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Händler frustriert: „Wen die Pandemie nicht in die Knie zwang, den erledigt es jetzt“

Vor fünf Jahren begann der Lockdown. Gewerbetreibende erhielten Hilfen vom Staat, doch vieles soll nun zurückgezahlt werden. Drei Betroffene aus der Kamenzer Region erzählen von frustrierenden Erfahrungen.

Lesedauer: 4 Minuten

Ina Förster

Kamenz. Als kürzlich der Brief der Sächsischen Aufbaubank (SAB) in Sandra Kretzschmars Briefkasten flatterte, ahnte sie Schlimmes. Die Geschäftsfrau hatte zuvor die geforderte Schlussabrechnung der Corona-Überbrückungshilfe ausgefüllt.

Wie viele andere Gewerbetreibende hatte sie 2020 einen Corona-Soforthilfe-Zuschuss für ihre Buchhandlung in Großröhrsdorf beantragt. „Es gab 3000 Euro pro Monat, und in der Verzweiflung nahm man diese Möglichkeit für drei Monate an. Schließlich wurde einem als Selbstständige durch den Lockdown die Lebensgrundlage entzogen“, sagt sie.

Keine Kundschaft, keine Verkäufe. Nur ein bisschen Onlinehandel und die Vertragspartnerschaft mit einem Paketdienst seien weitergelaufen. Ihre beiden geringfügig Beschäftigten wollte sie nicht nach Hause schicken. Sämtliche Lohnnebenkosten liefen weiter. „Durch den Paketdienst mussten wir trotzdem 9 bis 18 Uhr im Haus sein. Es kamen nur keine weiteren Einnahmen rein“, sagt sie.

Viele Ausgaben nicht berücksichtigungsfähig

Die Soforthilfe sei den Selbstständigen damals nicht als Kredit verkauft worden, sondern als Überbrückungshilfe. „Hätte ich gewusst, was nun alles nicht berücksichtigungsfähig ist, hätte ich es mir überlegt“, kritisiert Kretzschmar.

Zudem seien die Bedingungen alle paar Tage geändert worden. Die Länder hatten die Soforthilfen zunächst pauschal gewährt. „Später kam ein Passus dazu, dass die Bewilligung nur vorläufig und unter dem Vorbehalt einer Nachprüfung gezahlt wurde“, erzählt Kretzschmar.

SAB leitete Rückmeldeverfahren ein

Im Sinne eines sparsamen Umgangs mit öffentlichen Mitteln hat der Bund die Bundesländer inzwischen aufgefordert, den tatsächlichen Bedarf der Unterstützung abzufragen. In Sachsen wurde die Sächsische Aufbaubank (SAB) mit der Überprüfung von etwa 70.000 Unternehmen beauftragt, dies werde seit Mitte November 2024 umgesetzt, heißt es auf SZ-Nachfrage.

„Und bei vielen Betroffenen hat sich im Nachgang herausgestellt, dass die Umsatzeinbrüche und somit der Liquiditätsbedarf nicht oder nicht im prognostizierten Umfang eingetreten sind“, teilt die SAB mit. Die Überprüfung mit einem von der Bank entworfenen Abfrage-Katalog trifft nun aber auf Kritik. Etliche Betroffene gehen in Widerspruch.

73 Klagen im Zusammenhang mit dem Programm

„Bisher wurden 73 Klagen bei sächsischen Gerichten eingereicht, wovon aktuell 38 Klagen noch zu entscheiden sind. Die Gründe für eine Klageeinreichung können sehr vielseitig sein“, so SAB-Pressesprecher Volker Stößel.

Der Bundesverband mittelständische Unternehmen in Deutschland sah schon im vergangenen Herbst Probleme anrollen. „Es wäre ein starkes Signal gewesen, dem stark unter Druck stehenden Mittelstand die Rückzahlung dieser Hilfen zu erlassen“, erklärte der Verband.

Der Mittelstand, der schon zu Corona draufzahlen musste, muss nun wieder bluten. Das geht solange, bis wir alle bei Amazon am Fließband stehen. – Sandra Kretzschma, Buchhändlerin aus Kamenz

Auch Buchhändlerin Sandra Kretzschmar machte die Forderung der SAB ratlos: „Ich muss innerhalb eines halben Jahres die gesamten 9000 Euro zurückzahlen. Nach fünf Jahren ist das eine Herausforderung, die mir Sorgen bereitet! Ich habe keine Rücklagen.“

Der Einzelhandel habe sich seit Corona nicht erholt. Anschließend kamen Energiekrise und Inflation. „Wen die Pandemie vor ein paar Jahren nicht in die Knie zwang, den erledigt es jetzt eventuell“, sagt Kretzschmar.

