Leipzig/Schkeuditz. Er liebt seinen Flughafen, das will Wolfgang Kober gleich zu Beginn klarstellen. Seit 1991 verbringt er sein Erwerbsleben am Schkeuditzer Airport, und so ist es nicht übertrieben, wenn man feststellt: Der 66-Jährige kennt hier jede Ecke. Inzwischen allerdings, so erzählt er es, wird seine Liebe auf eine harte Probe gestellt. Kober, der sein eigenes Reisebüro am Flughafen betreibt, klingt frustriert: „Hier ist einfach nichts mehr los.“
Wenn Kober „hier“ sagt, dann meint er die Flughafen-Mall. Jeder Fluggast passiert das mehrere hundert Meter lange Gebäude, wenn er die Koffer abgegeben hat und auf dem Weg zur Sicherheitskontrolle ist. Und leider, so Kober, habe sich der Zustand über die Jahre verschlechtert.
„Es regnet rein“
Woran er das festmacht? Kober zeigt nach oben und richtet seinen Zeigefinger auf braune Flecken, die sich an der Decke gebildet haben. „Wenn es stark regnet, regnet es rein. Mehr noch: Dann stehen hier Eimer auf dem Boden.“ Das sei nur ein Beispiel. „Hier gibt es viele Dinge, die nicht in Ordnung sind. Der Leerstand ist hoch, es gibt keine richtigen Läden mehr. Die Toiletten sind marode.“
Leerstand und in die Jahre gekommene Infrastruktur: Hört man sich im Flughafengebäude um, fallen diese Worte immer wieder. Doch namentlich zitieren lassen will sich damit nur Kober. Viele Mitarbeiter in den Reisebüros sind angestellt und wollen sich daher zurückhalten. „Der Herr Kober hat recht“, sagt eine Dame aus einem anderen Reisebüro. „Mittlerweile verkommen hier so manche Ecken.“ Was also läuft schief in jenem Teil des Flughafens, der Gäste eigentlich empfangen und die Vorfreude auf den Urlaub steigern soll?

Quelle: Michael Strohmeyer
Zentralterminal eröffnete 2003
Die Situation geht auch an Fluggästen nicht vorbei. Ursula Böser fliegt mit ihrem Lebenspartner regelmäßig ab Leipzig und hat ebenfalls festgestellt: „Hier ist viel geschlossen. Wir kennen den Grund nicht, doch es tut uns wirklich leid, dass es scheinbar bergab geht.“ Leipzig sei nun mal der einzige, große Flughafen in der Nähe. Die 80-Jährige wirkt bedrückt, wenn sie darüber spricht.
Um zu verstehen, was es mit der Mall auf sich hat, muss man zurückblicken. Im Jahr 2003 eröffnete das „multifunktionale Zentralterminal“. Damals wurde es für eine Jahreskapazität von 4,5 Millionen Passagieren geplant und gebaut, erklärt das Flughafenmanagement auf Anfrage. Dabei sei das Abfertigungsgebäude von Beginn an so angelegt worden, dass die Jahreskapazität über eine Erweiterung auf 7 Millionen Passagiere hätte erhöht werden können.

Quelle: Michael Strohmeyer
Terminal gilt als überdimensioniert
„Damalige Planungen sahen die Nordseite des Gebäudes nach dem Umbau für Interkontinentalflüge vor und die Südseite für innereuropäische Flüge“, erklärt ein Sprecher. Doch diese Kapazität sei nie ausgeschöpft worden, da selbst vor der Corona-Pandemie maximal 2,7 Millionen Passagiere jährlich abgefertigt worden seien. Der Luftverkehr entwickelte sich anders, und auch der ICE-Bahnhof verkümmert. Die Terminalkapazitäten gelten daher aus heutiger Sicht als überdimensioniert.
Das Problem ist: Die großen Gebäude verursachen hohe Unterhaltungs- und Instandhaltungskosten. Hinzu kommt: In den Jahren von 2013 bis 2017 wurde laut Flughafen zu wenig investiert. „Daraus ergibt sich ein erhöhter Investitions- und damit Finanzierungsbedarf in den kommenden Jahren.“

