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„Firmen suchen spürbar weniger Kräfte“: Auch 2025 soll in Sachsen die Arbeitslosigkeit steigen

Mehr Arbeitslose in diesem Jahr in Sachsen, ein weiterer Anstieg der Erwerbslosenzahl im neuen Jahr. Der Chef der Landesarbeitsagentur in Sachsen erwartet bei der Zunahme der Arbeitslosigkeit sogar eine gewisse Dynamik. Warum das so ist – darüber spricht Klaus-Peter Hansen im Interview.

Lesedauer: 5 Minuten

Man sieht ein Logo vom Arbeitsamt.

Andreas Dunte

Chemnitz/Leipzig. Weniger Jobangebote, mehr Arbeitslosigkeit: Die Lage auf dem Arbeitsmarkt wird im kommenden Jahr spürbar angespannter – das sagt Klaus-Peter Hansen, der Chef der Landesarbeitsagentur in Sachsen im Interview.

Herr Hansen, zuletzt hat die schwache Konjunktur Sachsens Arbeitsmarkt belastet – geht es im kommenden Jahr wieder bergauf?

Da muss ich Sie enttäuschen. Das Arbeitsmarktinstitut IAB hat bundesweit und auch für Sachsen für 2025 einen möglichen Anstieg der Arbeitslosigkeit prognostiziert. Für den Freistaat bedeutet das eine mögliche Zunahme der Arbeitslosigkeit um über 10.000 auf im Schnitt 155.000 oder sogar 160.000 Erwerbslose. Das bedeutet, dass wir in Sachsen vermutlich wieder eine Arbeitslosenquote im Schnitt mit einer Sieben vor dem Komma sehen werden. Aktuell haben wir eine Quote von 6,5 Prozent. Regional gibt es zudem große Unterschiede: So rechne ich in Chemnitz oder in Görlitz beispielsweise sogar wieder mit zweistelligen Arbeitslosenquoten.

Wie sah es im zurückliegenden Jahr aus?

In diesem Jahr haben im Freistaat rund 100.000 Menschen ihre Arbeit verloren. 84.000 Menschen haben eine neue Arbeit aufnehmen können. Das heißt, dass rund 16.000 arbeitslos geblieben sind. Insgesamt waren im November rund 138. 500 Sachsen arbeitslos gemeldet. Die Durchschnittszahl für das gesamte Jahr steht noch nicht fest.

Dass die Wirtschaft in Schwierigkeiten steckt, zeigt sich auch daran, dass wir als Agentur mehr Insolvenzgeld zahlen, weil mehr Firmen in Zahlungsschwierigkeiten geraten. – Klaus-Peter Hansen, Chef der Landesarbeitsagentur

Es heißt, dass viele Unternehmen trotz der Krise versuchen, ihre Beschäftigten zu halten?

In der Tat versuchen die Firmen angesichts des Fachkräftemangels Beschäftigte zu halten. Voraussetzung dafür ist aber eine gesunde wirtschaftliche Basis im Unternehmen. Dass diese Basis brüchiger geworden ist, zeigt sich unter anderem auch an den Stellenangeboten. Die Firmen suchen spürbar weniger Kräfte.

Wie hat sich das Stellenangebot verändert?

Jährlich erreichen uns in guten Zeiten rund 100.000 Stellenangebote, in diesem Jahr sind es bislang 67.000. Mit fallender Tendenz. Die Unternehmen überlegen immer mehr, ob sie Stellen neu besetzen.

Das macht sich so noch nicht in der Arbeitslosenstatistik bemerkbar, oder?

Das stimmt. Da beispielsweise Stellen von Beschäftigten, die in Rente gehen, einfach nicht wieder besetzt werden. Sie tauchen in der Arbeitslosenstatistik also nicht auf. Eine Folge von Demografie. Allerdings ist davon auszugehen, dass es nicht dabei bleibt. Ich erwarte beim Anstieg der Arbeitslosigkeit sogar eine gewisse Dynamik.

Können Sie das bitte erklären?

Viele Firmen haben bislang versucht, im eigenen Haus Kosten zu senken, haben etwa Strukturen gestrafft. Das ist weitgehend ausgereizt. Wir erleben verstärkt, dass Investitionen verschoben oder gestrichen werden. In der Folge bekommen Firmen weniger Aufträge. Weniger Produktion führt über kurz oder lang auch zu weniger Personal – sofern sich die Rahmenbedingungen nicht ändern. Dass die Wirtschaft in Schwierigkeiten steckt, zeigt sich auch daran, dass wir als Agentur mehr Insolvenzgeld zahlen, weil mehr Firmen in Zahlungsschwierigkeiten geraten. Das Ganze bewegt sich aber auf einem noch geringen Niveau. Da haben wir in früheren Jahren schon anderes erlebt.

Sie sagen, die Arbeitslosenquote in Chemnitz könnte deutlich steigen – liegt das an dem in der Region hohen Anteil an Industriearbeitsplätzen?

Das ist ein Grund. Während in Dresden oder Leipzig der Branchenmix größer ist, insbesondere Dresden viele Beschäftigte im öffentlichen Bereich hat, gibt es in Chemnitz viel Industrie, und die leidet aktuell besonders unter sinkender Nachfrage und den hohen Energiekosten. Chemnitz hat aber auch einen höheren Anteil an Migranten. Der Anteil Arbeitsloser unter unseren ausländischen Mitbürgern ist bekanntlich höher. In Rezessionszeiten haben sie es zudem schwerer, eine Stelle zu finden. Es ist also ein Mix aus mehreren Faktoren, der zu dem Anstieg führen könnte.

