Frank Leopold muss nicht lange suchen, dann hat er das entscheidende Schriftstück in der Hand. Die Ahnengalerie seiner Familie reicht bis ins Jahr 1862 zurück, als Johann Carl Gottlieb Leopold einen Dach- und Schieferdeckerbetrieb gründete. Der heutige Geschäftsinhaber ist der Achte in der Rothenburger Dachdeckerdynastie, die Höhen und Tiefen aufweist und nach der Fleischerei Eichler aktuell der zweitälteste noch existierende Handwerksbetrieb in der Neißestadt ist.
Schon in den Anfangsjahren musste das Unternehmen einen Schicksalsschlag verkraften. Gottlieb Wilhelm Ernst, Sohn des Firmengründers, stürzte am 1. Juni 1890 bei der Arbeit vom Kirchturm in Sänitz, das damals zum Kreis Rothenburg gehörte und heute in Polen liegt. Auch Max Alfred, der den Betrieb in der Zeit des Nationalsozialismus führte, fand einen tragischen Tod. Er starb Ende 1945 bei Smolensk in russischer Kriegsgefangenschaft. An seiner Stelle sollte sein Bruder Wilhelm Ernst Friedrich das Unternehmen in die Zukunft führen. Doch ihm machte eine Verletzung aus dem Ersten Weltkrieg zu schaffen. Die Amputation einer Kniescheibe und die Versteifung des linken Beines beendeten seine berufliche Tätigkeit. So ließ sich die Gewerbeabmeldung in der DDR nicht mehr vermeiden. Inzwischen hatte sich auch Max Alfreds Sohn Siegfried zum Dachdecker ausbilden lassen. „Eine Wiederbelebung unserer Firma funktionierte in den sozialistischen Zeiten aber nicht. Da wurden meinem Vater zu viele Steine in den Weg gelegt“, erinnert sich Frank Leopold.
Ganz lassen von dem Traum konnte Siegfried aber nicht. Anfang der 1990er Jahre wagte er einen neuen Versuch, fragte zuvor seinen Sohn, ob er mit einsteigen würde. „Für mich war das nicht ganz einfach. Ich hatte zu dieser Zeit schon Frau und zwei Kinder und mich außerdem zum Baumaschinisten ausbilden lassen“, erzählt der heutige Firmenchef. Trotzdem ging er auf das Angebot des Vaters ein, setzte sich als damals 34-Jähriger noch einmal auf die Schulbank und erlernte das Dachdeckerhandwerk ab 1995 völlig neu. Bereits 1999 hatte er seinen Meisterabschluss in der Tasche und übernahm ein Jahr später den väterlichen Betrieb. „In unserer Familie war die Dachdeckerei ständiges Gesprächsthema. Deshalb habe ich nicht lange überlegt, ob ich die Tradition weiterführen soll.“ Noch heute schaue er gern in alte Akten und bewundere seine Vorfahren, was sie in ihrer Zeit geleistet hätten.
Allerdings hat sich der Arbeitsalltag des Unternehmers in den letzten Jahren stark gewandelt. War er anfangs meist noch selbst auf den Dächern aktiv, kommt er heute kaum noch dazu. „Ich glaube, das würde meine Angestellten auch verunsichern, wenn plötzlich der Chef neben ihnen auftauchen würde.“ Leopold kümmert sich stattdessen um den „Papierkram im Büro“, der für ihn lästig, aber auch unerlässlich ist. Und darum, dass seine sieben Angestellten stets mit Aufträgen ausgelastet sind. Nach dem Boom der Nachwendejahre ist die Zahl der Neueindeckungen zurückgegangen. Leopold beziffert sie mit rund 60 Prozent des Arbeitsvolumens, der Rest rekrutiere sich aus Reparaturen. „Egal was wir machen, wichtig ist absolute Qualitätsarbeit.“ Deshalb setzt er auf Mitarbeiter, die das Dachdeckerhandwerk von der Pike auf gelernt haben. Wobei er weiß, dass diese Branche keine einfache ist. „Natürlich ist man immer an der frischen Luft, ist entsprechend anfällig gegen Erkältungen.“ Aber gerade weil seine Leute durch Wind und Wetter abgehärtet sind, fallen sie nur ganz selten aus. Bedeutend mehr werden bestimmte Körperpartien beansprucht. Rücken- und Knieprobleme sind keine Seltenheit. „Vielleicht ist das ein Grund dafür, weshalb nur ganz schwer gute Leute zu bekommen sind. Ich denke aber auch, unsere Arbeit wird nicht genügend geschätzt.“
Allerdings hat Frank Leopold mit seinem Neffen und dem Freund der jüngeren Tochter gleich zwei junge Fachleute in seiner Crew, die das Zepter perspektivisch übernehmen sollen – so der Plan. In zwei, drei Jahren möchte er ins zweite Glied rücken, damit die Jugend dann die Familientradition weiterleben lassen kann.
Von Frank-Uwe Michel
Foto: © André Schulze