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Drang zum Wasserstoff: Große Teile Sachsens fühlen sich abgehängt

Für die Energiewende brauchen auch Erzgebirge und Lausitz Wasserstoff. Sächsische Fabrikanten und Energiekonzernchefs sagen, was aus ihrer Sicht bisher übersehen wird.

Lesedauer: 4 Minuten

Man sieht einen Mann an einem Wasserstofftank.
Er braucht 1.330 Grad Hitze und will ans Wasserstoff-Netz: Max Jankowsky führt die Gießerei Lößnitz und ist Präsident der Industrie- und Handelskammer Chemnitz. © Archivfoto: Uwe Mann

Von Georg Moeritz

Chemnitz. Max Jankowsky braucht 1.330 Grad Hitze. Der Präsident der Industrie- und Handelskammer Chemnitz (IHK) leitet hauptberuflich die Gießerei Lößnitz im Erzgebirge, die Pressformen für Autofabriken herstellt. Statt Erdgas will Jankowsky in einigen Jahren Wasserstoff nutzen – doch er hat den Eindruck, dass Chemnitz, das Erzgebirge und andere Teile Sachsens bei der deutschlandweiten Planung des Wasserstoffnetzes vergessen werden. Bei einem Pressegespräch mit dem Chemnitzer Oberbürgermeister Sven Schulze (SPD) schlug Jankowsky am Freitag Alarm.

Der Fabrikant Jankowsky hält die „Riesen-Energiewende für unabdingbar“. Seine Kollegen im Erzgebirge und er seien „bereit für den technologischen Fortschritt“. Aber als vor einigen Tagen die Betreiberfirmen der Fernleitungen eine Deutschlandkarte mit dem geplanten Wasserstoff-Kernnetz veröffentlichten, sah Jankowsky dort viele weiße Flecken. Für Chemnitz und das Erzgebirge ist dort ebensowenig eine Fernleitung zu sehen wie für Dresden und die Lausitz.

Der Chemnitzer Oberbürgermeister Schulze sagte, die Region dürfe nicht wieder abgehängt werden – wie lange Zeit Chemnitz vom Bahn-Fernverkehr. Roland Warner, Chef des regionalen Energieversorgers Eins Energie in Sachsen mit Sitz in Chemnitz, sieht Tausende Arbeitsplätze in der Industrie der Region gefährdet, falls die Betriebe nicht ans Wasserstoffnetz angeschlossen werden.

Wasserstoff bisher per Lastwagen in Fabrik geholt

Dabei wird Chemnitz sogar Sitz einer der großen Forschungseinrichtungen zu diesem Brennstoff: das Innovationszentrum Wasserstofftechnologie für Mobilitätsanwendungen (HIC) wird derzeit in Sachsens drittgrößter Stadt aufgebaut. Allerdings erinnerte IHK-Chef Jankowsky daran, dass Chemnitz sich die Einrichtung bei der Vergabe überraschend mit Pfeffenhausen in Bayern teilen musste – dafür sei er dem ehemaligen Minister Andreas Scheuer (CSU) „immer noch ein bisschen böse“.

Die Chemnitzer IHK hat 16 Beispielbetriebe mit ihrem Energieverbrauch aufgelistet und fordert weitere auf, ihren Bedarf zu melden. Das Auerhammer Metallwerk in Aue-Bad Schlema ist dabei: Geschäftsführer Robert Krumbach berichtete, dass er außer Erdgas schon jetzt 300.000 Kubikmeter Wasserstoff pro Jahr verbraucht, um Metallbänder dünner zu walzen und verschiedene Legierungen zu verbinden.

Der Wasserstoff kommt bisher per Lastwagen in die Fabrik, die viel größere Menge Erdgas über eine Leitung. Falls die nicht ans künftige Wasserstoffnetz mit Verbindung an die Häfen angeschlossen würde, müsste das Metallwerk künftig bis zu 15 Lastwagen pro Tag mit Wasserstoff anfahren lassen. Eine eigene Elektrolyse-Anlage zur Produktion des Gases in Aue sei nicht machbar, sagte Krumbach.

Der Kartenausschnitt zeigt das geplante Wasserstoff-Kernnetz zum Planungsstand Juli 2023. Gestrichelte Linien stehen für geplanten Neubau, durchgezogene für Erdgasleitungen, die umgestellt werden sollen.© Vereinigung der Fernleitungsnetzbetreiber Gas

Bis nächsten Freitag sollen die Kammern und anderen Interessenvertreter ihre Stellungnahmen zum geplanten Wasserstoffnetz abgeben. Für Anfang 2024 wird eine Entscheidung der Bundesregierung darüber erwartet. Karl Lötsch, Geschäftsführer des Fachverbands HZwo, erwartet für die nächsten Tage daher einen Wettbewerb unter deutschen Regionen. Verbandsmitglieder aus Süddeutschland hätten ähnliche Sorgen wie Chemnitz.

