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Neues Vergabegesetz: In Sachsen soll nicht immer der Billigste Aufträge kriegen

Bei Sachsens Gesetz über die Vergabe öffentlicher Aufträge scheiden sich die Geister an der Tariftreue. Die Regierungsrunde mit Kammern und Verbänden vertagt sich.

Lesedauer: 3 Minuten

Man sieht den aufgerissenen Altmarkt in Dresden.
Ein Großteil der öffentlichen Aufträge erstreckt sich auf den Baubereich. Wie hier bei den Pflasterarbeiten am Dresdner Altmarkt liegen auch bei der Novelle des sächsischen Vergabegesetzes noch viele Steine im Weg. © dpa

Von Michael Rothe

Jahrelang dümpelte die Novelle des Gesetzes für millionenschwere öffentliche Aufträge in Sachsen vor sich hin. Doch ein Jahr vor der nächsten Landtagswahl herrscht in der schwarz-rot-grünen Staatsregierung Torschlusspanik, um ihr Versprechen doch noch zu halten und eines der wichtigsten Vorhaben rechtzeitig umzusetzen. Die größten Streitpunkte: der Geltungsbereich, Regelungen zur Tariftreue und die Gewichtung der einzelnen Vorgaben.

Am Dienstag trafen sich Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) und Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) zum wiederholten Mal mit Vertretern von Kammern und Verbänden. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB), Sprachrohr der Beschäftigten, war nicht eingeladen.

Kritiker nennen das in Sachsen geltende Gesetz von 2013 einen zahnlosen Tiger ohne verbindliche Sozial- und Umweltstandards. Nur in Bayern gibt es auch keine Regelungen, die Beschäftigten mindestens Löhne und Arbeitsbedingungen eines Branchentarifvertrags garantieren.

Aufträge für 1,4 Milliarden Euro in zwei Jahren

Die Tragweite des Gesetzes wird durch den jüngsten Vergabebericht von Sachsens Wirtschaftsministerium (SMWA) deutlich. Demnach hat der Freistaat 2021/22 gut 224.000 Aufträge für 1,4 Milliarden Euro vergeben. Knapp die Hälfte der Order, 107.000 im Volumen von gut 788 Millionen Euro, gingen an Auftraggeber im Freistaat, von 36.000 Bauaufträgen sogar 90 Prozent. Noch erhält vor allem am Bau meist der billigste Bieter den Zuschlag – oft mit Nachunternehmen, die sich weiterer Subs bedienen. Die letztlich Ausführenden sprechen oft kein Deutsch, schuften unter miesen Bedingungen zu Dumpinglöhnen. Damit müsse Schluss sein, fordert der DGB.

Zeitgleich zum Treffen in der Staatskanzlei warnt Sachsens FDP vor einem Aufblähen des Gesetzes. Andere Bundesländer beneideten den Freistaat um seine „einfachen und praxisnahen Regelungen“, behauptet Robert Malorny, Spitzenkandidat der Partei bei der Landtagswahl 2024. „Wieder einmal ist das Sächsische Wirtschaftsministerium unter SPD-Minister Martin Dulig nicht in der Lage, ein Thema selbst abzuräumen“, sagt er. Wieder müsse der Ministerpräsident selbst übernehmen „und die Streithähne in der Koalition zu einer Gruppentherapie in die Staatskanzlei einberufen“, so sein Kommentar. Malorny warnt davor, „vergabefremde Zusätze in den Gesetzestext einzufügen, welche die Anbieter zusätzlich belasten“.

Bislang hielten sich alle Beteiligten mit Verweis auf laufende Abstimmungen zum Sachstand bedeckt, verleugneten, wie das SMWA, sogar existierende Referentenentwürfe. Mit jeder Verhandlungsrunde werde das Gesetz weiter aufgeweicht, sagen Kritiker. Auch die neueste Vorlage, die der SZ vorliegt, sei ein Rückschritt.