Kranken- und Rentenversicherung nicht absetzbar

Das Problem: Nur wenige Ausgaben, die sie in den Monaten des Stillstands hatte, würden heute als berücksichtigungsfähig angerechnet. „Kurz gesagt: Die Klammern im Tacker hätte man mir bezahlt, aber wie ich meine Kranken- oder Rentenversicherung begleiche, das interessierte nicht. Abgesehen davon, dass ich immer noch nicht weiß, wovon ich als Selbstständige hätte leben sollen“, sagt sie. „Es gleicht einer Farce, und man möchte nur noch den Mittelfinger heben.“

Sie findet es lächerlich, dass Posten wie Kontoführungsgebühren oder Ausgaben beim Steuerberater absetzbar sind. „Oder Handy, Telefon und Internet – das waren doch nur geringfügige Ausgaben. Kfz-Werkstattkosten und Reisekosten – wo bitte sollte ich hinreisen? Wir durften damals nicht mal in den nächsten Park gehen“, empört sich die Geschäftsfrau, die seit 2022 neben ihrem Großröhrsdorfer Geschäft auch die erst im vorigen Jahr mit dem Deutschen Buchhandelspreis ausgezeichnete Kamenzer Buchhandlung betreibt.

Online-Ausfüllung kompliziert und unverständlich

Insgesamt wurden in Sachsen mehr als 1,9 Milliarden Euro Zuschüsse an rund 165.000 Unternehmer, Veranstalter und Künstler vergeben, so das Wirtschaftsministerium. „Bereits mehr als 65 Prozent der Unternehmen und Soloselbstständigen wurden in den letzten vier Monaten von uns angeschrieben, die Letzten werden im April ihre Aufforderung zur Überprüfung erhalten. 12.000 Unternehmen haben seither ihre Berechnungen durchgeführt“, erklärt Volker Stößel von der SAB.

„Schnell sind sie ja, wenn sie was wollen“

Auch Trachtenschneiderin Petra Kupke aus Räckelwitz traf die Rückzahlung. „Ich muss von 9000 Euro ganze 6350 Euro im nächsten halben Jahr abstottern. Das kann ich nur in Raten“, sagt sie. Und es tue ihr richtig weh. Die Online-Ausfüllung an die SAB sei für sie teilweise unverständlich gewesen. Dafür habe bereits am Tag nach der Absendung die Rückzahlungssumme vorgelegen. „Schnell sind sie ja, wenn sie was wollen“, meint die Geschäftsfrau.

Die SAB widerspricht: „Das aktuelle Rückmeldeverfahren ist leicht verständlich aufgesetzt und erfolgt digital über das Förderportal.“

Auch Trachtenschneiderin Petra Kupke aus Räckelwitz kämpft nun mit der Rückzahlung von Corona-Soforthilfe. Bei ihr sind es 6350 Euro. Die kann sie nur in Raten abstottern.
Auch Trachtenschneiderin Petra Kupke aus Räckelwitz kämpft nun mit der Rückzahlung von Corona-Soforthilfe. Bei ihr sind es 6350 Euro. Die kann sie nur in Raten abstottern.
Quelle: Matthias Schumann

Das Problem für Petra Kupke: Sie habe noch kurz vor Beginn der Pandemie Stoffe bestellt, die seien dann im März und April gekommen. „Allein dadurch entstand ein Minus von über 2200 Euro, das ich nicht absetzen konnte.“

Uns als Händler wurde in der Pandemie ein Arbeitsverbot ausgesprochen. Das war krass. Und wir hatten keine Chance. – Sylvia Stephan, Ladeninhaberin „Hautnah“ in Kamenz

Ähnlich erging es Sylvia Stephan vom Kamenzer Wäschegeschäft Hautnah. Ihr Laden musste zubleiben, nur die Textilreinigungsannahme lief weiter. Umsatz gab es in dieser Zeit kaum. „Uns als Händler wurde in der Pandemie ein Arbeitsverbot ausgesprochen. Das war krass. Und wir hatten keine Chance“, sagt sie.

Kaum Chance bei Sammelklage

Akribisch habe sie alle Ausgaben aufgelistet, doch vieles davon werde nun nicht berücksichtigt. „Eigentlich müssten wir uns zusammentun und eine Sammelklage einreichen“, sagt sie.

Der Börsenverein des Buchhandels habe ihr keine Hoffnung auf Erfolg gemacht, sagt Sandra Kretzschmar diesbezüglich. Ein Riesen-Ärgernis sei darüber hinaus, dass die Soforthilfe damals noch versteuert werden musste. Und nun müsse man die Rückforderungssumme innerhalb eines halben Jahres zurückzahlen, sonst werde es teuer.

Sylvia Stephan, Inhaberin des Kamenzer Wäschegeschäftes Hautnah, feierte im vorigen Jahr ihr 30-jähriges Jubiläum. Die Corona-Pandemie hatte auch ihr heftig zugesetzt.
Sylvia Stephan, Inhaberin des Kamenzer Wäschegeschäftes Hautnah, feierte im vorigen Jahr ihr 30-jähriges Jubiläum. Die Corona-Pandemie hatte auch ihr heftig zugesetzt.
Quelle: Anne Hasselbach

Der SAB-Sprecher erklärt dazu: „Für Zahlungen, die nach sechs Monaten eingehen, werden Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszins erhoben. Die SAB ist an die Vorgaben dieser Zinssatzregelung gebunden.“ Bei Bedarf könnten Ratenzahlungsvereinbarungen für beispielsweise zwölf Monate geschlossen werden.

„Aber wieder verdient der Staat an uns. Der Mittelstand, der schon zu Corona draufzahlen musste, muss nun wieder bluten. Das geht so lange, bis wir alle bei Amazon am Fließband stehen“, sagt Kretzschmar wütend.

SZ

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