Vorhandene Methangas-Leitung lässt sich nutzen

Aus Dresden hatte bereits Sachsen-Energie-Chef Frank Brinkmann Unterstützung der Politik gefordert: Anfang des Monats sagte er zu sächsische.de, es fehle der Anschluss Ostsachsens und Dresdens an ein Wasserstoffnetz. „Das ist fahrlässig.“ Das Wasserstoff-Kernnetz in der Planung der Fernleitungsbetreiber besteht vorrangig aus vorhandenen Erdgastrassen, Neubau soll es nur in Ausnahmefällen geben.

Lötsch erwartet einen „Kampf um die ersten wenigen Mengen grünen Wasserstoffs.“ Weil Erdgasverbrennung den Klimawandel befeuert, soll künftig Wasserstoff mithilfe von Ökostrom aus Wasser abgespalten werden. Deutschland könne den Wasserstoffbedarf der Industrie aber nicht vollständig selbst mit Ökostrom decken. Viele Staaten seien bereit zum Export von Wasserstoff nach Deutschland – aber wenn er in Häfen ankomme, müsse er über Fernleitungen zum Beispiel nach Chemnitz gelangen.

Der Weitertransport vom Zentren wie Chemnitz in die schon angeschlossenen Industriebetriebe sei zu schaffen, sagte Eins-Energie-Chef Warner. Sein Unternehmen beliefere derzeit über 7.300 Kilometer Gasnetz 11.000 gewerbliche Kunden. Die Wasserstoffmoleküle seien zwar kleiner als das jetzt verwendete Methangas. Aber die vorhandenen Leitungen besser abzudichten, wo nötig, sei zu schaffen.

Dulig und Günther setzen sich für mehr Anschlüsse ein

Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) schrieb in einer Pressemitteilung am Freitag, der Freistaat setze sich beim Bund dafür ein, dass auch die Region Chemnitz-Zwickau „einen Anschluss an die Wasserstoffautobahn“ erhalte. Auch der Industriebogen Meißen, die Chip-Industrie in Dresden und Freiberg sowie die Kraftwerksstandorte in der Lausitz müssten angeschlossen werden. Dulig betonte aber, der Aufbau des Pipelinesystems beginne erst. An die Planungen zum Wasserstoff-Kernnetz werde sich ein Netzentwicklungsprozess anschließen.

Die Chemnitzer wollen aber von Anfang an dabei sein. Sachsens Energieminister Wolfram Günther (Grüne) hatte bereits nach der Veröffentlichung des Wasserstoff-Kernnetzplans angekündigt, in einer Stellungnahme zum Plan eine Ausdehnung des Netzes zum Beispiel auf Chemnitz und die Lausitz zu fordern.

Eins-Energie-Chef Warner wies darauf hin, dass es außer dem Plan zum Wasserstoff-Kernnetz auch das Wasserstoffprojekt Hypos gibt, das eine Ringleitung um Leipzig vorsieht. Von dort könne es einen Anschluss über Limbach-Oberfrohna nach Chemnitz geben.

Stromleitung nicht stark genug für Wärmepumpen

Warner erinnerte daran, dass sein Unternehmen, das aus den Stadtwerken Chemnitz hervorging, Ende dieses Jahres aus der Kohleverbrennung aussteigt. „Ab Januar ist das Kohlezeitalter für Chemnitz beendet“, sagte Warner. Als Übergangstechnologie solle bis Mitte der 30er-Jahre Erdgas verbrannt werden. Dafür habe das Unternehmen MAN-Gasmotoren angeschafft, die später durch Wasserstoff-Anlagen ersetzt werden sollen. Auf die Frage, ob es ausreichend Wasser für die nötige Wasserstoffproduktion gebe, sagte Warner, diese Frage sei lösbar – eventuell seien zusätzliche Talsperren nötig, um die Elektrolyseure zu versorgen.

Der Eins-Energie-Chef sagte, derzeit werde sein Unternehmen fast überrannt mit Anträgen für Fernwärme-Anschlüsse. 40 Prozent der Chemnitzer Haushalte seien bereits angeschlossen, die Diskussion um neue Gesetze zur Wärmewende führe zu mehr Interesse. Schwierigkeiten gebe es jedoch örtlich bei der Wärmewende hin zu Wärmepumpen mit Elektroantrieb: Am Chemnitzer Stadtrand entstehe gerade ein neues Wohngebiet mit 30 bis 40 Häusern. Das vorhandene Stromnetz „gibt es nicht her, das Baugebiet mit Wärmepumpen zu versorgen“, sagte Warner. Eine neue Mittelspannungsleitung dorthin genehmigen zu lassen, könne ein Jahr dauern, die Fertigstellung ein weiteres Jahr.

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