Von Michael Rothe
Dresden. An Sachsens Berufsschulen fällt etwa jede 12. Unterrichtsstunde aus. Das geht aus einer Statistik des Kultusministeriums hervor, die der SZ vorliegt. Der Grund: akuter Mangel an Lehrkräften. Laut dem Ministerium fielen in der ersten Hälfte des vorigen Schuljahres 8,3 Prozent der Stunden aus, fast doppelt so viele wie vor zehn Jahren.
„Die Lage ist sehr dramatisch“, sagt Dirk Baumbach, 1. Vorsitzender des Verbands Berufliche Schulen Sachsen, zumal ein Großteil der Pädagogen in den nächsten zehn Jahren in den Ruhestand gehe. Andererseits werden wegen gestiegener Geburtenzahlen mehr Auszubildende erwartet.
Die Dresdner Industrie- und Handelskammer (IHK) sieht die 61 Berufsschulzentren mit 70.000 jungen Leuten, davon 50.000 Azubis, in der öffentlichen Wahrnehmung unterbelichtet. Dabei sei die Personalnot dort noch größer als an allgemeinbildenden Schulen, der Altersschnitt in Lehrerzimmern noch einmal deutlich höher und die Nachwuchsgewinnung schwieriger – vor allem für technische Richtungen. Das Statistische Landesamt zählte im vergangenen Schuljahr 3.866 Lehrkräfte an öffentlichen Berufsschulen. Vor zehn Jahren waren es bei sogar leicht niedrigerer Schülerzahl noch 500 mehr gewesen.
Weniger Lehrer, mehr Azubis
Das Ministerium beziffert die Lücke im gerade begonnen Schuljahr mit 70 Vollzeitkräften. Burkhard Naumann, Landesvorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), kritisiert einen „von vornherein eingepreisten Ausfall“ und spricht von 230 tatsächlich zu besetzenden Stellen.
Die Linke im Landtag warnt, dass die Kapazitäten nicht ausreichen. Prognosen zufolge wachse die Zahl der Berufsschulabsolventen bis 2035 stetig, sagt Luise Neuhaus-Wartenberg, Bildungsexpertin der Fraktion. Besonders herausfordernd sei die Lage in den drei Großstädten, in Mittel- und Nordsachsen. Demnach gibt es dann in Dresden 8.990 Absolventen gegenüber 7.205 im Jahr 2020.
„Seit Jahren mangelt es an Fachlehrern; der Stundenausfall ist enorm“, sagt Sachsens Handwerkspräsident Jörg Dittrich. Auch mit bezahlbaren Lehrlingsunterkünften vor Ort sehe es meist nicht rosig aus. „Unsere Ausbildungsbetriebe dringen gegenüber dem sächsischen Kultusressort auf pragmatische, zielführende Lösungen, um der Probleme Herr zu werden“, so Dittrich, der auch Präsident der Dresdner Kammer und des Zentralverbands des deutschen Handwerks ist.
Netzplan wird 2025 evaluiert
Ministeriumssprecher Dirk Reelfs sieht „eine große Herausforderung“. Aber der vor zwei Jahren in Kraft getretenen Schulnetzplan schaffe „ein stabiles und langfristig gesichertes Schulnetz“. Ob sich der Plan bewährt, lasse sich noch nicht sagen, er werde 2025 ausgewertet und „erforderlichenfalls“ angepasst.
Die festgeschriebene Zentralisierung von Berufen an Einzelstandorten hatte zum Start im August 2021 für Unruhe und heftige Kritik gesorgt: zum Beispiel am Bau, im Tourismus und bei Maßschneidern. Lehrkräfte kündigten nicht nur innerlich, und Azubis beklagen seitdem lange Anfahrtswege.
Der Dresdner IHK-Chef sorgt sich derweil um den Wirtschaftsstandort. Lukas Rohleder befürchtet einen neuerlichen Run aufs Studium und die Abwanderung junger Leute zur Ausbildung in andere Bundesländer.