Tim Ruben Weimer
Bautzen. Wie ein Nervensystem durchziehen Glasfaserkabel von mehr als einem Kilometer Länge die dreiteilige, 45 Meter lange Brücke, die seit Weihnachten 2023 in der Nähe des Betonfertigteilwerkes von Hentschke Bau im Industriegebiet Bautzen-Nord steht. Unter dem Titel „OpenLAB“ hat das Bauunternehmen hier im Ortsteil Teichnitz unter der Führung von Professor Steffen Marx von der TU Dresden mit dem Ingenieurbüro MPK aus Weimar und der TU Hamburg eine Forschungsbrücke entwickelt. An ihr soll untersucht werden, wie mithilfe von Sensoren Risse frühzeitig erkannt werden können, um so einen Kollaps von Brücken – wie etwa bei der Carolabrücke in Dresden – zu verhindern.
Eine permanente Überwachung von Brücken mittels Sensoren ist in Sachsen noch Neuland. Nur zwei Bauwerke werden bisher im Zuständigkeitsbereich des sächsischen Landesamtes für Straßenbau und Verkehr permanent überwacht. „Ein solches System wird nur in besonderen Fällen, bei denen hierdurch wesentliche Vorteile für den Betrieb und die Überwachung des Bauwerks zu erwarten sind, umgesetzt“, teilt eine Sprecherin mit. Wesentlicher Grund: Sensortechnik ist nicht günstig und benötigt sowohl eine Stromversorgung als auch eine Datenanbindung.
Das will Hentschke Bau zusammen mit seinen Partnern in dem Forschungsprojekt in Bautzen ändern. „In der Zukunft sollen Sensoren in jedem Brückenbauwerk landen und als Hilfestellung für die Brückenprüfer dienen, die Risse oft nur von außen erkennen können“, erklärt Projektleiter Frank Jesse. Dafür verwendet das Team eine besondere Sensortechnologie, die es erst seit wenigen Jahren auf dem Markt gibt und die deshalb auch noch nicht vollends erforscht ist.
Alles Wichtige zum Teileinsturz der Carolabrücke in Dresden lesen Sie im Newsblog auf Sächsische.de.
Beim sogenannten Distributed Fiber Optic Sensing werden gewöhnliche Glasfaserkabel, mit denen immer mehr Haushalte ans Internet angeschlossen werden, durch den Stahlbeton verlegt oder bei Bestandsbauten nachträglich angeklebt. Die sind kostengünstig und haben gegenüber herkömmlichen Sensoren einen entscheidenden Vorteil: Sie überwachen die Brücke auf ihrer gesamten Länge, während die typischen heute eingesetzten Sensoren den Zustand einer Brücke nur erfassen können.
Entsteht im Tragwerk ein Riss, verformt sich auch das darin befindliche Glasfaserkabel minimal. Ein angeschlossenes Messgerät kann diese kleinsten Biegungen durch Änderungen des im Glasfaserkabel reflektierten Lichtes erkennen. Mittels Algorithmen kann dann ein digitales Abbild der Brücke mit sämtlichen noch so kleinen Rissen erstellt werden.
Über die Testbrücke im Industriegebiet Bautzen-Nord lassen Jesse und sein Team jeden Monat ein Belastungsfahrzeug rollen, das dem Gewicht eines vollbeladenen 40-Tonnen-Lkw entspricht. Momentan geht es noch darum zu analysieren, wie sich die Brücke im Normalzustand verhält und welche Daten die Glasfaser-Sensoren in Kombination mit weiteren Verformungs- und Wettersensoren dazu liefern.
Testbrücke soll 2025 bis zum Einsturz belastet werden
Interessant ist auch der Vergleich zwischen den drei Brückenabschnitten: Während das mittlere Feld eine Brücke in Standard-Bauweise abbildet, ist das linke Brückenfeld in Fertigbauweise errichtet worden, was den Bau von Brücken in der Praxis deutlich beschleunigt. Im dritten Abschnitt sind „alle Probleme eingebaut worden, die alte Brücken nun einmal so haben“, erklärt Jesse – inklusive jener der Carolabrücke. Diese hatte nach gegenwärtigem Kenntnisstand nachgegeben, weil der Spannstahl, der den Beton zusammenpresst, korrodiert war. Sofern deren Versagen auch zu Rissen im Beton, der den Stahl umgibt, führte, hätte durch den Einsatz von Glasfaser-Sensoren möglicherweise bereits frühzeitig vor einem Brückeneinsturz gewarnt werden können, so Jesse.
Ab Frühjahr 2025 geht es im Bautzener Industriegebiet dann erst richtig zur Sache: Dann soll die Brücke so stark beansprucht werden, dass sie in Teilen nachgibt, also kurz vor dem Einsturz steht. Danach soll ausgewertet werden, welche Sensoren am besten geeignet waren, um ein Versagen rechtzeitig zu erkennen.
Dass Betonbrücken Risse bekommen, sei erstmal ein normales Phänomen, erklärt Jesse. Schließlich leidet das Bauwerk nicht nur unter dem Verkehr, einen wesentlichen Teil der Beanspruchung mache die über das Jahr schwankende Temperatur aus. Erreichen Risse allerdings eine Breite von einem halben Millimeter und werden damit für das bloße Auge gut erkennbar, deute das schon auf ernsthaftere Probleme hin. Solche Risse weist auch die Bautzener Friedensbrücke auf, sie sind von unten gut sichtbar. Die Brücke soll daher 2025 saniert werden.
Glasfasersensorik könnte die nächsten Jahre häufiger zum Einsatz kommen
„Das Problem ist aber – wie bei der Carolabrücke – dass man oft gar nicht wirklich weiß, ob eine Brücke ein Problem hat“, erklärt Jesse. Mit eingebauten Glasfasersensoren könnte bei den alle sechs Jahren stattfindenden Hauptprüfungen gemessen werden, wie sich die Brücke über die Jahre verändert. Laut Jesse gibt es neben der vom Bundesverkehrsministerium geförderten Hentschke-Forschungsbrücke in Sachsen mindestens vier weitere Brücken, die bereits mit dieser Sensortechnik ausgestattet sind: die Pilotbrücke in Expressbauweise im Zuge der Baustraße der B173 westlich von Freiberg, die Brücke im Zuge der S111 in Wurschen (hier soll die Brücke aufgrund ihrer neuartigen Bauweise mit Carbonbeton im Auge behalten werden), die Brücke der Königsbrücker Straße in Dresden über die Bahngleise nahe dem Bahnhof Industriegelände (sensorische Überwachung aufgrend ihres schlechten Zustands) und die Brücke der B169 über die Mulde in Döbeln (ebenfalls aufgrund des schlechten Zustands).