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Fummeln, Früchte, Facebook

Die Konditorei Zieger wird bald 175 Jahre alt. Um die Tradition zu bewahren, wagt die Familie immer wieder Neues.

Lesedauer: 2 Minuten

Das Foto der 100-Jahr-Feier hat es Konditormeister Dirk Zieger angetan. Schwere Zeiten waren es damals, 1944 im sechsten Kriegswinter. Trotzdem wird das gesamte Bild von Geschenken und Blumen eingenommen. Der Stolz, dieses Jubiläum erreicht zu haben, ist Gustav Zieger – dem Konditor der dritten Generation – auf den historischen Aufnahmen deutlich anzumerken. In knapp vier Wochen könnte es die Chance zu einem ähnlichen Foto geben. Dann wird der Meißner Familienbetrieb am 23. Februar zum 175. Mal den Jahrestag seiner Gründung feiern können. Doch was für ein Unterschied zu 1944: damals die Knappheit – heute der Überfluss. Im Fachhandel sind alle Zutaten ganzjährig verfügbar. Genau darin liegt für Konditormeister Dirk Zieger allerdings die Crux: "Wenn jeder die gleiche Vanillecreme verwendet, schmeckt der Kunde irgendwann keinen Unterschied mehr", sagt der 51-Jährige. Deshalb setzt er an diesem Punkt an, kratzt das Mark aus Vanilleschoten und köchelt seine Cremes noch selbst. Erdbeertorte mitten im Winter? Für ihn undenkbar, es sei denn, ein Kunde besteht ausdrücklich darauf. Ebenso verwendet Zieger keine vorgeschnittenen Apfelstücke, die einheitlich genormt aus der Tüte fallen. Er hole die Äpfel lieber direkt beim Coswiger Obstbaubetrieb Görnitz. So habe er die Gewähr, dass sein Apfelkuchen intensiv nach Apfel schmeckt. Die Kontrolle über die Zutaten möchte er nicht verlieren. Wenn ein Gast nach Konservierungsstoffen fragt, kann Chefin Astrid Zieger deshalb ganz beruhigt mit dem Kopf schütteln und verneinen.

Vorn im Laden geht die Eingangstür. Kundschaft. Kaffee und Kuchen werden geordert. Der Familienbetrieb liegt an einer der touristisch bedeutsamsten Achsen in Meißen. Die Reisegruppen seien jedoch in den vergangenen Jahren stetig geschrumpft, sagt Astrid Zieger. Das Geschäft bleibt von der allgegenwärtigen Beschleunigung nicht verschont. Immer dichter werden die Programme, immer kürzer die Zeiten für den Aufenthalt. Trotzdem: Das touristische Geschäft bleibt ein wichtiges Standbein. Dank ihrer anekdotischen Entstehungsgeschichte hat es die Fummel in viele Reiseführer geschafft. Vor dem Verzehr im Café raten Ziegers indes eher ab. Besser, die Gäste langen beim sächsischen Hefekuchen und den Torten zu. Japaner genehmigen sich dazu häufig ein Bier. Jede Nationalität pflegt so ihre Eigenarten.

Apropos Fummel: Auf dem Ruhm dieses zerbrechlichen Gebäcks will sich die Familie nicht ausruhen. Lange hat der Konditormeister an einem eigenen Rezept für Macarons – ein französisches Baisergebäck – gefeilt. Mittlerweile sind sie aus dem Angebot nicht mehr wegzudenken. Es bedarf solcher Neuerungen, um die 175-jährige Tradition weiterzuführen und nicht sterben zu lassen. Kulturcharakter hat das familiäre Wintergrillen entwickelt. Bratwürste von Richter und Knabbereien aus der eigenen Produktion, Glühwein und Kinderpunsch – mitten in der Stadt. Die über Facebook bekannt gegebenen Termine gehen viral. Zum 175. Gründungstag in knapp vier Wochen wird sicher Tochter Maria aus Leipzig vorbeigeschaut kommen. Nach bestandener Konditorenlehre probiert sie sich dort weiter aus. Die sechste Zieger-Generation steht damit bereit.

 

Von Peter Anderson

Foto: Claudia Hübschmann

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