Während der Corona-Pandemie hat sich gezeigt, dass viele Unternehmen Kurzarbeit anmelden, ist das jetzt wieder so?

Nein. Ich rechne nicht mit einem deutlichen Anstieg der Anmeldungen wie zu Corona-Zeiten. Denn wir haben eine andere Situation. Während Corona gingen die Firmen davon aus, dass sie eine zeitlich begrenzte Krise überstehen müssen. Das war übrigens auch so in der Finanzkrise 2007 und 2008. Jetzt sehen sich die Firmen vor einem strukturellen Problem. Sie können nicht abschätzen, wann die Schwächephase vorbei sein wird.

In Baden-Württemberg beispielsweise fordert der DGB die Unternehmen auf, das Instrument Kurzarbeit stärker zu nutzen. Wäre das nicht auch ein Weg für Sachsen?

In Baden-Württemberg gibt es viele Großunternehmen. In Sachsen haben die Firmen im Schnitt weniger als zehn Beschäftigte. Gerade einmal fünf Firmen im Freistaat haben über 2000 Beschäftigte. Es wird zu einer hohen Fluktuation kommen. Auf uns, also auf die sächsischen Arbeitsagenturen, kommen damit stürmische Zeiten zu. Ich will nicht pathetisch klingen: Aber wenn alle einen sicheren Hafen suchen, weil die Wellen höher werden, dann fahren wir hinaus, um zu retten.

Wie genau wollen und können Sie retten?

Zuallererst sind wir eine Versicherung. Wer arbeitslos wird, den fangen wir finanziell auf. Zugleich kommt es darauf an, arbeitslos gewordene Sachsen schnell wieder zu vermitteln. Wenn etwa ein Autozulieferer Beschäftigte entlassen muss, sucht vielleicht an einem anderen Ort ein Zulieferer oder ein anderer Produktionsbetrieb Kräfte mit genau diesen Fähigkeiten. Zudem gibt es in zahlreichen Branchen auch bei einer Rezession Bedarf an Kräften. Unsere Aufgabe ist es, gekündigte Beschäftige zu vermitteln.

Klaus-Peter Hansen, Chef der Landesarbeitsagentur in Sachsen.
Klaus-Peter Hansen, Chef der Landesarbeitsagentur in Sachsen.
Quelle: Bundesarbeitsagentur

Welche Branchen meinen sie konkret?

Ich meine beispielsweise den Dienstleistungsbereich, Pflegeeinrichtungen, Verwaltungen. Zahlreiche andere Branchen suchen ebenfalls händeringend Kräfte. Hingegen werden Industrieunternehmen und Unternehmen in Branchen, die stark vom Konsum abhängig sind, abbauen. Durch Umschulung beispielsweise können wir helfen.

Wie sieht es finanziell aus: Konnten die Agenturen seit Corona wieder Reserven aufbauen?

In der Corona-Zeit haben wir viel mit Kurzarbeitergeld geholfen. Aufgrund der vielen Krisen in der Folgezeit ist es uns jedoch nicht gelungen, benötigte Reserven aufzubauen.

Zur Person

Klaus-Peter Hansen (Jahrgang 1962) ist Vorsitzender der Geschäftsführung der in Chemnitz ansässigen Regionaldirektion Sachsen der Bundesagentur für Arbeit (BA). Der gebürtige Zittauer startete seine Karriere bei der Arbeitsagentur 1992 in Pirna. Seitdem hatte er verschiedene Führungspositionen innerhalb der Bundesagentur inne, unter anderem in der BA-Zentrale in Nürnberg und als Leiter des Jobcenters Berlin-Neukölln.  2014 kehrte er nach Sachsen als operativer Geschäftsführer zurück. 2016 übernahm er die Spitze der Geschäftsführung.

Wo sehen Sie Engpässe?

Wir bräuchten, da mache ich aus meinem Herzen keine Mördergrube, mehr Geld für die Grundausstattung der Jobcenter. Angesichts der eingangs aufgezeigten Entwicklung wird es zukünftig schwieriger, unsere Kunden in den Jobcentern in den ersten Arbeitsmarkt zu vermitteln. Gemeint sich Menschen ohne oder mit geringer Qualifizierung, Menschen mit Beeinträchtigungen oder mit einer sozial schwierigen Geschichte. Ohne finanzielle Anreize sind gerade in einer Rezessionsphase Unternehmen schwer davon zu überzeugen, Langzeitarbeitslosen eine Chance zu geben. Die aktuelle Finanzausstattung macht uns Sorgen. Gefragt ist der Staat, der aber in Krisenzeiten bekanntlich weniger Einnahmen hat.

Was bedeutet die Situation für den Ausbildungsmarkt?

Bislang ist die Krise dort nicht angekommen. Wir haben aktuell mehr Lehrstellenangebote als Jugendliche, die eine Stelle suchen. Aber die Luft wird dünner. Der Ausbildungsmarkt folgt zeitversetzt dem Arbeitsmarkt. Wir wissen von zahlreichen Unternehmen, die in der Vergangenheit oft über ihren eigenen Bedarf hinaus Lehrlinge ausgebildet haben, dass sie dies nicht mehr wollen oder können.

In früheren Jahrzehnten wurde mit überbetrieblicher Ausbildung gegengesteuert.

Wir sind dazu bereits mit den Kammern im Gespräch. So etwas erfordert Zeit. Und wir wollen nicht erst dann die Rettungsboote bauen, wenn die Wellen hochschlagen.

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