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Mit 150 Firmenchefs aus Sachsen: Sylvia Pfefferkorns Bollwerk gegen die AfD

Schaden Populismus und Abschottung dem Wirtschaftsstandort Sachsen? Die Dresdnerin Sylvia Pfefferkorn glaubt das – und rät Unternehmen, sich weltoffen zu positionieren. Inzwischen bitten die Bosse bei ihr um einen Termin.

Lesedauer: 7 Minuten

Josa Mania-Schlegel

Dresden/Leipzig. Vor einer Weile saß Sylvia Pfefferkorn wieder vor einem dieser ganz harten Brocken. Das Büro eines ostdeutschen Traditionsunternehmens, das hier nicht genannt werden soll. Dessen Produkt man aber im ganzen Land kauft. Pfefferkorn hätte gern eine Veranstaltung bei ihm gemacht. Die Belegschaft war interessiert, das Marketing, der Pressesprecher. Nur der Chef saß mit verschränkten Armen da. „Weltoffenes Sachsen“ – warum genau sollte er da jetzt mitmachen?

„Wir haben auch Termine, bei denen es nicht klappt“, sagt Pfefferkorn. Sie biss sich die Zähne aus, reiste wieder ab. Seitdem, sagt sie, kaufe sie auch das Produkt nicht mehr. Sie lacht.

Sylvia Pfefferkorn glaubt, dass heute jeder politisch sein muss. Auch und gerade Firmenchefs. Denn: Wer keine Haltung zeigt, drückt damit auch etwas aus. Nämlich, dass er von unserer offenen Gesellschaft eigentlich nicht viel hält. „Gerade Firmenchefs genießen ein hohes Vertrauen bei den Menschen“, sagt Pfefferkorn. „Deshalb ist ihre Stimme für die demokratischen Grundwerte entscheidend.“

Mit solchen Sätzen reist Pfefferkorn seit neun Jahren durch Sachsen – und mit einer Vision. Seit einigen Monaten verbreitet sich ihre Vision in ganz Deutschland. Vielleicht wäre sie sogar in Teilen Europas umsetzbar, als Mittel gegen den Populismus. Zusammengefasst lautet sie etwa so: Alles Gerede gegen die offene Gesellschaft, gegen Einwanderung und demokratische Prozesse, lässt sich im Prinzip mit einem einzigen Argument widerlegen: Es hilft der Wirtschaft.

Anders gesagt: In Demokratien, wo weniger Korruption herrscht und ständig frische Arbeitskräfte aus anderen Ländern einwandern, laufen die Geschäfte besser. Es ist schlicht so. Die Umsätze steigen, der Export wächst, das zeigen Studien. Und Sachsens Firmenchefs, glaubt Pfefferkorn, wüssten das auch, jedenfalls eine Mehrheit. „Nur will oder kann es nicht jeder laut sagen“, sagt sie. Viele sorgen sich um die Reaktion der Belegschaft. Was, wenn nicht jeder mitzieht? Wäre das schlimm? Und genau hier beginnt Pfefferkorns Arbeit.

Dreht sich hier also etwas? Ausgerechnet in Sachsen?

Ein Büro in der Dresdner Neustadt. Nicht der alternative, hippe, zugesprayte Teil. Sondern Königstraße, eine barocke Prachtstraße, wo Rechtsanwälte mittags beim Franzosen ein Glas Wein trinken. Die Lage erzählt schon etwas. Denn Pfefferkorns Verein, der hier seinen Sitz hat, heißt nunmal so: „Wirtschaft für ein weltoffenes Sachsen“. Er klingt also ein wenig freudig, nach Vielfalt und der Willkommenskultur der 2010er-Jahre. Nach Menschen, die an Bahnhöfen applaudieren, wenn wieder Flüchtlinge ankommen. Nach einem Deutschland, das sich voller Stolz als Einwanderungsland bezeichnet.

