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Gewandhaus-Chef erklärt: Das läuft schief bei Hotels im Osten

Das Gewandhaus in Dresden gehört zu den besten Hotels Deutschlands. Chef Gregor Gerlach ist stolz auf die Auszeichnung. Aber er mahnt.

Lesedauer: 4 Minuten

Das Bild zeigt das Hotelgebäude.
Gregor Gerlach hatte das Dresdner Gewandhaus 2005 gekauft und das barocke Tuchmacherhaus zehn Jahre später als Fünf-Sterne-Boutiquehotel wiedereröffnet. © Seaside Collection Hotels

Von Michael Rothe

Herr Gerlach, Glückwunsch zum 5. Platz Ihres Dresdner Gewandhauses unter den „101 besten Hotels Deutschlands 2023“! Was bedeutet Ihnen die Platzierung?

Sie ist eine schöne Bestätigung unserer Arbeit, vor allem für das Team vor Ort.

Schwingt keine Enttäuschung mit, nicht ganz vorn zu stehen? Zumal der Sieger „Vier Jahreszeiten“ heißt – wie das erste Hotel Ihrer Familie in St. Peter-Ording.

Nein, wir freuen uns sehr. Dresden ist ja nicht die klassische Luxushotellerie-Stadt. Die Preise sind andere als in Hamburg oder München, das Budget des Hotels kleiner. Und wenn man dann dennoch so weit vorn reinkommt, ist das eine wunderbare Geschichte.

Mit dem Bülow Palais und dem Suitess sind noch zwei Dresdner Adressen im Top-Ranking vertreten, dazu das Luxusresort Schumanns in Kirschau. Ist der Kuchen in Sachsen groß genug?

Er könnte schon größer sein. Außer im Dezember ist die Auslastung der Dresdner Hotels nicht auf super Niveau. Aber jeder hat eine etwas andere Zielgruppe und macht es demnach auch anders. Wir sehen das sportlich.

Das Bild zeigt einen Mann.
Gregor Gerlach (54) und seine Schwester Anouchka führen nicht nur zehn Hotels, sie sind mit Riverside Luxury Cruises auch in der Flusskreuzfahrt aktiv. © Seaside Hotel Collection

Was braucht ein Hotel, um in dieser „Sportart“ vorn zu sein?

Klar muss zuerst die Hardware stimmen und das Hotel in Schuss sein: von der Bausubstanz bis zur Haustechnik. Aber den wirklichen Unterschied machen die Menschen vor Ort aus, ihre Freundlichkeit, ihr Mit- und Vorausdenken. Im Spruch „Dem Gast den Wunsch von den Lippen ablesen“ steckt viel Wahres. Ihm das Gefühl geben, er ist willkommen – das zählt. Und das können die Dresdner scheinbar besonders gut, wenn gleich drei vorn dabei sind.

Im Ranking ist Berlin gleich 13 Mal vertreten, im weiten Umfeld aber nicht viel los. Hat der Osten ein Qualitätsproblem?

Nein, er hat ein Gästeproblem. In Berlin ist der Markt viel größer als im übrigen Osten, gerade im 5-Sterne-Bereich. Dort gibt es auch eine größere Klientel – große Firmen, Politik, Botschaften inklusive –, die bereit ist, mehr zu zahlen. Außer in der Adventszeit, wo es auch in Dresden voll ist, verdienen Hotels in Berlin, Hamburg oder München doppelt oder gar drei Mal so viel wie in Sachsens Metropole. Mit jenen Einnahmen lässt sich auch mehr investieren.

Die Seaside Hotels werben auf ihrer Website mit „Gäste ganz einfach glücklich machen“. Wie einfach ist dieses „einfach“ – gerade in Zeiten von Multikrisen?

Einfach ist das nicht. Der Spruch meint, dass es keine goldenen Löffel oder Kaviar braucht, um Gäste zu erfreuen – oder Chichi hier und Chichi da. Das Wichtigste sind einfache Dinge: Freundlichkeit und mal eine Überraschung.

Sie sind in verschiedenen Regionen unterwegs: Kanaren, Malediven, Deutschland. Unterscheiden sich die Ansprüche der Gäste?

