Von Georg Moeritz
Chemnitz. Bitte anschnallen und die Brille aufsetzen: Wer den Fahrausweis für Gabelstapler erwerben will, muss in keiner sächsischen Lagerhalle rangieren. Der Simulator gehört zur Ausstattung der Weiterbildungsakademie der DIS AG, die im Oktober in Chemnitz eröffnet worden ist. Sie ist eine von sechs Akademien des Personaldienstleisters, zunächst die einzige in Sachsen.
Im Seminarkatalog der Chemnitzer Akademie findet sich die Schulung zum sicheren Führen von Gabelstaplern in Theorie und Praxis zum Preis von 239 Euro pro Teilnehmenden. Aber lässt sich Fahren ohne echte Umgebung und ohne Gabel am Stapler richtig lernen? Womöglich sogar besser, sagt Monique Hünecke, die als „Upskilling manager“ bei DIS für Aus- und Weiterbildung zuständig ist.
Der Simulator kann einen Unfall simulieren – das geht im echten Lagerraum nicht. Wer vergisst, an seinem Trainingsgerät die virtuelle Gabel herunterzufahren, oder gegen etwas stößt, bekommt vom Automaten ein Ruckeln zu spüren. Hünecke sagt, aus ihrem Firmennetzwerk in Europa wisse sie: Mitarbeiter verursachten erheblich weniger Unfälle, wenn sie mit Simulatoren geschult worden seien.
Auf Kundenwunsch kann auch einige Zeit eine Kamera in den Lagerhallen mitfahren und Aufnahmen machen, damit künftige Mitarbeiter passend zur Arbeitsumgebung geschult werden. DIS kann die Simulatoren zu Kunden mitbringen, etwa für die vorgeschriebene jährliche Unterweisung. Die taugt laut Hünecke auch als Mitarbeiter-Event, gerade jüngere Menschen sähen die Schulung am Simulator auch als eine Art Gaming an.
Arbeit in Wohnortnähe vermitteln
Die neue Chemnitzer Weiterbildungsakademie nutzt Räume in einem Bürogebäude, in dem auch Fachgerichte ansässig sind. Zunächst konzentriert sich die DIS-Akademie auf Elektro- und Lagerlogistik, dafür gibt es je 26 Plätze. Im Januar soll Informationstechnologie hinzukommen. Erste Teilnehmer kommen auch aus Zwickau und Plauen. DIS möchte sie nach eigenen Angaben möglichst dort in Arbeit vermitteln, wo sie wohnen oder wohnen möchten.
Die Akademie hat keine eigene Werkstatt, sondern nutzt Simulatoren und Labortische. Dort werden zum Beispiel Werkzeuge oder Motorteile eingeblendet, die Teilnehmer wählen das Passende aus. Das System erkennt, ob beispielsweise der Motor richtig zusammengebaut wurde, und zeigt Fehler an.
Kerngeschäft der DIS AG ist Personalvermittlung und Personalüberlassung. Aber der Fachkräftemangel machte auch die Arbeitsmarkt-Experten flexibler: Wenn es die Mitarbeiter mit gesuchten Qualifikationen nicht mehr auf dem Markt gibt, warum nicht direkt selbst weiterqualifizieren? In Bochum hat das Unternehmen mit einer Pilot-Weiterbildungsakademie begonnen, nun sind fünf Standorte dazugekommen. Die Landkarte zeigt nun auch Berlin sowie Chemnitz als zunächst einzigen Standort in den neuen Ländern, dazu Bremen, Stuttgart und Kassel. Ob Sachsens größte Städte Leipzig und Dresden später auch eine solche Akademie erhalten, ist offen, jedenfalls noch nicht im nächsten Jahr.