Sylvia Pfefferkorn auf einer Veranstaltung: Die Dresdnerin nimmt die Sorgen der sächsischen Wirtschaft vor einem Imageschaden auf.
Sylvia Pfefferkorn auf einer Veranstaltung: Die Dresdnerin nimmt die Sorgen der sächsischen Wirtschaft vor einem Imageschaden auf.
Quelle: –

Man mag das schade finden oder auch nicht, aber: Diese Zeiten sind vorbei. Mit Lust auf eine vielfältige Gesellschaft lässt sich heute in Deutschland kaum mehr jemand für Einwanderung begeistern. Erst recht in Sachsen braucht es neue Argumente, eine neue Erzählung. Sylvia Pfefferkorn glaubt, eine gefunden zu haben. Nicht nur sie glaubt das. Mehr als 150 Firmen zahlen inzwischen Beiträge an ihren Verein. Allein letztes Jahr kamen 50 Firmen neu dazu. Und erstmals trat kein einziger aus. Moment mal, dreht sich hier also etwas – ausgerechnet in Sachsen?

Immer langsam, aber Pfefferkorn präsentiert schon mal ihre Liste. Die Mitglieder sind Unternehmen mit mindestens einem Büro in Sachsen. Manche mit einer ganzen Fabrik oder Lagerhalle. Große sind dabei wie Infinion, Amazon, die Krankenkasse AOK, der Zigaretten-Gigant Philip Morris. Und kleinere wie die IT-Firma NetTask aus Hohnstein (AfD-Hochburg, 57,4 Prozent!). Mehr als 150 Unternehmen, die alle Pfefferkorn und ihr Team mit einem monatlichen Beitrag von bis zu 2.000 Euro unterstützen. Und nun?

2016 geriet Sachsen in die Schlagzeilen – mit Pegida und rechtsradikalen Ausschreitungen

Bevor es ans Geldausgeben geht, das weiß jeder Firmenchef, braucht es ein Konzept. Das von Pfefferkorns Verein wurde 2015 geboren. Sachsen machte damals Schlagzeilen, weil zigtausende besorgte Bürger vor der Frauenkirche vor einer Islamisierung Europas warnten. Nicht alle, die da standen, waren Radikale. Womöglich ermutigten sie aber andere, radikal zu handeln: Orte wie Clausnitz, Heidenau, Freital oder Bautzen wurden zu Synonymen rechter Gewalt. „Dunkeldeutschland“ nannte der damalige Bundespräsident Joachim Gauck den störrischen Teil des Landes, in dem plötzlich vor Flüchtlingsheimen protestiert und Jagd auf Asylanten (oder Menschen, die dafür gehalten wurden) gemacht wurde.

Die Nachrichten, erzählt Pfefferkorn, gingen auch an der internationalen Wirtschaft nicht vorbei. Sie hörte von sächsischen Firmenchefs, deren Geschäftspartnern im Ausland plötzlich seltsame Fragen stellten: „Schrauben bei euch etwa Braunhemden die Maschinen zusammen?“ Manche sorgten sich, ihre Kollegen auf Termine nach „Dunkeldeutschland“ zu schicken. Und Unternehmen aus dem ländlichen Sachsen grübelten: Wie soll ich meine ausländischen Fachkräfte hierher locken, wenn eine einfache Google-Suche zu solchen Horror-Schlagzeilen führt?

Pfefferkorn betrieb damals noch ihre Werbeagentur, als der Verein Silicon Saxony an sie herantrat. Der Branchenverband mit über 500 Mitgliedern trifft sich sonst, um über Halbleiter und Photovoltaik zu diskutieren. Aber nun ging in den Sitzungen der Unternehmer die Angst vor einer gesellschaftlichen Wende um: Was wird aus uns, sollte hier einmal die AfD regieren?

Wie redet man in der Wirtschaft über Fremdenhass?

Pfefferkorn, ganz Werberin, ging nicht sonderlich idealistisch ans Werk. Es ging jetzt nicht um Wohltätigkeit, um Kriegsflüchtlinge oder Themen wie Ausländerkriminalität oder Zustände im Asylheim – Themen, über die AfD-Politiker gern sprechen. Stattdessen fragte sie sich: Wie lässt sich auf einer wirtschaftlichen Ebene gegen Fremdenhass und Ausgrenzung argumentieren? So, dass vielleicht die lokale Antifa die Nase rümpft – aber der örtliche Unternehmerverband dabei ist? Wie spricht man Sachsen an, die mit linker Politik nicht viel anfangen können, aber Proteste vor Flüchtlingsheimen trotzdem problematisch finden?