Jein. Natürlich ist jedes Hotel individuell, deshalb haben wir auch keinen Kettennamen, sondern jedes Haus nennt sich mit Blick auf lokale Identität anders. Aber es gibt einen gemeinsamen Nenner, der uns überall wichtig ist: Freundlichkeit, gutes Essen, Design.

Wie siehts bei den Rahmenbedingungen aus, etwa vom Side in Hamburg und vom Gewandhaus?

Ich glaube, sowohl Sachsen als auch Hamburg machen einen guten Job. Dresden hatte anfangs Defizite in der Wirtschaftsförderung, aber das wurde nachgeholt. In Leipzig ist die wirtschaftliche Nachfrage schon viel stärker als in Dresden, und in Hamburg als über Jahrhunderte gewachsenem Wirtschaftsstandort sowieso. Dresden könnte mehr internationale Firmen und Besucher haben. Doch das lässt sich nicht erzwingen. Dafür, dass es keine Millionenstadt ist, ist es ein guter Standort.

Haben Sie Wünsche an die Stadt?

Die Entscheider sollten aufpassen, dass nicht noch mehr Hotels gebaut werden. Denn: Je größer der Konkurrenzkampf, umso mehr müssen alle sparen und desto schlechter wird letztlich das Produkt.

In und nach der Pandemie schlug die Stunde der Lobbyisten: Alle fordern.

Die Lage ist ja auch alles andere als rosig.

Laut dem Statistischen Bundesamt liegen die Pro-Kopf-Ausgaben für Restaurant und Übernachtung mit im Schnitt 177 Euro im Monat wieder um 13 Prozent über dem Vor-Corona-Niveau.

Die Kosten für Strom, Lebensmittel und Gehälter sind in der Zeit aber weit mehr gestiegen: im Schnitt um 30 Prozent. Dieser Gap tut sehr weh. Zudem haben wir extrem niedrige Preise – in der Hotellerie wie in der Gastronomie. In London, Paris oder Lyon zahlt man 300, 400 Euro pro Nacht, in Deutschland 150 oder 170 Euro. Der McDonalds-Burger kostet in Frankreich fast das Doppelte wie bei uns. Das macht es schwer, in Deutschland Geld zu verdienen, obwohl die Auslastung okay ist.

Woran liegt das?

Vielleicht kann man zu leicht Hotels bauen. Immer wenn’s mal etwas besser läuft, stehen gleich fünf neue. Dann tobt der Preiskampf, die Preise sinken. Die Gastronomie schreit zuerst wegen der Mehrwertsteuer auf Speisen, die wieder 19 statt der vorübergehend sieben Prozent beträgt.

Schreien Sie mit?

Wenn die Teilkompensation der Kosten wegfällt, ist das schon dramatisch. Und mancher wird Probleme bekommen.

… wenn er nicht die Preise erhöht?

Ja, aber das ist ein Experiment mit offenem Ausgang. Die Deutschen sind sehr preissensibel. Keiner weiß, ob viele oder nur ein paar Gäste weniger kommen.

Schnider Reisen, Attika Reisen, Arcona Hotels haben die Segel gestrichen. Droht eine Pleitewelle?

Gut möglich. Die Preise sind nicht so, dass alle gut verdienen. Mancher kann beim kleinsten Windhauch umfallen.

Sie haben in Sachsen gleich drei Pflöcke eingeschlagen: In Leipzig und Dresden auf historische Substanz gebaut und in Chemnitz sogar eine Platte edelsaniert.

In Chemnitz war es gleich nach der Wiedervereinigung überhaupt das erste Hotel in Deutschland, das mein Vater in Angriff genommen hat. Dann sind die anderen nach und nach dazugekommen.

Wo sehen Sie Ihre Gruppe in fünf oder zehn Jahren?

Alles, was in der Planung über fünf Jahre hinausgeht, wird schnell Hellseherei. Wir haben gerade mit dem spannenden Flussschiff-Thema angefangen, in das wir viel Zeit investieren. Wir müssen nicht wachsen, sind nicht an der Börse, von niemandem getrieben, sondern ein Familienbetrieb. Aber wenn sich gute Gelegenheiten ergeben, beschäftigen wir uns damit. So sind wir auch nach Sachsen gekommen, als alle noch den Osten missachtet hatten.

Das Gespräch führte Michael Rothe.

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