Quelle: Michael Strohmeyer
Drei WC-Anlagen wurden geschlossen
Das führt auch zu den Flecken an der Decke, auf die Reisebüroinhaber Kober hinweist. Der Flughafen bestätigt, dass es bei Starkregen verbunden mit Sturm zum Wassereintritt kommt. Die auftretenden Schadstellen würden anschließend instandgesetzt. In den kommenden Jahren sei nun eine Sanierung von Fassade und Dach vorgesehen – und im Anschluss sollen auch die Deckenelemente gereinigt oder ausgetauscht werden.
Kritik gibt es auch an der Toilettensituation. Reisebüroinhaber Kober beobachtet diese schon länger, ihm ist nicht entgangen, dass WC-Anlagen teilweise gesperrt sind. Das bestätigt auch der Flughafen: Eine „interne Prüfung“ habe ergeben, dass die Anlagen zum Teil in einem mangelhaften Zustand seien. Da weitere Sanitäranlagen vorhanden seien, wurden Anfang Dezember „vorübergehend drei WC-Anlagen geschlossen“. Als Ziel nennt der Flughafen, die Kosten zu optimieren – und Besucher zu WC-Anlagen in gutem Zustand zu lenken.
Hier ist einfach nichts mehr los. – Wolfgang Kober, Betreiber eines Reisebüros im Flughafen
Flughafenbetreiber muss sparen
Hier kommen die wirtschaftlichen Probleme der Mitteldeutschen Flughafen AG ins Spiel. Der Betreiberkonzern schreibt seit Jahren Verluste. Im Zuge eines Sanierungsprogramms muss umfassend gespart werden: Sogar Stellen werden abgebaut.
Für Wolfgang Kober ist das eine traurige Entwicklung. Mit Blick in die Mall bedauert er vor allem den Leerstand – und das fehlende Leben. Er erinnert sich noch an die Eröffnung: „Damals war alles vermietet: Die hatten Geschäfte für Kosmetik, Koffer, Reisebedarf und so weiter. Da muss man sich mal überlegen, wie es damals war, und wie es heute ist.“

Quelle: Michael Strohmeyer
Tatsächlich ist der Leerstand auf einem Streifzug durch die Mall auffällig. Eine Fläche ist mit der Werbung einer Leipziger Immobilienfirma zugeklebt, und weiter am Anfang sind die Überbleibsel eines Geschäfts mit dem Namen „Panini“ zu sehen. Wolfgang Kober beobachtet immer wieder, wie Menschen stehen bleiben und die Preistafel anstarren. Ein Panini mit zwei Spiegeleiern gab es zu Öffnungszeiten noch für 4,40 Euro, ein Buttercroissant für 1,90 Euro. „Das Geschäft hat jetzt seit fünf Jahren geschlossen. Inzwischen haben wir in der Mall kein einziges richtiges Geschäft, keinen Laden mehr“, sagt Kober. „Dafür stoßen Gäste auf die Ausstellung eines Holzfachverkäufers und die Außenstelle einer Arbeitsvermittlung.“
Insgesamt verfügt die Mall über eine vermietbare Fläche von rund 1500 m², das entspricht 35 Geschäftseinheiten. Der Leerstand beträgt laut Flughafen knapp 18 Prozent. Seit längerer Zeit habe sich die Quote auch nicht verändert, heißt es dazu. Nach Darstellung des Airports ist die Vermietungssituation „typisch für die aktuelle Nachfrage“ im regionalen Gewerbeimmobilienmarkt.
Flughafen Leipzig/Halle ist um neue Mieter bemüht
Der Flughafen ist durchaus bemüht, neue Mieter zu finden. Doch weist man im Management darauf hin, dass die Flächen anspruchsvoll zu vermarkten seien. Auch, weil die Passagierzahlen noch immer nicht auf dem Niveau vor der Pandemie liegen: Weil die staatlichen Kosten zu hoch sind, streichen Fluggesellschaften wie Lufthansa und Ryanair Verbindungen ab Leipzig. Faktoren wie hohe Energie-, Sach- und Personalkosten beeinflussen demnach die Nachfrage bei den Anmietungen. Hinzu kommt: Weil viele Menschen Reisen inzwischen online buchen, haben es Reisebüros immer schwerer.
Was muss sich, und was kann sich in Zukunft also ändern? Für Mieter Kober ist die Sache klar: „Ich weiß, dass nicht alles von heute auf morgen geht. Aber man müsste sofort Maßnahmen umsetzen, damit das Terminal wieder attraktiver wird, dass Geschäfte herkommen, Leben in der Mall herrscht.“
Tatsächlich arbeitet der Flughafen derzeit an einer neuen Strategie, wie er mitteilt. Ziel ist es, die Flächen für eine Mischnutzung anzupassen. Denkbar seien etwa Businesskunden oder Start-ups, aber auch Ausstellungen und Pop-up-Stores.
Wolfgang Kober versucht es bis dahin mit Humor. Er blickt auf den langen Gang. „Wenn ich auf die Mall angesprochen werde, sage ich manchmal scherzhaft: Hier könnte man eigentlich gut ein Kegel-Turnier austragen. Platz gibt es ja genug.“