Dresden. Noras Blick sagt: „Lass mich schlafen“, aber Herrchen kennt kein Pardon. 3.30 Uhr hat an diesem Freitagmorgen sein Wecker geklingelt. Er kocht sich Kaffee, schnappt sich seine Hundedame und dreht noch eine Runde in der Dunkelheit, bevor er sich ins Auto setzt und zum Betriebshof nach Trachenberge fährt. 4.15 Uhr holt er sich die Papiere und fährt 4.32 Uhr mit der Buslinie 62 in Richtung Postplatz ab. Vorn links, wohlgemerkt. Jonny Rönnefahrt ist Busfahrer. Unter anderem.
Die Frühschicht ist nicht so seine Welt. 8.18 Uhr kommt er wieder in Trachenberge an. Eine Stunde Pause. Zum Frühstück gibt es ein belegtes Brötchen vom Bäcker. Dann geht es mit der Linie 70 Richtung Gompitz weiter, bevor Jonny 13.17 Uhr freundlich winkend in Trachenberge die Ablösung begrüßt.

Quelle: SZ/Henry Berndt
Feierabend? Nicht für Jonny. Vom Betriebshof fährt er kurz nach Hause, zieht sich um und holt Nora aus der Wohnung. Dann geht es auf direktem Weg zu seinem Laden in Pieschen. Im September 2023 hat er ihn als Paketshop eröffnet und dann nach und nach zum Kiosk ausgebaut. Inzwischen beschäftigt er vier Angestellte.
Wer ist dieser 29-jährige Dresdner mit einer beruflichen Karriere, die sich von der vieler anderer Busfahrer unterscheidet? Die letzte wirtschaftliche Bruchlandung hat ihm weh getan, ihn aber nicht den Mut gekostet, weiterhin verrückte Ideen umzusetzen.
Vom Ebay-Händler zum Post-Imperium
Jonny ist ausgebildeter Einzelhandelskaufmann. Als Jugendlicher beginnt er damit, Fernseher und Kühlschränke aus dem Großhandel bei Ebay teurer weiterzuverkaufen. Mit 18 gründet er eine Firma namens Chono Media. Ein Eckgeschäft auf der Leipziger Straße in Pieschen dient ihm zunächst als Lager. Im Sommer 2020 eröffnet er dort seinen ersten Paketshop.
Wenig später kommt die erste Post dazu, dann die zweite, dritte und vierte. Jonny, der Jungunternehmer, hat einen Lauf. Innerhalb weniger Monate wird er zum Herrn über acht Postfilialen. Unter anderem betreibt er Läden in Johannstadt, Loschwitz, Pieschen und Kesselsdorf. Im Herbst 2021 lacht Jonny von der Titelseite des Post-Magazins.

Quelle: Christian Juppe
So schnell es aufwärts ging, so brachial geht es kurz darauf allerdings auch bergab. In der Corona-Krise brechen die eilig aufgebauten Personalstrukturen zusammen. Durch den hohen Krankenstand kann Jonny die Öffnungszeiten nicht mehr halten und verliert bald seine Partner.
Er spürt, wie ihm die Probleme über den Kopf wachsen. „Ich musste dem Schiff beim Untergehen zuschauen und konnte nicht mehr reagieren“, sagt er. „Ich bin mit Corona gestartet und habe mit Corona alles verloren.“
Wer Pakete abholt, der kauft auch Frikadellen
Nur knapp kommt er um eine Privatinsolvenz herum, verschickt Dutzende Bewerbungen und unterschreibt schließlich den Vertrag als Busfahrer bei den Dresdner Verkehrsvertrieben. Jonny, der Unternehmer, am Steuer eines Busses? Daran musste er sich zunächst gewöhnen. Doch der Job machte ihm Spaß – und tut es bis heute.
Dennoch kündigte er schon vor zwei Jahren an: „Ich komme wieder!“ Damals träumte er von seiner eigenen Spätshop-Kette. Jetzt ist es zunächst der Paketshop-Kiosk geworden.