Gemeinsam mit acht anderen Unternehmen gründete Pfefferkorn letztlich ihren Verein. Ihr Ziel: „Wir wollten zusammen zeigen, dass ein Teil der sächsischen Wirtschaft anders tickt, als manche vielleicht vermuten.“ Die Gründungsfirmen waren keine aus Leipzigs und Dresdens alternativen Vierteln, bei denen die Weltoffenheit ohnehin zum Markenkern gehört. Es war die Nexony GmbH, ein Maschinenbauer aus Radeberg. Oder die Terrot Gmbh, ein Textilmaschinenhersteller aus Chemnitz.

Pfefferkorn entwarf eine Plakette, die am Firmensitz der Mitglieder angeschraubt wurde. Damit jeder sehen kann: Hallo, wir sind anders, weltoffen, wir grenzen niemanden aus. „Wir wussten aber schnell, bei der Plakette kann es nicht bleiben“, sagt Pfefferkorn.

Anfangs haben wir unsere Vorschläge in die Unternehmen reingetragen wie Sauerbier. – Sylvia Pfefferkor, Vorsitzende des Vereins „Wirtschaft für ein weltoffenes Sachsen“

Denn so richtig Zulauf bekam der Verein nicht. Natürlich macht nicht jeder in Sachsen seinen Umsatz im Ausland, wo man sich womöglich um rechte Tendenzen sorgt. Und schraubt ein Fremdenfeind eine Maschine wirklich schlechter zusammen als der weltoffene, tolerante Kollege? Bei vielen lief das Geschäft erstmal weiter, trotz der Stimmungswende in vielen Regionen. Pfefferkorn erzählt von Terminen im Erzgebirge und in der Lausitz – Regionen, wo die AfD schon auf dem Weg zur Volkspartei war. Das Problem: Viele Chefs sagten ihr, sie fänden ihre Idee nicht schlecht. Aber so eine Plaketten draußen? Da würden ihnen die Mitarbeiter weglaufen.

Pfefferkorn wusste aber: Wer die Chefs für sich gewinnt, kann etwas verändern. Wenn in Städten wie Leipzig oder Berlin Hunderttausende gegen Rechtsextremismus auf die Straße gehen, dann macht das zwar auch Schlagzeilen. Aber meist verpufft das reine Dagegensein schnell. Wenn alle wieder zu Hause sind, geht das Leben weiter. Wenn sich aber Unternehmenschefs zusammentun, sollte man aufhorchen. Denn niemandem vertrauen die Menschen in Deutschland so sehr wie ihrem Arbeitgeber. Das belegt etwa seit vielen Jahren das Edelman-Trust-Barometer. Wer die gesellschaftliche Stimmung verändern will, der muss also in den Büros und Fabriken dieses Landes anfangen.

Wem vertrauen Sie am meisten? 77 Prozent der Deutschen nennen ihren Arbeitgeber

Pfefferkorn hatte inzwischen ein Team – und ein Budget. Also legte sie Workshops auf: Wie spricht man mit den Kollegen über Politik? Wie über Flüchtlingskriminalität? Was ist gefühlte Wahrheit – und was sagen die Daten und Fakten? Wie reagiert man auf eine rassistische Äußerung im Büro?

Aus Pfefferkorns Sicht brodelte es damals in Sachsens Betrieben, es brodelt bis heute. Die große Ungewissheit ging um: Wie denken meine Kollegen? Und wie wir als Unternehmen? Sage ich besser einfach nichts? „Wir wollten die Diskurse zurück an die Kaffeemaschine holen“, sagt Pfefferkorn. Denn: Wer auf der Arbeit offen sprechen kann, sei ohnehin glücklicher. Pfefferkorn erinnert: „Das alles sagen wir immer mit Blick auf den unternehmerischen Erfolg.“ Es sei ja so: Wer gern in seiner Abteilung arbeitet, arbeitet auch effektiver.

