Von Andreas Rentsch
Seit Ende Mai wird in sächsischen Volkswagen-Werken nur noch der ID.3 gebaut. Genauer gesagt die zweite Generation jenes ersten ID-Modells, mit dem der Konzern 2020 in die rein elektrische Zukunft gestartet war. Sächsische.de hatte Gelegenheit, den Wagen 24 Stunden lang zu testen.
1. Der erste Eindruck: Innenraum fühlt sich wertiger an
Man muss schon genau hinsehen, um den neuen ID.3 vom Vorgänger unterscheiden zu können. Die wabenartigen Vertiefungen im Stoßfänger sind verschwunden, ebenso die schwarze Plastikhutze auf der Motorhaube. Erwachsener sei das Design geworden, sagen die Verantwortlichen.

Im Innenraum fällt das größere Zentraldisplay auf. Und die bessere Materialanmutung: Weil VW für viel Hartplastik im ersten ID.3 viel Kritik einstecken musste, hat der Konzern die Kunststoffe in den Türen und dem Armaturenbrett wertiger gemacht und die Sitze mit Handschmeichler-Stoffen bezogen. Im Testwagen mit einem Mikrofasermaterial, das zu 71 Prozent aus recyceltem PET besteht, wie VW-Sprecher Jochen Tekotte erklärt.
Gleichzeitig sind die mit Klavierlack überzogenen, kratzempfindlichen Flächen weniger geworden. Das Lenkrad ist nicht mehr mit echtem Leder bezogen, sondern tierfreiem Imitat. Erster Eindruck beim Probesitzen: fühlt sich gut an.
2. Die Bedienung: Es bleibt beim Touchflächen-Dogma
An der Bedienung des ID.3 wird VW erst 2024 etwas ändern. Statt konventioneller Bedienelemente gibt es auch weiterhin fast nur noch Touchflächen, die tippend oder wischend benutzt werden. Wer haptische Rückmeldung durch Tasten, Drehknöpfe und Schalter gewohnt war, muss sich daran erst gewöhnen.

Die sogenannten Slider unter dem Zentraldisplay sind immer noch unbeleuchtet. Ein Manko, wenn im Dunkeln die Lautstärke des Audiosystems oder die Heizung justiert werden soll. Aber für solche Situationen gibt es ja noch die Sprachsteuerung „Hallo ID“.
3. Das Fahren: Viel Kraft, viele Assistenzsysteme
Fürs Losfahren genügt es, den Wählhebel hinterm Lenkrad auf D (für Drive – Fahren) oder B (wie Brake – Bremsen) zu stellen und den Fuß aufs Fahrpedal zu senken. Im D-Modus beginnt der Wagen zu „segeln“, wenn ich den Gasfuß lupfe. Dann rollt er in nahezu gleichem Tempo weiter. In der B-Stellung rekuperiert der ID.3, bremst also ab, ohne dass ich aufs Bremspedal treten würde. Dieses Bremsen speist Energie in den Akku zurück.
Ob ich gerade den Akku leerziehe oder rekuperiere, zeigen blaue und grüne Balken im Lenkraddisplay an. Welche Variante die effizientere Form des E-Auto-Fahrens ist, darüber lässt sich trefflich streiten.
Unbestritten ist dagegen die phänomenale Kraftentfaltung: Von 60 auf 100 schnellt der ID.3 in vier Sekunden – da sehen die meisten Verbrenner alt aus. Ein Tritt aufs Fahrpedal, ein leicht anschwellendes Surren, schon ist der Überholvorgang erledigt. Bloß gut, dass die Geschwindigkeit in den Sichtbereich vor der Frontscheibe gespiegelt wird. Daneben lässt das Head-up-Display ein Piktogramm mit dem aktuellen Tempolimit aufleuchten. Ein Indiz dafür, dass der Testwagen Verkehrsschilder „liest“.

Auch alle anderen verfügbaren Assistenzsysteme sind an Bord. Der Wagen habe quasi Vollausstattung, so Tekotte. Wenn das nicht so wäre, könnte ich Extras auch nachbuchen. Etwa die Zwei-Zonen-Klimaautomatik oder den Abstandstempomaten. „Functions on Demand“ nennt sich das im Fachjargon.
Immer Pflicht ist jedenfalls ein Assistenzpaket mit Rückfahrkamera. Denn die Heckscheibe des ID.3 hat weiterhin nur Schießschartenformat.
4. Die Reichweite: Eher 340 als 409 Kilometer
340 Kilometer verspricht der Bordcomputer, als ich mit vollem Akku vom Parkplatz an der Gläsernen Manufaktur in Dresden rolle. Laut Datenblatt sollen es 409 Kilometer sein. Leider fehlt die Zeit zum Leerfahren. Zahlen des ADAC-Ecotests bestätigen meine Annahme, dass die Ankündigung von VW zu vollmundig ist: Unter Realbedingungen kam der neue ID.3 mit einer Akkufüllung 335 Kilometer weit.
Meine Testrunde führt aus Dresden raus, gen Osten Richtung Bautzen, von dort ein Stück gen Elbsandsteingebirge und über Radeberg zurück in den Dresdner Norden. Auch in der Stadt fahre ich noch einige Strecken. Am Abend habe ich 130 Kilometer abgespult.
5. Das Laden: 17 Minuten von 66 auf über 80 Prozent
Auch wenn er bei einem 66 Prozent gefüllten Akku eigentlich unnötig ist: Ein Ladevorgang ist Pflicht. Ich nutze dafür einen Schnelllader der Sachsen Energie. Den habe ich mir in der vorab auf meinem Smartphone installierten App EnBW Mobility+ ausgesucht.

Fast 17 Minuten braucht der ID.3, um elf Kilowattstunden (kWh) zu ziehen und den Ladestand auf über 80 Prozent zu bringen. Bei einem Kilowattstundenpreis von 65 Cent kostet mich das 7,13 Euro. Zum Vergleich: Daheim berechnet mir die Sachsen Energie rund 39 Cent pro Kilowattstunde.
Und die Reichweite? Nehme ich den Ecotest-Verbrauch (19,3 kWh je 100 Kilometer) als Maßstab, hätte ich Strom für knapp 60 Kilometer getankt. Positiv: Das Navi ist besser geworden beim Erstellen intelligenter Ladestrategien für längere Routen – dank der neuen ID-Software-Version (3.5).

6. Das Fazit: Verbesserungen, die ihren Preis haben
An den Fahrleistungen, der Ausstattung und der Verarbeitung des ID.3 gibt es wenig zu mäkeln. Eher an der Bedienbarkeit, Stichwort Touch-Flächen. Wie gut die neue Software ist und ob alle Fehler künftig problemlos „Over The Air“, also per Fernupdate, behoben werden, muss sich noch zeigen.
Der Preis des ID.3 Pro dürfte ein Kaufhemmnis für viele sein: Schon 39.995 Euro für die Basisversion sind happig. Mein 52.664,90 Euro teurer Testwagen – der Herstellerzuschuss ist aus diesem Preis schon rausgerechnet – würde also nach Abzug der staatlichen Förderung noch 48.164,90 Euro kosten. Da werden viele potenzielle Käufer hoffen, dass bald ein günstigerer ID.2 folgt.