Quelle: Rene Meinig
Erst wurden dort nur Pakete abgeholt, irgendwann bot Jonny Getränke an, dann auch Eis und irgendwann Bärchenwurst und Katzenstreu. Wer sein Paket abholt, so die Idee, der nimmt auch noch eine Packung Frikadellen mit.
Mit einem Vollzeitjob als Busfahrer und einem eigenen Laden ist Jonny, der Unternehmer, aber nicht ausgelastet. Für den Telefondienstleister Vodafone ist er parallel dazu als Kundenberater tätig. TÜV-zertifiziert, wie auf seiner Visitenkarte zu lesen ist. Er betont, dass er seine Kunden nicht nur anwirbt, sondern auch vor Ort persönlich betreut.
So erfolgreich meistert er diese Aufgabe von seinem Büro hinter dem Paketshop-Kiosk aus, dass er bei Vodafone zum „Club der Besten“ gehört und dafür im vergangenen Jahr von seinen Chefs auf die Aida eingeladen wurde.
Kundentermine im Stundentakt
Rund 2.000 Vodafone-Kunden hat er in seinem Bestand. Seine Assistentin Nadja managt die Termine. „Ohne sie wäre ich aufgeschmissen“, sagt er. Als er an diesem Freitag von der Busschicht kommt, bringt sie ihn erst einmal auf den neuesten Stand. Zwei Kunden muss er heute noch anfahren: 15 Uhr einen in Dölzschen und 16 Uhr einen in Mockritz. Es geht um Neuverträge. 18 Uhr muss er allerdings wieder im Laden sein, denn dann trifft er drei Vodafone-Neulinge, die er als Mentor betreut. Wenn sein Shop 20 Uhr schließt, dann packt auch Jonny langsam zusammen. Damit endet ein ziemlich normaler Arbeitstag.
Die letzten drei Jahre waren schwer. Ich musste viel abbezahlen. Jetzt fühlt sich das wie ein Neuanfang an. – Jonny Rönnefahrt, Jungunternehmer
Aber dann gibt es da ja noch Jonny, den Entertainer im goldenen Anzug. Als Sänger nennt er sich Jonny René. Seine Lieder tragen Titel wie „Du verschwendest die Nacht“ und „Nur mit dir“ und können bei Spotify gestreamt werden. Viele Jahre trat er im Lokalfernsehen und auf dem Dresdner Stadtfest auf.
Die Corona-Jahre hätten auch seine Sängerkarriere ausgebremst, sagt er heute. „Mir fehlt die Bühne.“ Was soll er sonst auch mit seiner freien Zeit anfangen, könnte man sich fragen.

Quelle: Christian Juppe
Viel besser läuft es da im Privatfernsehen, wo er schon Teilnehmer der schrägsten Showformate war, vom Trampolinspringen übers Leben im Kloster bis zur Datingshow.
Vor wenigen Wochen hat er den Song „Schachmatt“ veröffentlicht: „Schachmatt, hast du mich gesetzt, Schachmatt, mein Herz komplett gefetzt, Schachmatt, ich kann nicht widersteh’n, Schachmatt, wie soll das weitergehen?“
Diese Frage stellt sich Jonny auch beruflich. Es soll ja nicht eintönig werden. Auf der anderen Seite wolle er mit 30 beruflich auch mal irgendwo ankommen. „Die letzten drei Jahre waren schwer. Ich musste viel abbezahlen. Jetzt fühlt sich das wie ein Neuanfang an.“ Einer, mit dem es wieder hoch hinausgehen soll.
Verschwundene Marke soll wiederauferstehen
Jonny plant, eine Handelskette aufzubauen und dabei eine verschwundene Marke mit leicht abgewandeltem Logo wiederzubeleben, die aber noch nicht genannt werden darf. Die ersten Immobilien in Radebeul und Coswig hat er schon im Blick. In den Geschäften soll es Lebensmittel, aber auch Drogerieartikel und mal einen Staubsauger geben. „Quasi der Nachbar um die Ecke, so wie früher Schlecker.“
Der Businessplan steht. Er braucht jetzt Kredite. Eine Finanzierung durch die KfW ist bereits beantragt. „Ich will aber aus den Fehlern lernen, die ich beim letzten Mal gemacht habe“, sagt er. Diesmal soll nicht alles so schnell gehen. Er will besser planen und die Strukturen nachhaltig aufbauen.
Auf seinem Monitor im Büro steht „Rönnefahrt-Gruppe“. Das klingt schon mal groß.
SZ