So gewann Pfefferkorn die Chefs für sich. Früher, erzählt sie, sei man „mit der Demokratiedusche rein – und wieder raus“. Heute versucht sie Diskurse in den Betrieben anzuzetteln, die bleiben. Für die IHK entwarf Pfefferkorns Verein einen Lehrgang „Integrationsmanager“ – für Unternehmen, die Ausländer einstellen und sich um die Stimmung im Betrieb sorgen. Und inzwischen muss Pfefferkorn auch kaum noch Überredungskunst leisten. Die Chefs kommen von ganz allein zu ihr.

Ähnliche Gründungen deutschlandweit

Und letztes Jahr gründeten sich in ganz Deutschland ähnliche Initiativen, etwa in Nordrhein-Westfalen. Unter „Welcome Germany“ will Pfefferkorn die Vereine jetzt als wuchtige Lobbyorganisation gegen Ausgrenzung bündeln. Sie selbst brachte Forderungen schon im sächsischen Koalitionsvertrag unter. Aber ihr nächstes Ziel ist der Regierungsvertrag unter Friedrich Merz.

Auch ihre eigene Mitgliederzahl in Sachsen wuchs zuletzt sprunghaft, um 62 Prozent. Warum kommen die Bosse plötzlich alle zu Pfefferkorn? Eine Antwort findet sich wieder im Edelman-Trust-Barometer: Laut der aktuellen Befragung in 2024 nennt wieder eine Mehrheit (77 Prozent) den Arbeitgeber als vertrauenswürdigste Institution. In einer unruhigen Welt sei die Arbeit eben eine „stabilisierende Kraft innerhalb der Gesellschaft“, begründen das die Forscher. Aber es gibt einen neuen Trend: 69 Prozent der Menschen empfinden „moderaten bis starken Groll“, der sich neben der Regierung auch gegen Unternehmen richtet.

Die Studie schlussfolgert: „Deutsche Unternehmen müssen handeln, um den wirtschaftlichen Optimismus inmitten politischer und wirtschaftlicher Herausforderungen zu fördern.“ Anders gesagt: Unternehmen können etwas verändern – und sie sollten auch. Für ihr eigenes Wohl.

Für mich war diese Freiheit eine Offenbarung. – Sylvia Pfefferkor, Vorsitzende des Vereins „Wirtschaft für ein weltoffenes Sachsen“

Als die Mauer fiel, flog Sylvia Pfefferkorn als erstes nach San Francisco. „Mir war eigentlich mein Leben lang klar, dass ich dort nie sein werde“, sagt sie. Aber dann war sie plötzlich dort, mietete sich ein Auto, las Arthur Miller, aß zum ersten Mal Hummer. „Für mich war diese Freiheit die pure Offenbarung“, sagt sie.

Heute scheint sich etwas verändert zu haben. „Der Anführer der freien Welt benimmt sich wie ein Elefant im Porzellanladen der Demokratie“, sagt Pfefferkorn. Und die Trump-Politik der Zölle, Isolation und Deportationen scheinen der Wirtschaft nicht zu schmecken. Laut Umfragen glaubt eine Mehrheit der Amerikaner, dass die US-Wirtschaft auf dem falschen Kurs sei. Die Prognosen sagen statt eines Wachstums von 2,3 Prozent für das erste Quartal eine Schrumpfung um 2,8 Prozent voraus. Die Lebenshaltungskosten steigen bereits.

Wenn Pfefferkorn heute nach Amerika schaut, spürt sie nicht nur Fernweh. „Man muss endlich aussprechen, dass wir davon leben, dass andere Menschen zu uns kommen“, sagt sie. Dass die meisten Notaufnahmen, Reinigungsfirmen, Fleischfabriken, Hotels, Baustellen oder Altenheime ohne Weltoffenheit dicht machen könnten. „Und wer könnte das besser aussprechen“, sagt sie, „als die Unternehmen selbst?“

SZ

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