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Neun Bürgermeister aus dem Görlitzer Kreisnorden fordern 521 Kohle-Millionen

Das lang erwartete Positionspapier liegt jetzt vor. Danach soll das Geld fließen in Gesundheitsversorgung, Bildungs- und Tourismusprojekte sowie Verkehrswege. Doch entschieden ist noch nichts.

Lesedauer: 3 Minuten

Irmela Hennig und Sebastian Beutler

Görlitz/Bautzen. Eine Klage – André Kleinfeld vom Betriebsrat im Leag-Kraftwerk Boxberg hält das nicht mehr für abwegig. Der Betriebsrat oder die Mitarbeiter von Tagebauen und Kraftwerken des Kohleförderers und -verstromers in Sachsen könnten vor Gericht ziehen. Ziel: Das Geld des Bundes zur Abfederung des Kohleausstiegs soll gesetzeskonform verwendet werden. Dass dies derzeit passiert, daran hat Kleinfeld seine Zweifel. Die Projekte, die damit finanziert werden, leisten seiner Meinung nach kaum etwas dafür, seinen rund 2000 sächsischen Kollegen eine berufliche Perspektive zu geben.

Die arbeiten derzeit noch im Kraftwerk Boxberg oder den Tagebauen Reichwalde und Nochten. 2038 aber ist für sie im Wesentlichen Schluss. Dann soll das Ende der Kohlenutzung vollzogen sein. Auch für viele tausend Beschäftigte in Unternehmen, die irgendwie an der Leag hängen, sieht Kleinfeld derzeit wenig Zukunft im Lausitzer Revier. Es fehle unter anderem an Verkehrsanbindungen, um neue Firmen in die Gegend zu locken.

Bürgermeister fordern Priorität für ihre Kommunen

Neun Bürgermeister aus dem Norden des Landkreises Görlitz sehen das ähnlich. Zusammen mit dem Görlitzer Landrat Stephan Meyer (CDU) haben sie ein 24-seitiges Positionspapier zum Strukturwandel in ihrer Region vorgelegt. Die Kommunalpolitiker, zu denen Weißwassers Oberbürgermeisterin Katja Dietrich und Boxbergs Bürgermeister Hendryk Balko gehören, verlangen darin bis 2038 insgesamt 521 Millionen Euro aus Strukturmitteln, „die direkt in unseren Kommunen wirken sollen“.

Und sie schreiben: „Die Kommunen rund um den Tagebau und ihre Anbindungen müssen wieder mehr Priorität erhalten!“ Nach wie vor gibt es dort Ärger darüber, dass alle Städte und Gemeinden der Kreise Bautzen und Görlitz Geld beantragen dürfen über das Investitionsgesetz Kohleregionen. Mit diesem wird die Bundesförderung für den Strukturwandel geregelt.

Das Konzept macht deutlich, welche Maßnahmen jetzt notwendig sind, um den Strukturwandel erfolgreich zu gestalten. – Stephan Meyer, Görlitzer Landrat

Boxbergs Bürgermeister Balko indes verweist auf 500 Millionen Euro jährliche Wertschöpfung durch die Leag in seiner Region. Die drohen, verloren zu gehen, wenn die Kohlenutzung ende. Noch sei es nicht gelungen, hier Alternativen zu diesem Wirtschaftszweig zu schaffen. Ein für Boxberg angekündigtes Wasserstoff-Kraftwerk H2UB habe die Leag auf Eis gelegt, hieß es von André Kleinfeld. Das bestätigte die Leag auf Nachfrage. Wirtschaftliche und politische Rahmenbedingungen hätten sich zuletzt nicht so entwickelt wie angenommen.

Kleinfeld war am Donnerstag zur Vorstellung des Positionspapiers nach Herrnhut gekommen. Dort hatte sich der Regionale Begleitausschuss Lausitzer Revier (RBA) getroffen. Der wählt Projekte aus, für die die Kommunen Kohleausstiegsgeld beantragen können.

