaft auf den Sanierungsbedarf bei Brücken: Im Raum Leipzig betrifft dies etwa die Georg-Schwarz-Brücken und die Agra-Brücke südlich der Messestadt.

Quelle: Andre Kempner
Tatsächlich könnten Leipziger Unternehmen von Investitionen des Bundes und des Freistaats in die Infrastruktur profitieren. Die Logik dahinter: Erhöhte Ausgaben der öffentlichen Hand führen zu neuen Aufträgen, beispielsweise für Baufirmen, was wiederum die Wirtschaft ankurbelt.
Leipziger Experte erwartet Wachstumsschub
„Zusätzliche Staatsausgaben werden kurzfristig zu zusätzlichen Wachstumsimpulsen führen“, betont der Leipziger Wirtschaftsprofessor Gunther Schnabl.
Angesichts der angespannten Haushaltslage dürften die höheren Zuweisungen des Bundes auch in Kommunen wie Leipzig willkommen sein. Zugleich kritisiert Schnabl: „Die Schuldenfinanzierung ist aus finanzpolitischer Sicht nicht nachhaltig, insbesondere in der geplanten immensen Dimension.“
Der Professor an der Universität Leipzig äußert mehrere Bedenken. So könne unter anderem die plötzlich steigende Nachfrage nach Waffensystemen oder Baudienstleistungen deren Preise in die Höhe treiben. Zudem prognostiziert er: „Der Druck zu dringlichen Reformen wird wieder abnehmen, sodass die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft niedrig bleiben wird.“ Auch sei Verschwendung wahrscheinlich, wenn die Ausgabenspielräume für den Staat schnell steigen.

Quelle: Kempner
Schnabls Analyse zufolge hat der Staat kein Einnahmen-, sondern ein Ausgabenproblem. „Es wäre besser, die zusätzlichen Ausgaben über Kürzungen in anderen Politikbereichen zu finanzieren. Das würde Strukturreformen begünstigen, die auf die mittlere Frist die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft und damit das Wachstum fördern würden.“
IHK Leipzig: Es kommt auf die Balance an
Zwei Herzen schlagen auch in der Brust von Fabian Magerl, Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer (IHK) Leipzig. Es sei höchste Zeit, die wirtschaftliche Selbstblockade zu durchbrechen, sagt er. „Wenn die mobilisierten Milliarden tatsächlich in Investitionen fließen, kann das ein Signal für unsere Wirtschaft werden.“ Er fordert von der Politik eindringlich: „Der Osten und die Region Leipzig müssen endlich in die großen Investitionsprogramme eingebunden werden. Es kann nicht sein, dass die Investitionen wieder nur im Westen ankommen.“
Gleichzeitig müsse aber klar sein: „Solide Haushalte bleiben das Fundament jeder verantwortungsvollen Finanzpolitik. Die aktuelle Notlage darf kein Freifahrtschein für endloses Schuldenmachen sein.“ So dürfe es nicht passieren, dass zukünftige Investitionen dauerhaft aus Schattenhaushalten finanziert werden, während der reguläre Haushalt ausgezehrt wird. „Die Balance zwischen Kernhaushalt und Sondervermögen muss erhalten bleiben.“
Maschinenbauverband: Plan von Union und SPD ist richtig
Zustimmung kommt vom Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) Ost mit Sitz in Leipzig. „Durch die Politik des amerikanischen Präsidenten Donald Trump hat sich die Ausgangslage auch für Deutschland grundsätzlich verändert: Wir müssen jetzt dringend die Versäumnisse der Vergangenheit korrigieren, die Verantwortung für unsere Verteidigungsfähigkeit und Sicherheit selbst übernehmen und massiv in Verteidigung und Infrastruktur investieren. Insofern ist der Plan von Union und SPD richtig, jetzt zur Abstimmung zu schreiten“, sagt VDMA-Präsident Bertram Kawlath.
Grundsätzlich seien zeitlich begrenzte und zweckgebundene Sondervermögen für klar definierte, nachholende Investitionsbedarfe einer grundlegenden Aufweichung der Schuldenbremse vorzuziehen. „Gerade bei Verteidigung und Sicherheit sind Effizienzpotenziale im EU-Binnenmarkt und Einsparpotenziale durch eine gemeinsame öffentliche Beschaffung zu prüfen.“
Ostdeutsche Bauindustrie ist erleichtert
Auch die regionale Bauwirtschaft fordert schon lange eine Investitionsinitiative. „Dass diese nun unter neuen Vorzeichen durch ein Sondervermögen Infrastruktur umgesetzt wird, ist zu begrüßen und angesichts der aktuellen geopolitischen Verwerfungen unerlässlich“, heißt es beim Bauindustrieverband Ost.
Auch die heimische Wirtschaft profitiere davon, „denn eine funktionierende Verkehrsinfrastruktur ist das Rückgrat der Volkswirtschaft und eine Grundvoraussetzung für die Ansiedlung von Unternehmen in der Region“, sagt Hauptgeschäftsführer Robert Momberg. Er warnt aber auch vor den Risiken einer erheblichen Neuverschuldung. Die Politik dürfe nicht nachlassen, dringend notwendige Strukturreformen voranzutreiben.
Gewerkschaft sieht sich in Kritik an Schuldenbremse bestätigt
Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) Sachsen sieht sich in seiner Kritik an der Schuldenbremse bestätigt. „Seit der Einführung der Schuldenbremse haben wir davor gewarnt, dass sich der bestehende Investitionsstau im Bereich der öffentlichen und sozialen Infrastruktur weiter verschärfen wird“, sagt Sachsens DGB-Chef Markus Schlimbach. Das Sondervermögen und die anderen Ergebnisse der Sondierungsverhandlungen von Union und SPD seien geeignet, „diese fundamentale Fehlentscheidung zu korrigieren“.
Schlimbach weist darauf hin, dass die für die Bundesländer und die Kommunen vorgesehenen 100 Milliarden Euro allerdings nicht ausreichen, um den dort bestehenden Investitionsstau komplett zu beseitigen: „Alleine für Sachsen haben wir für die kommenden 10 Jahre einen Investitionsbedarf von 44 Milliarden Euro errechnet.“ Davon seien für die Infrastruktur im Landes- und Kommunalbesitz in den kommenden Jahren 8,6 Milliarden Euro nötig – nicht dabei die eingestürzten beziehungsweise einsturzgefährdeten Brücken im Freistaat.