Für Chemnitz als einen der ersten Standorte entschied sich DIS, weil dort mit dem Schwesterunternehmen Akkodis zusammengearbeitet werden kann und schon Erfahrung in Aus- und Weiterbildung bestand. Zudem zeigt sich Hünecke sicher, die Bewerber dort nach den Schulungen auch vermitteln zu können. DIS habe Erfahrung in gewerblich-technischen Berufen und werde darauf achten, was der Arbeitsmarkt in Chemnitz vor allem brauche.
DIS-Vorstand Marcus Haase sagt, er sehe kein Abflauen der Nachfrage aus der Wirtschaft, Aufträge seien weiterhin vorhanden. Nachfrage erwarte er etwa aus Medizintechnik/Pharma und bei neuen Technologien etwa in der Auto-Industrie. Der Wandel werde auch zu neuen Berufen und Qualifizierungsmaßnahmen führen. Schließlich ist der Fachkräftemangel laut Haase einer der größten Risikofaktoren für die deutsche Wirtschaft. „Digitale Transformation, Green Economy und dann auch noch Fachkräftemangel – für viele Führungskräfte ist es eine zunehmende Herausforderung, Mitarbeitende zu finden, die das Geschäft am Laufen halten“, sagt Haase. Gleichzeitig ist die Arbeitslosigkeit in Sachsens drittgrößter Stadt Chemnitz hoch: Chemnitz hat sich in der Tabelle der höchsten Arbeitslosenquoten Sachsens in den vergangenen Jahren nach oben geschoben. In diesem Oktober erreichte die Arbeitslosenquote in Chemnitz neun Prozent, ein Jahr zuvor wurden noch 8,6 Prozent errechnet.
Mehr als 11.000 Menschen in Chemnitz sind arbeitslos gemeldet. Die Zahl der freien Stellen in den Computern der Chemnitzer Jobcenter und Arbeitsagentur betrug im Oktober 2.227, ein Rückgang um mehr als 17 Prozent innerhalb eines Jahres. Laut Katrin Heinze, Vorsitzende der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit Chemnitz, stehen berufliche Weiterbildungen „hoch im Kurs“. Mehr als 860 Menschen profitierten derzeit davon, vor einem Jahr waren es noch deutlich weniger: 540. Heinze sagte, durch Weiterbildung und Karriereplanung könnten Menschen auch in unsicheren Zeiten ihre Beschäftigung sichern.
Sachsens Arbeitsagentur-Chef Klaus-Peter Hansen, dessen Regionaldirektion ebenfalls in Chemnitz sitzt, begründet die hohe Arbeitslosigkeit in der Großstadt unter anderem mit dem hohen Industrieanteil. Außerdem gebe es dort viele Ausländer, und viele Einpendler konkurrierten mit den Einwohnern um Stellen. In Chemnitz gebe es niedrige Mieten, freie Wohnungen und viele geflüchtete Menschen aus der Ukraine.
Mehrwöchige Praktika eingeplant
DIS kann nach eigenen Angaben mit Trainings, Coachings und Fachqualifizierungen helfen. Das Angebot richtet sich an Personen wie Geflüchtete, Langzeitarbeitslose, Schwerbehinderte oder auch Menschen, die nach einer langen Phase in einem Unternehmen Hilfe bei der beruflichen Neuorientierung suchen.
DIS setzt auf Teilqualifizierungen, auf Module. Das kommt geflüchteten Menschen entgegen, die Berufserfahrung haben, aber nicht die Nachweise für das gewünschte Qualifikationsniveau. Wenn bestimmte Teile der Ausbildung fehlen, lässt sich dafür die passende Schulung finden – auch in Teilzeit, zum Beispiel für geflüchtete Frauen, die Kinder zu betreuen haben. Mehrwöchige Praktika gehören dazu. Die Industrie- und Handelskammer hat den Kursinhalten laut DIS zugestimmt.
Für die Lernenden ist die Weiterbildung laut DIS-Akademie kostenfrei: Entweder zahlen die Arbeitgeber, oder die Fallmanager von Jobcenter und Arbeitsagentur geben einen Bildungsgutschein aus, der die Kosten abdeckt.