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Erfolgsrezept mit Rhabarber

Das Unternehmen Deepmello kann Leder biologisch gerben. Für Mode, Möbel und in der Autoindustrie wächst die Nachfrage. Was möglich ist, zeigt ein Laden in Leipzig.

Lesedauer: 3 Minuten

Das Unternehmen Deepmello kann Leder biologisch gerben. Für Mode, Möbel und in der Autoindustrie wächst die Nachfrage. Was möglich ist, zeigt ein Laden in Leipzig.

Von Sven Heitkamp

An der Karl-Heine-Straße im Leipziger Szeneviertel Plagwitz liegt ein unscheinbarer Eckladen mit weißer Fassade, in den Schaufenstern stehen Möbel und Kleiderpuppen, über der Tür steht „deepmello und friends“. Deepmello, das ist das Label eines Bioleders, das die Gründer selbst entwickelt haben: Statt wie sonst üblich mit Chrom, wird das deepmello-Leder mit einem natürlichen Stoff aus der Wurzel der Rhabarberpflanze gegerbt, ganz ohne chemische Zusatzstoffe und Schadstoffe. Entwicklerin und Inhaberin Anne-Christin Bansleben führt mit einem Lächeln durch ihr Geschäft. Sie zeigt Handtaschen, Schuhe und Shirts im klassischen Design und in unterschiedlichen Farben – und mit Leder aus der eigenen Produktion.

Bansleben hat das Gerben von Leder mit Rhabarber zusammen mit ihrem Mann erfunden und die Firma „rhubarb technology“ mit Sitz in Teutschenthal nicht weit von Leipzig gegründet. Dank des ökologischen Verfahrens ist ihr Naturprodukt nicht nur langlebig und nachhaltig, es sieht auch natürlicher aus und fühlt sich besonders weich an. Deepmello steht nicht umsonst für „tiefzart“, sagt Bansleben. Zu den Kunden von deepmello zählen mittlerweile internationale Möbel- und Schuhhersteller, die Mode- und die Autoindustrie, unter ihnen Luxusmarken wie Balenciaga aus Frankreich und Off White aus Italien wie auch das deutsche Schuhlabel Trippen und die dänische Marke Nature Footwear. Der Großteil ihrer Kunden sitzt dabei nicht in Deutschland, sondern unter anderem in Skandinavien und Frankreich, in den USA und in Asien, erzählt Anne-Christin Bansleben. Im Laden präsentiert sie zum Beispiel einen weißen Sneaker aus den USA und zwei Sessel eines polnischen Möbeldesigners. „In Deutschland gehen die Türen für Neues nicht so schnell auf“, erzählt die Gründerin. „In anderen Ländern laufen solche Innovationsprozesse schneller ab.“

Dank der internationalen Nachfrage wächst ihre Produktion beständig: Seit der Gründung der Firma vor zwölf Jahren habe sich die verarbeitete Menge an Rhabarberwurzeln verfünfzigfacht, erzählt Bansleben. Der Umsatz des Unternehmens sei mittlerweile in den unteren Millionenbereich geklettert. Im Vergleich zu Billigproduktionen aus Asien, die unter ökologisch und sozial fragwürdigen Bedingungen ablaufen, sei das deepmello-Leder zwar etwa doppelt so teuer. Doch im Verhältnis zu konventionellen Anbietern in Europa mit höheren Standards sei es durchaus konkurrenzfähig. „Die Nachfrage nach ökologisch und sozial nachhaltigen Produkten und Produktionsverfahren wächst in allen Branchen“, sagt Bansleben. „Wir bekommen dieses Bedürfnis der Kunden und der Unternehmen immer mehr zu spüren.“