Buntes Sammelsurium im Konzept des Nordens

Davon wollen die Nordkommunen nun also – weitere – 521 Millionen Euro. Fließen sollen sie unter anderem in freie Gymnasien, Berufsschulen, Schullandheime, Freibäder, Schwimmhallen, eine Erweiterung der Erlebniswelt Krauschwitz, des Erlichthofes Rietschen, eines Heimatmuseums in Kreba-Neudorf, Radwege, ein neues Therapiezentrum in Bad Muskau, die Entwicklung des Bärwalder und Halbendorfer Sees, Bolzplätze, Jugendhäuser, Horte, ins Kulturhaus Rietschen oder auch in ein Medizinisches Versorgungszentrum in Weißwasser.

Mit über 160 Millionen Euro wolle man zudem 305 Hektar Gewerbe- und Industrieflächen erschließen und entwickeln. Verkehrsinfrastruktur solle geschaffen werden, so eine Verbindung zwischen den Autobahnen 4 und 15 durch die Lausitz als mindestens dreispurige Bundesstraße. Allerdings verwies Romy Reinisch, Beigeordnete im Landkreis Bautzen und derzeit RBA-Vorsitzende darauf, dass dies über das Investitionsgesetz Kohleregionen aus rechtlichen Gründen nicht machbar sei.

Das Papier der Nordkommunen war seit Monaten erwartet worden. Initiiert worden ist es bei Gesprächen zwischen Landrat Stephan Meyer und den Bürgermeistern. Ursprünglich hatten die Nordkommunen gefordert, mindestens 300 Millionen Euro vom Kohleausstiegsgeld für sie zu reservieren.

Görlitzer Landrat hat viele Ideen für Kohleausstiegsgelder

Meyer hatte sich schon als Befürworter mehrerer Ideen für die Verwendung von Kohleausstiegsgeldern einen Namen gemacht. Mal sollen 300 Millionen Euro in den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur zwischen Dresden-Bautzen-Görlitz fließen. Dann sicherte er mit seinem Bautzener Landrats- und Parteikollegen Udo Witschas den Initiatoren des Bau-Forschungszentrums 450 Millionen Euro aus den Kohlegeldern zu. Jetzt macht er sich das Forderungspapier der Nord-Bürgermeister zu eigen und schreibt, das Konzept mache deutlich, „welche Maßnahmen jetzt notwendig sind, um den Strukturwandel erfolgreich zu gestalten“.

Ihre Forderungen sollen die Nordkommunen nun mit der zuständigen Sächsischen Agentur für Strukturentwicklung besprechen, so Romy Reinisch. Neue Projekte hat das Gremium dieses Mal nicht zur Förderung ausgewählt. Bereits vom Ausschuss befürwortete Vorhaben will der RBA – entgegen früherer Angaben – nicht noch einmal prüfen. Voriges Jahr hatte das für Verunsicherung gesorgt, zum Beispiel in Bautzen, wo man mit dem Kohle-Geld eine neue Spreebrücke bauen will, oder in Jonsdorf bei Zittau, wo die Waldbühne erweitert werden soll. Offen bleibe aber, ob die Sächsische Aufbaubank als finale Entscheidungsinstanz alle Vorhaben bewillige.

Alle Gelder theoretisch schon verplant

Reichlich 2,4 Milliarden Euro insgesamt stellt der Bund dem sächsischen Teil des Lausitzer Reviers für den Strukturwandel zur Verfügung.

Mit ihrer Forderung von 521 Millionen Euro wollen die Nordkommunen des Kreises Görlitz mehr als die Hälfte des Geldes, das aktuell noch „übrig“ ist. Die andere Hälfte wäre dann für das Bau-Forschungszentrum verplant.

Laut Sachsens Ministerium für Infrastruktur und Landesentwicklung wurden bereits 133 Projekte mit einem Umfang von 1,5 Milliarden Euro (nur Bundesmittel) zur Förderung ausgewählt. Es ist zwar möglich, dass einzelne noch durch die Prüfung bei der Sächsischen Aufbaubank fallen, die final entscheidet. 881 Millionen Euro seien fest gebunden, weil Projekte endgültig bewilligt wurden oder das Geld schon ausgezahlt worden sei.

SZ

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