Für kommunale Aufträge lediglich „empfohlen“

Der Entwurf (Stand 1. Juni) hebt Schwellenwerte zur Auftragsvergabe weiter an. Seine Anwendung wird kommunalen Auftraggebern lediglich „empfohlen“, obwohl sie das Gros der öffentlichen Order vergeben. Ferner wird Tariftreue nur für den Öffentlichen Nahverkehr vorgeschrieben. Gibt es keinen Branchentarifvertrag, müssen sich Auftragnehmer verpflichten, ihren Beschäftigten mindestens ein Entgelt in Höhe der Gruppe E1 Stufe 2 für den öffentlichen Dienst der Länder zu bezahlen – derzeit 2.094,49 Euro brutto.

Thorsten Schulten, Professor am WSI-Institut der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung, nennt das neue Papier eine „Verschlimmbesserung“. Schon mit dem Entwurf vom Dezember 2022 würde Sachsen nur nachvollziehen, was andere Länder vor zehn Jahren beschlossen hätten, mittlerweile aber viel weiter seien, sagt der Wissenschaftler. Längst gebe es umfassende Tariftreueregelungen. Sechs Länder hätten ihre Gesetze derart modernisiert, Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Niedersachsen ähnliches geplant. Und im Bundesarbeitsministerium gibt es einen Entwurf, wonach Bundesaufträge ab 10.000 Euro nur noch an Firmen vergeben werden sollen, die nach Tarif bezahlen.

Sachsen bei der Tarifbindung Schlusslicht

„Wir stehen für starke Tarifpartnerschaft“, erklären CDU, SPD und Bündnisgrüne im Regierungsprogramm 2019-2024. „Unter dem Leitbild ,Gute Arbeit für Sachsen‘ setzen wir uns für die notwendige Schaffung attraktiver Arbeitsbedingungen ein. Dazu gehört weiterhin die Erhöhung der Tarifbindung“, heißt es dort. In Sachsen unterliegen nur 43 Prozent der Beschäftigten Tarifverträgen. Damit ist der Freistaat gemeinsam mit Berlin Schlusslicht.

Eigentlich sollte Sachsens Novelle schon 2022 im Landtag diskutiert werden. Doch dort war seitdem nur ein Vorschlag der Linken Thema. Mit ihnen hatte die SPD 2012 mit Martin Dulig, damals Fraktionschef, noch einen gemeinsamen Gesetzentwurf eingebracht. Er scheiterte – wie der neue Anlauf der Sozialisten, diesmal auch wegen des Neins der nun mitregierenden SPD.

„Ein Treffen mit Emotion, aber vor allem getragen von gegenseitiger Wertschätzung, hat eine offene und vertrauliche Diskussion gebracht“, resümiert Jörg Dittrich, Präsident des Sächsischen Handwerkstags, das Meeting in der Staatskanzlei. Alle seien sich „einig, dass zusätzliche Bürokratie vermieden werden muss“, sagt der Dresdner Dachdeckermeister. Die Teilnehmer wollten im „Gespräch bleiben und noch einmal schauen, was geregelt werden muss und wo es vielleicht auch keinen Regelungsbedarf gibt“.

Tritt das Gesetz wirklich im Juli 2024 in Kraft?

Doch die Zeit drängt, es ist praktisch die letzte Chance. „Das Gesetz tritt am 1. Juli 2024 in Kraft“, steht im Entwurf. Ob es tatsächlich so kommt, bleibt fraglich. Laut Dresdens IHK-Präsident Andreas Sperl ist die kontroverse Runde „ergebnislos auseinandergegangen“. Mehr verrät er nicht, es sei Vertraulichkeit vereinbart worden.

Auch Sachsens ausgebooteter DGB-Chef zieht ein Zwischenfazit: „Alle bisherigen Gesetzentwürfe haben das wesentliche Manko, dass es keine echte Tariftreue gibt“, kritisiert Markus Schlimbach. Eine solche Festlegung müsse auch für Bau, Kantinenversorgung, Gebäudereinigung und alle anderen Bereiche gelten. Die öffentliche Auftragsvergabe in Sachsen leide nicht unter Bürokratie sondern an der Geiz-ist-Geil-Mentalität.

Und dann ergänzt der DGB-Vorsitzende: „Dass es im Jahr 2023 noch immer so ist, dass die Interessen der Wirtschaft nur von Kammern und Arbeitgeberverbänden definiert werden können und Gewerkschaften als Vertretung der Arbeitnehmer rausgehalten werden, bleibt eines der großen sächsischen Rätsel.“

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