Von Michael Rothe
Vor dem ostdeutschen Wirtschaftsforum in Bad Saarow, wichtigster Jahreskongress für die ökonomische Entwicklung im Osten, wurden unlängst 1.500 Unternehmer und Manager zu den größten Herausforderungen in ihren Bundesländern befragt. An erster Stelle mit 56 Prozent: Arbeits- und Fachkräfte zu finden. Und gleich danach mit 35 Prozent: politische Radikalisierung als Standortrisiko.
Siegfried Russwurm, Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie, fordert seit Monaten, dass sich Unternehmen und Verbände stärker gegen die AfD und für Parteien des demokratischen Spektrums positionieren. Die SZ sprach mit Alexander Jakschik, Vorstandschef des VDMA Ost, der die Interessen von 350 Maschinen- und Anlagenbauern vertritt – auch die des eigenen Filtertechnik-Herstellers ULT AG in Löbau, den er gemeinsam mit seinem Bruder Stefan führt.
Herr Jakschik, in wenigen Tagen wird in Sachsen und Thüringen ein neuer Landtag gewählt. Warum melden Sie sich erst jetzt zu Wort?
Die Frage ist berechtigt. Das Thema umtreibt uns schon länger. Als Sprachrohr einer ganzen Branche sah der Vorstand die Meinungsbildung aber als demokratischen Prozess an. Und bis wir das Feedback zusammen hatten, hat es ein wenig gedauert. Wir melden uns spät, aber nicht zu spät.
Wie schaut der Bürger Alexander Jakschik auf die Landtagswahl?
Ich bin sehr gespannt auf den Ausgang. Noch nie war eine Regierungskonstellation so uneindeutig. Die CDU braucht Partner – und da tun sich laut Umfragen alle infrage kommenden Kandidaten schwer. Mir ist wichtig, dass wir im demokratischen Spektrum bleiben, denn es geht um viel.
Ist der Blick als Verbandsvorsitzender und Chef der ULT AG ein anderer?
Natürlich bin ich auch Unternehmer, und dieser Job macht den größten Teil meines Lebens aus. Entsprechend sind die Positionen ähnlich. Eins hat sich geändert: Meine Generation ist in einer Welt aufgewachsen, in der es immer aufwärtsging, Wohlstand allgegenwärtig war. Es ging immer darum, wie wir noch besser umverteilen können, um noch mehr Gerechtigkeit zu schaffen.
Und jetzt?
Ich bin nach wie vor dafür, dass es allen Menschen gut geht. Aber das Geld muss auch verdient werden. Und da steht das Modell der sozialen Marktwirtschaft derzeit mächtig unter Druck. Die Märkte verschieben sich. Zum Beispiel erstarkt China immer mehr und drängt auf die europäischen Märkte. Deshalb müssen wir uns wieder auf die Leistungsgesellschaft konzentrieren, es braucht eine Anpacker-Mentalität. Und das Modewort „Work-Life-Balance“ beginnt mit „Work“, Arbeit.
Diese Botschaft findet sich nicht auf den Wahlplakaten. Dort geht es eher um große Themen wie den Frieden.
Wenn ich drei Wünsche frei hätte, würde ich mir auch zuerst Frieden wünschen – wie die meisten Menschen. Es gibt aber mit Russland einen Aggressor, der nicht rational agiert und nur die Sprache des Stärkeren versteht. Die Antwort, wie man mit ihm umgehen soll, ist nicht einfach zu finden. Da sind Bund und EU gefragt.
…und Landtagswahlen überfordert?
Ja, und das ist ein Grundproblem: Die Struktur Europa-Bund-Land-Landkreise-Kommune hat Vorteile. Aber es ist schwer zu unterscheiden, was wo entschieden wird. Das führt dann dazu, dass an der falschen Stelle Denkzettel verteilt w
erden. Eine Landtagswahl sollte sich auf Landesthemen wie Bildungs- und Wirtschaftspolitik konzentrieren und nicht auf Weltthemen.
Zu Beginn des Ukraine-Konflikts 2014 hatte neben der Staatsregierung auch Sachsens Wirtschaft Russland-Sanktionen kritisch gesehen. Gibt es nach über zwei Jahren Krieg einen Sinneswandel?
Die ostdeutsche Wirtschaft ist traditionell eng verbunden mit der russischen. Anfangs waren die Sanktionen für viele existenzbedrohend. Doch es war wichtig, dieses Zeichen zu setzen.
