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„Gewaltige Herausforderung“

Fraunhofer hat mit sächsischen Betrieben den KI-Einsatz in der Praxis durchexerziert – und dabei Chancen wie auch Probleme herausgearbeitet.

Lesedauer: 4 Minuten

Zwei Männer beugen sich über eine Maschine.
Die Spezialisten von Norafin und Fraunhofer-Experten begutachten die Textilmaschinen, die eine KI vorausschauend überwachsen soll. Quelle: Norafin

Von Heiko Weckbrodt

Dresden. Das ganze Gerede um Künstliche Intelligenz (KI) kommt womöglich dem bodenständigen Mittelständler oder Handwerker in Sachsen gelegentlich etwas übertrieben vor. Auf den ersten Blick mögen Meldungen aus den USA diese Vorsicht bestätigen: Dort hat zuletzt manch Hyperscaler seine Investitionen in Rechenzentren in aller Stille etwas zurückgedreht, weil der KI-Einsatz eben doch nicht bei allen Kunden die erhofften schnellen Produktivitätsschübe gebraucht hat. Doch über kurz oder lang wird auch hierzulande kaum ein Dienstleister, Industriezulieferer und selbst viele Handwerker noch konkurrenzfähig bleiben, wenn er oder sie nicht – zumindest für einfache geistige Aufgaben – Künstliche Intelligenzen statt rarer Facharbeiter anheuert.
„Die größten Anwendungspotenziale bestehen derzeit in der Produktion, der Logistik sowie bei Marketing und Vertrieb“, betonen Analysten des Marktforschungsunternehmens „WIK-Consult“ in einer Studie „Künstliche Intelligenz im Mittelstand“ für das Bundeswirtschaftsministerium. Und sie legen den Finger auf einen besonders wunden Punkt in kleinen Betrieben: „Unternehmen, die unter einem Mangel an Fachkräften leiden, könnten durch einen effizienteren Einsatz ihres Personals von KI-Anwendungen profitieren.“

Zahlreiche Beispiele aus dem Freistaat zeigen mittlerweile: Der Tischler kann Kosten sparen und Gesellen für andere Kernaufgaben freischaufeln, wenn er einen KI-Chatbot die Produktbeschreibungen für den Online-Auftritt texten lässt. Ähnliches gilt für die kleine Softwareschmiede, die Routinepassagen in ihren Programmen durch die KI statt durch den Ingenieur „coden“ lässt. Ein Bäcker spart Brot-Rückläufer durch eine KI-Produktionsplanung. Und mancher ist durch die gängigen KI-Bildgeneratoren gar zum Bilderbuch-Autor geworden. All dies lässt sich mit kostenlosen oder relativ preiswerten Bezahlzugängen zu ChatGPT, Gemini & Co. oft sogar in Eigenregie lösen – wenn sich der Unternehmer darüber klar ist, dass immer mindestens ein Paar menschliche Augen eingeplant werden muss, um wilde „Halluzinationen“ aus den KI-Arbeitsergebnissen herauszufischen.
Etwas mehr professionelle Hilfe ist nötig, wenn der Kleinunternehmer oder Mittelständler auch in der Fertigungshalle das volle Potenzial einer KI herauskitzeln will: Die nämlich kann prinzipiell Qualitätsmängel in der Fertigungslinie viel sicherer und unermüdlicher als ein Mensch herauspicken, die Temperaturführung von Spritzgießmaschinen optimieren oder Automatisierungslücken schließen.
Allerdings: An eben diesem Schritt von der simplen Text- oder Bildgenese hin zur Produktion scheitern heute noch viele KI-Projekte in kleinen und mittleren Betrieben. Was als Prototyp noch gut funktioniert hat, will in der Serienfertigung einfach nicht die Kinderkrankheiten loswerden. Statt eines Billig-Scanners aus dem Onlinehandel wird plötzlich eine teure, hochauflösende Kamera als KI-Auge gebraucht – und so weiter.
Wie sich solche Hindernisse im Mittelstand überwinden lassen, hat der Fraunhofer-Institutsteil „Entwicklung Adaptiver Systeme“ in Dresden nun gemeinsam mit sächsischen Unternehmen vorexerziert: Während eines „reAIlize“-Wettbewerbs hat das „Anwendungs- und Testzentrum KI“ (ATKI) des EAS 16 ausgewählte Betriebe im Freistaat dabei unterstützt, von der bloßen Idee zum praktisch lauffähigen KI-Einsatzszenario zu kommen. Hier ein paar Beispiele:

Norafin Mildenau
Das Textilunternehmen aus dem Erzgebirge will mit KI-Hilfe die Laufzeiten seiner Maschinen weiter ausreizen, ohne dass die Anlagen dabei heruntergewirtschaftet werden oder kaputtgehen. Möglich ist das mit „Vorausschauender Wartung“ („Predictive Maintenance“): Bei diesem Zusammenspiel aus Sensorik und intelligenter Analyse „horcht“ eine KI auf Klopf-Geräusche, unrunde Läufer und andere Hinweise aus der Maschine. So kann sie festzustellen, ob und welche Bauteile bald auszutauschen sind – und welche auch über die theoretische Laufzeit hinaus weiter halten.
Dies spart einerseits Monteur- und Ersatzteil-Kosten, vermeidet andererseits Maschinen-Stillstände durch verschlissene Komponenten. Im konkreten Fall haben die Ingenieure eine sogenannte „Krempelanlage“ für Vliesstoffe mit Schallsensoren und Künstlicher Intelligenz nachgerüstet, um den Verschleiß der Walzen-Lager in der Maschine fortwährend zu überwachen.
Das Fraunhofer EAS hat dieses Konzept als „vielversprechend“ eingestuft. Steuerungstechniker Max Henkel, der das Projekt bei Norafin betreut, betont jedoch auch: „Momentan sind wir damit im Experimentierstatus. Natürlich bedeutet das für uns erstmal Kosten. Ziel ist es am Ende, die Effizienz der Anlage zu steigern und Stillstandszeiten zu verringern.“ Noch seien Hindernisse beim Datenmanagement und Datenschutz zu überwinden, bis an einen Alltagseinsatz der KI im Produktionsalltag zu denken sei. Mehr Infos: norafin.de

Tracetronic Dresden
Das Unternehmen ist auf Funktions- und Zuverlässigkeits-Tests für neue Auto-Software beziehungsweise -Komponenten spezialisiert. Dafür müssen sich die Ingenieure praxisnahe Testszenarien und -abläufe ausdenken. Um diese „Testfallerstellung“ zu automatisieren, hat Tractronic einen „Testing AI Assistant“ (Taia) entwickelt. Dieser KI-Assistent ist als Lösung konzipiert, die „täglich im Einsatz ist und kontinuierlich Testfälle in gleichbleibender Qualität generiert. Diese Automatisierung reduziert menschliche Fehlerquellen und gewährleistet eine konstant hohe Testqualität“, heißt es im „reAIlize“-Bericht. Bisher mussten die Tracetronic-Experten jeweils rund vier Stunden lang solche neu erstellten Test-Modelle überprüfen. Diese Evaluierung übernimmt nun ein „Großes Sprachmodell“. Als Nächstes will das Unternehmen diesen Prototyp einer KI-gestützten und -überprüften „Testfallerstellung“ zur Marktreife führen. Mehr Infos: tracetronic.de

Afry Leipzig
In eine andere Kerbe schlägt ein Vorhaben des Ingenieurbüros „Afry“: Dessen Leipziger Niederlassung will die oft sehr zeitaufwendige Ökobilanzierung für große Bauprojekte automatisieren und an eine KI delegieren. Der Prototyp verknüpft dreidimensionale Gebäudemodelle (BIM) mit Kartendaten (GIS) und Umweltinformationen (EPD), um daraus Nachhaltigkeits-Einschätzungen abzuleiten. Bei Tests beim Kunden „Bahn Netz AG“ offenbarten sich indes Lücken bei der Bauteil-Erkennung in den 3-D-Modellen – das übernimmt nun auch eine Künstliche Intelligenz.
„Die Nutzung von KI in der Ökobilanzierung kann den Zeitaufwand für einen bisher manuellen Prozessschritt um cirka 80 Prozent reduzieren, also von drei Stunden auf unter 30 Minuten“, zieht Projektbetreuer Stephan Paetrow eine erste Zwischenbilanz – warnt aber auch vor überzogenen Hoffnungen: „Unser Eindruck ist, dass der Einsatz von KI in Unternehmen einerseits großes Potenzial bietet, dass es andererseits aber eine gewaltige Herausforderung ist, von der Idee zur produktiven Anwendung zu kommen“, betont er. „Mit diesem Problem schlagen sich nach unserem Eindruck nahezu alle Unternehmen herum, die Spezial-KI für ihre jeweiligen Anwendungsfelder entwickeln müssen und nicht auf Standard-Anwendungen zugreifen können.“ Mehr Infos: afry.com

K.W.O. Energiezentrale Dresden
Als Berater für Kunden mit Solaranlagen will die Dresdner „K.W.O. Energiezentrale“ künstliche Intelligenz einsetzen: Die KI soll hier auf den konkreten Anwendungsfall zugeschnittene ganzheitliche Energiekonzepte sowie Verbrauchsprognosen erstellen und den Kunden dann als „Chatbot“ beraten: Welche Fotovoltaik-Anlage in welcher Größe ist hier sinnvoll? Wie lassen sich die Kollektoren mit Speichern oder anderen Anlagen im Haus kombinieren? Wie lassen sich Fehler im Praxisbetrieb ausbügeln? Dabei soll das System anonymisierte Kundendaten in Echtzeit mit aktuellen Stromnetz-Daten verknüpfen. „Zu wissen was passiert ist die halbe Miete, um Ausfällen frühzeitig vorzubeugen“, betont Geschäftsführer Marcus Sarnoch.
Derzeit könne das Unternehmen das Projekt zwar nicht weiter verfolgen oder umsetzen, auch, weil es an Risikokapital dafür mangele, räumt Sarnoch ein. „Wir arbeiten den Ansatz aber auf und wollen uns für weitere Forschungsförderung bewerben.“
Zudem ist er überzeugt: „Der Nutzen von KI im Mittelstand wäre sehr groß, gerade bei kleineren Projekten. Es können Menschen von einfachen, aber oft stupiden und damit anstrengenden Tätigkeiten befreit werden.“ Auch sinke die Fehlerquote. Das gelte zum Beispiel für die Aufbereitung und Sortierung der gesammelten Daten.

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