Von Peter Anderson
Überrascht hat sich der Geschäftsführer der Wirtschaftsförderung Region Meißen Sascha Dienel vom am Mittwoch verkündeten Aus für das Meissen-Keramik-Werk der polnischen Cersanit-Gruppe gezeigt. "Das sind keine guten Nachrichten. Wir hatten in den letzten Monaten wenig Kontakt zur Unternehmensleitung", so Dienel auf SZ-Anfrage.
Auch wenn der Arbeitsmarkt derzeit sehr aufnahmefähig sei, wären von einer Schließung über 100 Menschen betroffen. Die WRM werde sich selbstverständlich mit Meißens Oberbürgermeister Olaf Raschke (parteilos) und dem Wirtschaftsförderer der Stadt Martin Schuster abstimmen, als auch mit der Agentur für Arbeit, und den Kontakt zur Unternehmensleitung suchen.
Entscheidend wird Dienels Ansicht nach sein, wie das Werk beziehungsweise der Standort an der Meißner Fabrikstraße weitergenutzt werden könne. "Aus den Gesprächen der letzten Jahre wissen wir, dass es einen harten Wettbewerb in dem Bereich gibt. Zahlreiche internationale Hersteller bieten auf den jeweiligen Märkten ihre Fliesen an. Welche Marktstellung die Fliesen aus Meißen zuletzt hatten, wissen wir aktuell nicht", so Dienel. Aus der Perspektive der Region fände es die Wirtschaftsförderung nicht angemessen, wenn der Name Meissen Keramik weitergenutzt würde, obwohl die Produktion nicht mehr im Elbland erfolgen soll.
Ähnlich äußert sich die Meißner CDU-Landtagsabgeordnete Daniela Kuge. Sie selbst habe das Werk aus eigenem Interesse heraus 2014 besucht. Allerdings habe sie das Treffen mit der Geschäftsführung schon damals als "sehr intransparent" empfunden. Irritierend sei für sie zudem der Umgang mit der Porzellanmanufaktur gewesen. Meissen Keramik war vor Gericht gezogen, um die Marke für seine Fliesen- und Sanitärkeramikprodukte verwenden zu dürfen. "Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass das ein Mitnahmeeffekt sein könnte", so Daniela Kuge. Cersanit habe möglicherweise den Standort Meißen nur übernommen, um jetzt als Trittbrettfahrer die Bekanntheit des Namens auf dem Keramik- und Porzellanmarkt auszunutzen.
Für die Belegschaft im rechtselbischen Cölln tue ihr die am Mittwoch verkündete Schließung sehr leid. Sie hoffe, dass alle Mitarbeiter schnellstmöglich einen neuen Job finden. Gern würde sie vermittelnd tätig sein.
Im Meißner Rathaus verweist am Donnerstag das Büro von Oberbürgermeister Olaf Raschke darauf, dass letztes Jahr seitens des Unternehmens noch von neuen Investitionen die Rede gewesen sei und davon, dass der Standort erhalten bleiben sollte. Bezugnehmend auf die vermutlich rund 100 wegfallenden Stellen heißt es weiter, die Wirtschaftsförderung der Stadt verfüge über gute Kontakte zu anderen Keramikfirmen in der Region, die Personal suchen. Insofern könnte die Stadt vermitteln.
Auch den Stadtrat hat die Hiobsbotschaft bereits erreicht. Linken-Fraktionschef Ullrich Baudis sieht allerdings wenig Möglichkeiten für die Räte, in dieser Situation zu helfen. Ein Weiterführen der Marke Meissen Keramik ohne Produktion vor Ort, bezeichnet er als Etikettenschwindel.
Seine Kollegin Dorothee Finzel, welche die Fraktion der Freien Bürger führt, lenkt den Blick auf die Zukunft der Gewerbeflächen an der Fabrikstraße. Der Entschluss, das Werk zu schließen, sei typisch für Unternehmen, die an mehreren Standorten produzierten und dann noch ihre Zentrale im Ausland hätten, sagt sie. In solchen Fällen gebe es zumeist keine engere Verbundenheit mit der Region. Dorothee Finzel plädiert dafür, in nächster Zeit zu prüfen, ob sich durch die jetzt eingetretene Situation neue Chancen böten, das in Richtung Zaschendorfer Straße gelegene Gewerbegebiet zu erschließen, Firmen anzusiedeln und so neue Arbeitsplätze zu schaffen.
Neben der wirtschaftlichen Bedeutung besitzt die anstehende Schließung des Meissen-Keramik-Werks zusätzlich eine kulturelle Facette. Sie bedeutet das vorläufige Ende für die Meißner Plattenindustrie. Diese erreichte ab der Mitte des 19. Jahrhunderts schrittweise eine überregionale Bedeutung, welche weit über Sachsen hinausreichte. So galten die hiesigen Betriebe hinsichtlich der Kachelöfen zwischen den beiden Weltkriegen als Marktführer in Deutschland. Als solche erzielten sie Höchstpreise. Auch bei Wandfliesen, die ab den 1920er Jahren zunehmendem den Hauptanteil des Sortiments bildeten, standen die Meißner Unternehmen bis in die 1940er Jahre zusammen mit Villeroy & Boch in Deutschland an der Spitze.