Vor einer Woche eröffnete in Dresden die erste vegane Fleischerei. Seither reißen die Kunden dem kleinen Laden die Produkte aus den Händen. Doch es hagelt auch Häme im Netz. Warum die Gründer das gut finden.
Von Juliane Just
Dresden. Es ist 10.30 Uhr am Freitagmorgen. In einer Stunde klingelt das Glöckchen an der Tür mit dem ersten Kunden. Noch ist die Theke in der veganen Fleischerei nahezu leer. Wie leergefegt könnte man auch sagen, denn seit der Eröffnung am 7. Januar reißt der Kundenstrom in dem kleinen Laden am Bischofsweg in der Neustadt sonst nicht mehr ab. Heute ist der sechste Tag in Folge, wo nur noch Äpfel und Hundesnacks an der Theke vorrätig sind.
„Wir konnten uns viel vorstellen, was die Eröffnung der veganen Fleischerei betrifft, aber das wurde mit dem Faktor zehn multipliziert“, sagt Stephan Meyer-Götz. Er ist einer der vier jungen Gründer der veganen Fleischerei. „Wir werden überrannt. Von Kunden, aber auch von den Medien“, sagt er. Pro Sieben, Spiegel TV, ARD – auch sie stehen Schlange, um das Phänomen einzufangen.
In dem Lokal gibt es ausschließlich vegane Produkte von Fleisch-Imitaten über Käse-Erzeugnisse bis hin zu Wein. All das ist komplett ohne tierische Produkte hergestellt. In der Salami ist dann beispielsweise die Hauptzutat Seitan, ein fleischähnliches Lebensmittel aus Weizeneiweiß. Die magische Formel ist laut den Inhabern die richtige Würze. So schafft man es, dass ein veganer Gulasch nach Fleisch schmeckt, obwohl keins drin ist.
In brauner Fleischer-Schürze packt Nils Steiger, ein weiterer Gründer, hinter der Theke mit an. Er legt schwarze Schieferplatten hinein. So kommen die Produkte später besser zu Geltung. Mit einem Löffel schichtet er Fleischsalat, in dem kein Fleisch drin ist, in eine schwarze Form. Eine Mitarbeiterin bringt das passende Etikett dazu, dass sie gerade erst geschrieben hat. „Fleischsalat 1,70 Euro“ steht
darauf.

Größere Küche und mehr Mitarbeiter wegen des Ansturms
„Wir haben zur Eröffnung die Produkte für drei Wochen vorproduziert. Nach drei Tagen waren wir leergekauft“, sagt er 27-Jährige, der hauptberuflich ein Fitnessstudio betreibt. Inzwischen ist die Produktion vom Lokal „Dicker Schmidt“ nur wenige hundert Meter weiter ins „Steffenhagen“ im Kiez gezogen, weil dort die Küche größer ist und mehr produziert werden kann. Doch auch das sei nur eine Zwischenlösung, es werde nach einer noch größeren Küche gesucht.
Zusätzlich werden außerdem ein Koch und zwei Mitarbeiter eingestellt, um den veganen Hunger der Gäste zu stillen. Doch anderes muss auf der Strecke bleiben. „Eigentlich sollte ab dem 20. Januar ein Online-Shop starten. Dafür haben wir bereits über 200 Anfragen. Das ist nicht machbar“, sagt Nils Steiger und zuckt mit den Schultern. Zusätzlich fragen auch Händler, Caterer und Restaurants nach den Produkten und wollen sie in ihr Sortiment aufnehmen.

Es ist inzwischen 10.51 Uhr. Zu den Salaten gesellen sich nun fleischlos-frische Schnitzelbrötchen in die Theke. Auch die Käse-Imitate „Geta“, „Blauer Block“ und „Parmezan“ liegen angerichtet in Schalen. Das Glöckchen an der Tür klingelt, eine junge Frau kommt herein. Ob sie noch warten könne bis 11.30 Uhr? Natürlich kann sie. „Ich komme wieder“, sagt sie lächelnd und geht hinaus.
Im Netz wird aus Hype auch Hass
Im Kiez schlägt den jungen Männern Begeisterung und Interesse entgegen. Doch Online schlägt der Hype auch schon mal in Hass und Häme um. Gar nicht so schlecht, finden sie. „Es muss nerven und unangenehm sein, es muss wehtun und die Leute müssen sich aufregen. Wir haben diese Debatte derart vom Zaun gebrochen, das ist großartig“, sagt Nils Steiger. Alle würden darüber reden und das sei ihm eine Genugtuung.
Trotzdem bleiben die Gründer dabei: Es solle niemand in Sachen Essen bekehrt werden. Ihnen geht es ums Tierleid, um die Ausbeutung der Menschen in der Fleischindustrie, um den C02-Ausstoß – und darum, dass veganes Essen schmecken kann. „Wir können mit kleinen Prozenten jeden Tag viel ausmachen. Jeder kann für sich entscheiden, was er isst“, sagt Stephan Meyer-Götz.
Es ist 11.11 Uhr. Eine ältere Dame mit lila Wollmütze kommt in den Laden, geht schnurstracks auf die Theke zu. Sie habe von Geburt an eine Ei-Allergie. Ob das Essen hier was für sie wäre? Sie könne alles aus der Theke essen, sogar den Eiersalat, denn in keinem Produkt sei Ei enthalten, erhält sie als Antwort. „Ach, das ist ja super“, sagt sie. Geöffnet ist allerdings erst in 19 Minuten. Die Frau entschuldigt sich und verspricht, wiederzukommen.
Kunden harren vorm Laden im Nieselregen aus
„Wir haben oft ältere Leute hier, die interessiert sind. Wenn dann noch der Geschmack überzeugt, haben wir richtig Spaß“, so Steiger. Inzwischen stehen bereits vier Kunden vor dem Laden und harren im Nieselregen aus, während innen aus sämtlichen Schränken die Produkte geholt und angerichtet werden. Eine Mitarbeiterin schneidet fleischlose Knoblauch-, Seitan-, Pfeffer- und Fenchelsalami auf. Außerdem finden noch verpackte Seitan-und Hotdog-Würste ihren Weg in die Theke.