Da war auch Ihre ULT AG gefragt.
Ja, wir hatten 2019 unseren Vertrieb nach Russland intensiviert und mussten ihn wieder einstellen. In der Folge haben wir uns erfolgreich in den USA und Europa engagiert. Die Wirtschaft konnte bei dem völkerrechtswidrigen Angriff auf die Ukraine nicht weitermachen wie bisher.
Man hat den Eindruck, dass die Bestrafung kaum gewirkt hat – außer bei uns selbst.
Wir leben in einer komplexen Welt, in der nicht alle an einem Strang ziehen. Russland verdurstet nicht, bloß weil die EU den Hahn zudreht. Es war die Hausaufgabe für die Ost-Unternehmen, ihre Exporte in andere Länder auszuweiten – die haben sie erfüllt. Inzwischen gehen die Ausfuhren nach Russland gegen null.
Ihr Unternehmen sitzt im Landkreis Görlitz, wo die AfD bei der Europawahl 36 Prozent der Stimmen holte. Bei der Kommunalwahl in Löbau waren es 41 Prozent. Lässt sich eine solche Masse, wie lange praktiziert, wegreden oder ignorieren?
Nein. Man muss miteinander reden. In dem grenznahen Landkreis spielt Migration eine große Rolle, denn viele spüren die Folgen einer jahrelang nicht eindeutigen Einwanderungs- und Asylpolitik. Das führt, gepaart mit anderen Ängsten, zu solchen Ergebnissen. Die AfD hat auch Rechtsextreme in ihren Reihen, die offen von Remigration schwadronieren. Das geht gar nicht. Deutschland trägt eine historische Verantwortung, und als exportorientierte Branche haben wir Interesse an Weltoffenheit.
Unterscheiden Sie im Umgang mit AfD und dem Bündnis Sahra Wagenknecht?
Beim BSW weiß man aktuell noch nicht, was man bekommt, die Strukturen bilden sich erst. Ich bin überzeugt: Themen, die die Leute bewegen, muss man ernst nehmen. Die Bürger müssen sich aber auf Dialog einlassen. Sie können sich in den demokratischen Diskurs einbringen, indem sie in eine Partei eintreten. Und sie können im Bürgerbüro ihre Fragen vorbringen.
Welche Folgen hätte ein Erfolg der Rechtspopulisten für die Wirtschaft?
Der ostdeutsche Maschinenbau hat eine Exportquote von 60 Prozent. Von den Einnahmen finanzieren wir unseren Wohlstand. Auch hat Deutschland den guten Ruf stabiler politischer Verhältnisse und Planungsbedingungen. Ferner schrumpft unsere Bevölkerung bis 2030 um 20 Prozent – und so das Fachkräftepotenzial. Trotz KI und Digitalisierung wird es nicht ohne ausländische Fachleute gehen. Sie kommen in kein Land, in dem sie nicht willkommen sind. Das Gleiche gilt für internationale Ansiedlungen. Mich fragen bereits Kunden, was bei uns los sei. Extreme Parteien setzen unseren Ruf und den Wohlstand aufs Spiel.
Haben wir nicht ein stabiles Demokratie-Konstrukt, das dies verhindert?
Wehret den Anfängen!
Ostdeutschlands Aufholjagd stockt. Der Produktivitätsrückstand zum Westen wächst wieder und mancher warnt sogar vor einer Deindustrialisierung.
Es gibt viele Gründe dafür, einer liegt in den Betriebsgrößen. Große Einheiten im Westen sind produktiver als unsere kleinen. Die Gefahr der Deindustrialisierung ist real – auch wegen der hohen Energiekosten und weil es noch keine Antwort auf Chinas Subventionspolitik gibt.
Apropos Subventionen: Gerade war in Dresden Baustart für das mit Milliarden geförderte ESMC-Chipwerk. Bleibt der heimische Mittelstand auf der Strecke?
Hier gibt es noch Verbesserungspotenzial. Auch der Mittelstand benötigt beste Rahmenbedingungen und den Roten Teppich. Natürlich braucht es Großansiedlungen, nicht zuletzt sorgen sie für Zuzug. Ähnlich müssten kleine Betriebe gefördert werden. Sie können zu großen Playern mit Tausenden Jobs wachsen. Was Baden-Württemberg gemeistert hat, kann auch das Erfinderland Sachsen schaffen.
