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Im Feuer geboren

Viele haben sie zu Hause, ohne es zu wissen: die Trinkgläser von Stölzle aus Weißwasser. Ihre Herstellung ist eine heiße und laute Angelegenheit.

Lesedauer: 5 Minuten

Die Wanne eins spuckt einen orangefarbenen Glastropfen aus. Er besteht aus Er besteht aus Sand, Soda, Kalkstein, Pottasche und acht weiteren Zuschlagstoffen. Die genaue Zusammensetzung ist Betriebsgeheimnis bei Stölzle Lausitz in Weißwasser, der letzten von einst bis zu zwanzig Glashütten in der Region.

Die Lausitz war das Zentrum der kristallinen Glasmacherei, erzählt Peter Feldscher. Er ist Geschäftsführer des Unternehmens und erinnert mit seinem weichen österreichischen Dialekt sehr an Schauspiellegende Klaus Maria Brandauer. Dass ausgerechnet in der Lausitz Glas gefertigt wurde, lag an dem Sand, der sich hier im Umkreis von gut neunzig Kilometern finden lässt. Sein Verunreinigungsgrad ist gering und damit auch die Gefahr von Einschlüssen oder Verfärbungen. Diese hohe Reinheit des Glases und seine Brillanz haben schon den Bauhausschüler Wilhelm Wagenfeld dazu veranlasst, in der Lausitz mit Glas zu experimentieren.

Doch zurück in die Hütte. Der 1150 Grad Celsius heiße Glastropfen hat zwei Tage in der mit Schamottsteinen ausgekleideten Schmelzwanne verbracht. Geläutert, also von möglichen Gaseinschlüssen befreit, geht es über den Feeder, einen kleinen Kanal, zu den Formen, die wie auf einem Karussell aufgereiht sind. Die Formen nehmen die Schmelze in Empfang, umschlingen sie mit ihren metallenen Armen. Noch sieht die künftige Cocktailschale riesig aus. Doch das wird sich später ändern, sie wird geköpft, sprengen sagen die Glasmacher dazu. Sie haben es auch an kältesten Wintertagen kuschelig warm an ihrem Arbeitsplatz. 38 Grad zeigt das Thermometer zwischen den beiden Wannen an. Die Arbeiter tragen T-Shirts, Schutzbrille, Handschuhe und Ohrenstöpsel.

Die Glasherstellung ist keine leise Angelegenheit. Kompressoren dröhnen ohne Unterlass. Die Stölzle-Gläser werden nicht gepresst, sondern geblasen, nicht mit dem Mund, sondern mithilfe von Maschinen. Die verbrauchen viel Strom, die Glaswannen werden mit Gas hochgeheizt. Ja, sagt Peter Feldscher, die Glasherstellung ist sehr energieintensiv. Das Glaswerk in Weißwasser hat optimiert, ist für sein Energiemanagement sogar zertifiziert worden, doch in der Bilanz bleiben die Ausgaben ein großer Posten. „Wir arbeiten daran“, sagt der Geschäftsführer. Es gehe darum, den Verbrauch zu senken, beispielsweise durch Solardächer auf den riesigen Hallen, aber auch dadurch, die Abwärme in der Hütte noch sinnvoller zu nutzen.

Ohnehin ist das Unternehmen, das in Weißwasser fast 400 Menschen beschäftigt, um Nachhaltigkeit bemüht. Glasbruch wird an verschiedenen Stellen im Werk gesammelt und wieder eingeschmolzen. Und auch die Gläser, die die strenge Qualitätskontrolle nicht bestehen, landen erneut im Ofen. „Bei uns gibt es im Unterschied zu Mitbewerbern keine zweite Wahl“, wird Peter Feldscher später in der Packerei sagen.

Doch bis dahin ist es noch ein knapp einhundert Meter langer Weg durch die Hütte. Haben die Gläser ihre Form, geht es auf ein Transportband, das ebenfalls dauerhaft mit Gasflammen beheizt wird. Glas kühlt außen schneller aus als innen, was ohne neuerliche Wärmezufuhr zu Spannungsrissen führen würde. Also wird der Kelch auch auf seinem Transportweg befeuert. Er hat an seinem unteren Ende eine keck aufragende Glasnase. Die soll im nächsten Arbeitsgang zu einem Stiel gezogen werden. Das ist die Königsdisziplin. Während nahezu alle Mitbewerber den Stiel aus dem Boden, also dem Fuß des Glases, ziehen und dann das Glas oben aufsetzen, arbeiten die Glasmacher von Stölzle genau andersherum. Der Stiel entsteht aus dem Glas, und am Ende wird die Bodenplatte unten angesetzt. Das macht das Glas nicht nur brillanter, weil es am Kelchfuss keine Naht gibt. „Unsere Gläser sind auch deutlich stabiler“, sagt Peter Feldscher.

Zum Beweis nimmt er ein Rotweinglas und lässt den Kelch sanft kreisen. Es knackt nichts, es bricht nichts. Dann kippt er das Glas um. Es poltert rollend über den Tisch. Die erschrockenen Blicke seiner Zuschauer kennt Peter Feldscher längst, aber er beruhigt. „Ich würde das nicht tun, wenn ich nicht sicher wäre, dass unsere Gläser das aushalten“, sagt er. Bei einhundert Versuchen gab es bisher nur zwei Pannen.

