Von Carlotta Böttcher
Scheibenberg. Ralf Kretschmars Holzwerkstatt wirkt wie eine Filmkulisse. Auf der Bühne des ehemaligen Ballsaals in Scheibenberg stapeln sich heute Holzbretter. Auf den alten Dielen, auf denen früher getanzt wurde, stehen nun große Sägemaschinen. Die Decke ist mit Stuck verziert, getragen von historischen Säulen, in der Wand dünne Risse. Daneben laufen silberne Rohre, in denen Sägespäne abgesaugt werden. Dazwischen hängt ein starker Geruch nach Holz.
Kretschmar arbeitet seit 18 Jahren in dem denkmalgeschützten Gebäude. Der gelernte Zimmermeister führt einen Handwerksbetrieb mit sieben Mitarbeitern. Sie sanieren und rekonstruieren denkmalgeschützte Gebäude und bauen Häuser aus Massivholz. Das Besondere daran ist, dass Kretschmar vor allem mit Holz aus Wäldern direkt vor der Haustür arbeitet. Im November letzten Jahres wurde er mit dem Deutschen Nachhaltigkeitspreis in der Kategorie Bauhandwerk ausgezeichnet.
Der 44-Jährige lädt in sein Büro, auf dem Tisch ein Strauß gelber Tulpen, daneben ein Teller mit bunten Obstspießen. Der Holzbauer ist ein ruhiger, bedachter Typ. Er spricht leise, aber bestimmt. Sein Anliegen ist es, die Holzwirtschaft wieder regional zu verankern.
Die Auszeichnung sieht er pragmatisch: „Für uns ist es nicht schwer, nachhaltig zu sein. Wir müssen hier im Erzgebirge einfach in den Wald gehen und das Holz rausholen. Da haben wir es leichter als die Industrie.“
Was es in der Praxis bedeutet, mit Holz aus dem Erzgebirge zu bauen
Doch ganz so leicht ist es nicht. Kretschmar baut mit dem Umweltlabel „Holz von hier“ und verspricht seinen Kunden damit, Holz aus der Region zu beziehen. In der Praxis bedeutet das vor allem eins: mehr Arbeit und Kosten als für konventionelle Holzbauer.
Die Arbeit beginnt mit einem Gespräch mit dem Förster: „Ihm sage ich ganz grob, welche Längen, Stärken und welche Güteklasse ich brauche“, so Kretschmar. Meistens sichtet er das Revier im Anschluss noch einmal mit eigenen Augen: „Wenn es beispielsweise in Hanglage liegt, gibt es andere Spannungen im Holz.“ Eingeschlagen wird ausschließlich im Winter, wenn der Baum trocken liegt. „Im Frühling zieht der Baum Saft. Dann brauchten wir viel mehr Energie, um das Holz zu trocknen“, erklärt Kretschmar. Auch das ist ein Wettbewerbsnachteil zur konventionellen Holzwirtschaft, die das ganze Jahr über einschlägt.
Auch geschnitten wird regional. In der Umgebung von Scheibenberg gibt es lediglich noch zwei große Sägewerke. Kretschmar sagt: „Die haben gegenüber dem Weltmarkt keine Chance mehr. Damit sie mit den Preisen konkurrieren könnten, müssten sie viel größere Mengen bearbeiten.“ Nach dem Sägewerk muss er das Holz trocknen und zwei bis drei Jahre lagern. Erst dann kann das Bauen beginnen.
Konventionelle Holzbauer ersparen sich all die Schritte. Sie kaufen Holz am Weltmarkt ein und beginnen dann zu bauen. Ralf Kretschmar kann das verstehen: „Der Preis ist ausschlaggebend. Und wir müssen auf Vorrat planen. Wir gehen drei bis vier Jahre vorher in den Wald, suchen aus, brauchen dann Lagerflächen, die Finanzkraft binden.“ Und trotzdem: In Zeiten wie vor zwei Jahren, wenn es kein Holz mehr gibt, hilft dieser Vorrat ungemein. „Das ist immer ein zweischneidiges Schwert“, sagt Kretschmar.