Und was kann Ihr Branchenverband dazu beitragen?
Wir sind im Dialog mit der Politik, haben auch unser Engagement bei der EU ausgebaut. Denn dort wurde zuletzt viel entschieden, ohne die Wirtschaft zu fragen.
Seit Jahrzehnten wird Bürokratieabbau gefordert, doch kaum etwas passiert.
Es gibt Studien, wonach deutsche Maschinenbauer drei Prozent vom Umsatz für Bürokratiekosten aufbringen. Bei im Schnitt sechs Prozent Marge bleibt nicht viel Gewinn, den man wieder investieren könnte. Standards und Normen sind sinnvoll, aber manches Gesetz schießt am Ziel vorbei.
Woran denken Sie?
Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz nimmt die gesamte Wirtschaft für einige Schwarze Schafe in der Textilindustrie in Haftung. Es ist auch die Frage, wie ein Gesetz gelebt wird. Brüssel verabschiedet es, und Deutschland setzt es zu 120 Prozent um. Man muss doch Maß und Mitte halten!
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Sie sind 966 Tage im Amt. Noch mit Freude?
Es macht Spaß, sich als Sprachrohr eines Verbands einzubringen. Ich habe gelernt, dass Politiker mehrere Interessen berücksichtigen müssen. Dem Maschinenbau Ost dort eine Stimme zu geben und zu sehen, dass sich was bewegt, ist ein gutes Gefühl.
Wird im Wahlkampf nicht auch viel schöngeredet – etwa bei Bildung, Digitalisierung und Breitbandversorgung?
Es hat gedauert, aber das Gros der Firmen und Haushalte ist ans Breitbandnetz angeschlossen. Ja, die in Landeshoheit befindliche Bildung ist kritikwürdig – vor allem der Ausfall in für uns wichtigen MINT-Fächern. Dabei hat man mit der Geburtenquote lange Vorlauf, um den Lehrereinsatz zu planen. In Deutschland gibt es keine offene Fehlerkultur, schon gar nicht vor Wahlen.
Wo sehen Sie Handlungsbedarf?
Es braucht eine leistungsfähige und wirtschaftsfreundlichere Verwaltung in Bund, Land, Kommune, die lösungsorientiert denkt, statt in Fehlervermeidung. Die Amerikaner kontrollieren in Stichproben. Wir wollen alles vorher abklären – was dauert. Und es braucht ein positives Narrativ, statt vorschnell aufeinander zu schimpfen. In Sachsen wurde nicht alles richtig gemacht, aber vieles. Wir müssen lernen, auf einander zuzugehen, zuzuhören und zu verstehen. Sonst driften wir in eine polarisierte Gesellschaft ab. Da ist auf beiden Seiten viel falsch gelaufen. Man sollte keine Abwärtsspirale herbeireden, nicht in der Vergangenheit leben, sondern aus ihr lernen. Ein Lebensmotto von mir lautet: „Heute ist der erste Tag unseres restlichen Lebens!
Starke Stimme des Ostens
- Mit 3.600 Mitgliedern ist der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau die größte Netzwerkorganisation und wichtiges Sprachrohr der Branche in Deutschland und Europa.
- Der VDMA hat sechs Regionalverbände – Ost ist mit gut 30 Prozent Anteil flächenmäßig der größte bei etwa zehn Prozent der Mitgliedsfirmen.
- Der Landesverband Ost vertritt die Interessen von 350 Mitgliedsfirmen in den ostdeutschen Ländern.
- Sachsen ist die Wiege des deutschen Maschinenbaus, von dort kommen seit 200 Jahren Textil-, Werkzeug- und Druckmaschinen.
- Mit 45.000 Mitarbeitern in etwa 1.000 Firmen ist die Branche eine der wichtigsten im Freistaat.
- Neben Schwergewichten in Chemnitz gibt es auch im Raum Dresden namhafte und traditionsreiche Adressen wie VEM, Mikromat, KWD, Theegarten-Pactec und Xenon.
- Die Branche hat derzeit nichts zu lachen: Der Markt ist im Umbruch und hält sich mit Investitionen zurück.
- Die Ost-Firmen beklagten im ersten Halbjahr ein Auftragsminus von 28 Prozent gegenüber der gleichen Vorjahreszeit. (mr)