Conceptstore als Aushängeschild
Entstanden ist das Unternehmen nicht etwa auf einer Biotech-Start-up-Rampe, sondern im Labor der Hochschule Anhalt. Anne-Christin Bansleben und ihr Ehemann und Mitgründer David Bansleben studierten Ende der 90er-Jahre Ökotrophologie in Bernburg und arbeiteten nach dem Diplom jahrelang in der Forschungsgruppe ihres Professors Ingo Schellenberg. „Wir haben in verschiedenen Projekten die Anwendungsmöglichkeiten von Pflanzeninhaltsstoffen untersucht und daraus Produkte entwickelt“, erzählt die 44-Jährige. Rhabarber war dabei schon immer eines der Steckenpferde der Hochschule, zeitweise wurden mehr als 40 verschiedene Sorten auf den hauseigenen Versuchsfeldern angebaut.
Im Zuge ihrer Forschungen sahen die Banslebens, dass Polyphenole aus der Rhabarberwurzel für das Gerben von Leder bestens geeignet sind. „Mit dieser Entdeckung entstand die Idee für unser Unternehmen“, erzählt die Gründerin. „Unser Ziel war eine Lösung, die im industriellen Maßstab eingesetzt werden kann, ohne dass die sonst üblichen Produktionsanlagen und Prozesse umgestellt werden müssen.“ 2010 hob das junge Paar deepmello aus der Taufe, Professor Schellenberg wurde einer der Gründerväter und Gesellschafter. 2013 quittierte die Forscherin den sicheren Job an ihrer Hochschule, um sich ganz ihrer eigenen Firma zu widmen, 2014 folgte auch ihr Mann. Fördermittel hätten sie seinerzeit für ihr Projekt nicht bekommen. „Wir galten als Exoten, unsere Idee war für Investoren nicht richtig greifbar“, erzählt sie. Stattdessen investierten sie ihr privates Kapital und verkauften sogar das eigene Auto, um wachsen zu können. Mittlerweile sei eine Beteiligungsgesellschaft aus Sachsen-Anhalt als stiller Teilhaber mit ins Unternehmen eingestiegen.

Ihre streng geheime Rezeptur haben sich die Banslebens weltweit patentrechtlich schützen lassen. „Rhubarb technology“ ist damit der einzige Anbieter auf dem internationalen Markt. Ihre gesamte Wertschöpfungskette verläuft aber in Deutschland: Der Rhabarber wird heute bei mehreren Betrieben angebaut, unter anderem an ihrer alten Hochschule. Die flüssige Gerblösung aus der Wurzel produziert ein Extraktions-Unternehmen in Sachsen und liefert sie in großen Fässern an. Die Rinderhäute stammen laut Bansleben von Biohöfen und anderen artgerecht arbeitenden Milchvieh- und Fleischbetrieben. Das eigentliche Gerben, um die rohe, verderbliche Tierhaut in widerstandsfähiges, weiches Leder zu verwandeln, übernimmt eine der bundesweit größten Gerbereien in Süddeutschland auf einem eigenen Produktionsstrang, der nicht mit Chrom in Berührung kommt. „Unser Bioleder wird nach dem Gerben auch nicht mit einer Kunststoffschicht überzogen“, betont Bansleben. „Damit bleibt es atmungsaktiv und biologisch abbaubar.“
Das Unternehmen ist inzwischen auf acht Mitarbeiter angewachsen. Sie kümmern sich um Forschung und Entwicklung, den Vertrieb, die Produktion und das Ladengeschäft. Der Conceptstore dient deepmello dabei als Aushängeschild, um zu zeigen, was alles möglich ist. Anne-Christin Bansleben ließ zum Beispiel von jungen, erfolgreichen Designerinnen und Designern wie Esther Perbandt aus Berlin eigene Kreationen entwickeln und von regionalen Unternehmen wie einer Täschnerei in Sangerhausen fertigen. „Als Quereinsteiger suchen wir neue Wege, um das Rhabarberleder noch bekannter zu machen“, sagt sie. „In den kommenden Jahren wollen wir in allen Branchen von Automotive über Interieur und Fashion bis hin zu Schuhen international gut sichtbar vertreten sein.“

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