Zwei Minuten Fußweg von seinem Büro entfernt liegt die St.-Johannis-Kirche. Den Kirchturm sanierte Kretschmar bereits vor mehr als zehn Jahren. Zuletzt erneuerte er den Dachstuhl der kleinen Bergmeisterkapelle vor der Kirche: mit Fichtenholz aus dem benachbarten Revier Crottendorf, eingeschnitten im Sägewerk des Holzhofes Neu-Amerika. Zusammengerechnet ergibt das laut Kretschmar einen Transportweg von acht Kilometern – und damit eine immense Einsparung an CO2.
„Was liegt denn näher: 20 Meter über die Straße in den Wald zu gehen oder um den halben Globus zu fahren?“, fragt Kretschmar. Der Grund für seine Mühe liegt aber nicht nur in ökologischen Ambitionen. Er sagt: „Auch aus unternehmerischer Sicht macht es Sinn, regionales Holz zu verwenden, weil die Wertschöpfung dann hierbleibt. Und damit auch die Steuern.“
Die Jury des Deutschen Nachhaltigkeitspreises hat ihn ausgezeichnet, weil „das Unternehmen besonders wirksame, beispielhafte Beiträge zur Transformation geleistet, damit Vorbildcharakter erworben und richtige Signale in seine Branche und darüber hinaus gesendet hat“. Kretschmar leistet also nicht nur in seiner Praxis gute Arbeit, sondern er bringt sich politisch ein, will etwas voranbringen. Mit der Auszeichnung ergaben sich neue Möglichkeiten dafür. Politiker der Landes-, Bundes- und Europaparlamente gratulierten ihm, woraufhin Kretschmar sich bedankte und sie nach Scheibenberg zum Werkstattgespräch einlud. Der sächsische Umweltminister Wolfram Günther (Grüne) und Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) waren bereits zu Besuch, ebenfalls angekündigt hat sich die Europaabgeordnete Anna Cavazzini (Grüne) sowie die Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne).
Global denken und regional handeln
Ralf Kretschmar geht es bei den Besuchen nicht darum, Hände zu schütteln und ein nettes Erinnerungsfoto zu machen. Er will über die Sache reden. Zum Beispiel über das Vergabegesetz, wie vergangenen Monat mit Wirtschaftsminister Dulig. Konkret zeigt sich das Problem bei der Sanierung der Bergmeisterkapelle. Als er vor drei Jahren damit anfing, lag der Preis für regionales Holz zwischen 650 und 750 Euro pro Kubikmeter. Auf dem Weltmarkt kostete der Kubikmeter aufgrund der Energiekrise zwischen 1.200 und 1.300 Euro. „Da hat unser Preis gepasst, wir durften die Sanierung machen“, so Kretschmar.
Inzwischen hat sich der Trend wieder gedreht. Der regionale Holzpreis bleibt auf gleichem Niveau, während der Weltmarktpreis auf 350 Euro gesunken ist. „Die Kommunen nehmen meist das billigste Angebot an. Das ist weder nachhaltig noch fördert es die Unternehmen der Region“, sagt Kretschmar. „Wir müssen global denken und regional handeln. Das schließt sich nicht aus.“
Kretschmar wirkt nicht wie einer, der sich selbst profilieren möchte. Er sagt: „Es geht um die Sache und nicht um mich.“ Seine Familie und Freunde würden schon den Kopf schütteln, wenn er sich wieder ein neues Projekt aufhalst. Er saß 15 Jahre im Stadtrat, 16 Jahre im Kirchenvorstand, früher war er Schulsprecher. Warum er das alles macht? „Zurzeit ist das Meckern groß und das Machen steht hintenan. Da wird’s ja nicht besser. Man muss einfach machen.“