Sind der Glaskelch und der Fuß schließlich vereint, geht es für knapp zwei Stunden in den Entspannungsofen. Wie eine kleine Armee stehen die Gläser zu Dutzenden neben- und hintereinander. Es wackelt und ruckelt, aber nur ganz selten kommt eines der Gläser mal aus dem Gleichgewicht. Am Ende der Kühlbahn warnt Peter Feldscher: „Bitte nicht anfassen, die Gläser sind immer noch heiß.“ Rund 60 Grad Celsius beträgt ihre Temperatur jetzt, kühl genug, um den oberen Rand des Kelches abzusprengen. Das geschieht unter Wassereinsatz. Jetzt hat sie ihre endgültiger Form: die Cocktailschale.

Doch bis James Bond seinen Martini, gerührt, nicht geschüttelt – daraus trinken könnte, müsste er noch etwas warten. Die Gläser bekommen noch eine Wellnessbehandlung. Mit Wasser und Schleifmaschine wird der Mundrand vorbehandelt, bevor es ein letztes Mal in die Hitze geht, um ihn zu verschmelzen.

Ein Förderband bringt das Glas dann zur Qualitätskontrolle. Ob es der Kelch tatsächlich in den Karton schafft, entscheiden hier die geschulten Augen der Prüferin. Es muss schnell gehen. Im Sekundentakt bringt das Band neue Gläser. „Das ist anstrengend, deshalb wechseln sich unsere Mitarbeiter hier alle dreißig Minuten ab“, so der Geschäftsführer.

Um das Überleben zu sichern, setzt Stölzle nicht nur auf Qualität, sondern auch auf Automatisierung. „Sie ist unsere Zukunftssicherung“, sagt Peter Feldscher und zeigt eine Anlage, die mit Kameras die Glasqualität prüft. Eine gibt es schon im Unternehmen, weitere sollen in diesem Jahr angeschafft werden.

Das Unternehmen gehört seit 1996 zu dem Imperium von Dr. Cornelius Alexander Grupp, der CAG Holding. Sie umfasst 40 Produktionsstandorte mit rund 5.000 Beschäftigten. Darunter sind mehrere Glaswerke und die Prefa Aluminiumprodukte. Seit der deutsch-österreichische Unternehmer das Werk in Weißwasser aus der Insolvenz heraus übernommen hat, investierte er rund 40 Millionen Euro. Mittlerweile gibt es zwei Glaswannen mit vier Produktionslinien, mit denen das Unternehmen über 42 Millionen Euro Umsatz pro Jahr erwirtschaftet. „Und das, obwohl wir uns in einer Nische bewegen“, so der Geschäftsführer.

Von den rund zehn Milliarden Trinkgläsern, die jedes Jahr weltweit produziert werden, sind nur fünf Prozent aus hochwertigem, kristallinem Glas. Bei Stölzle werden pro Tag 100.000 bis 130.000 Gläser geblasen. Da an den Wannen in vier Schichten 365 Tage im Jahr gearbeitet wird, kommen so rund 40 Millionen Stölzle-Gläser zusammen. „Wir haben also, was den Marktanteil angeht, noch etwas Luft nach oben“, sagt Peter Feldscher.

Mitbewerber sind Spiegelau, Zwiesel und Riedel. Die beliefern, anders als Stölzle, bereits den Einzelhandel und damit den Endkunden. Stölzle setzt bisher auf Großabnehmer, beliefert Hotels, Restaurants und Bars, in 120 Ländern weltweit. Wer in Dubai sein Mineralwasser bestellt, trinkt es mit großer Sicherheit aus einem Glas, das in Weißwasser hergestellt wurde. „Selbst auf die Fidschi-Inseln haben wir schon geliefert“, sagt der Geschäftsführer. Bei der Erschließung dieser oft entfernten Märkte helfen zum einen international aufgestellte Hotelgruppen, zum anderen Getränkehersteller, für die Stölzle-Glas ebenfalls exklusiv produziert.

Und der Endkunde? Der kann im Werksverkauf in Weißwasser und seit Mai 2018 im Webshop einkaufen. Letzterer kann ohne großen Werbeaufwand bereits beachtliche Zahlen vorweisen. „Für uns ist das ein klares Signal, das Geschäft mit den Endkunden weiter auszubauen“, sagt Peter Feldscher. Er ist sich sicher, dass schon in vielen deutschen Haushalten regelmäßig aus Stölzle-Gläsern getrunken wird, ohne dass die Kunden es wissen, da viele namhafte Haushaltswarenhersteller seit Jahren zu den Kunden der Glasmacher aus Weißwasser gehören.

Der Kelch hat es mittlerweile geschafft. Die Packerin konnte keine Luftblasen, keine Einschlüsse oder andere Fehler finden. Er landet in dem Karton und dann in einem der großen Lager von Stölzle.

Das Unternehmen kann aktuell 350 verschiedene Gläser herstellen, die Formen dazu werden unmittelbar neben der Hütte gepflegt und aufbereitet. Fast alle Gläser werden auf Vorrat produziert, um Kundenanfragen möglichst schnell, innerhalb von ein, zwei Tagen, bearbeiten zu können. Bei manchen Wünschen müssen sich auch die Kunden etwas gedulden, dann etwa, wenn sie neben einem Logo handbemalte Kleinserien in Auftrag geben – für Firmenjubiläen, Hochzeiten oder Taufen. Solche Wünsche werden von den Damen in der Dekoration erledigt, mit ruhiger Hand, viel Erfahrung und Ruhe.

Letztere findet Geschäftsführer Peter Feldscher eher selten, aber wenn, dann genießt er gern einen Schluck guten Weißwein – natürlich aus einem Stölzle -Glas.

 

Von Ines Mallek-Klein

Foto: © Thomas Kretschel

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