Nora Miethke und Paula Wallendorf
Dresden. Mehr Mädchen als Jungen machen Abitur. In den Unis gibt es mittlerweile mehr Studentinnen als Studenten. Doch im Berufsleben verliert diese Aufholjagd häufig an Fahrt. Alljährlich wird sich zum Weltfrauentag am 8. März mit den gravierenden Unterschieden zwischen den Geschlechtern beschäftigt. Hier die wichtigsten Fakten, wie es um die Gleichstellung der Frauen in der sächsischen Arbeitswelt derzeit bestellt ist.
1. Die neue Landesregierung stellt sich weiblicher auf
In Sachsen wurde vergangenes Jahr eine neue Regierung gewählt, die sich weiblicher aufgestellt hat als die Vorgängerregierung 2019. Statt drei von elf Ministerposten wurden nun vier von zehn mit Frauen besetzt und das, obwohl der Frauenanteil im sächsischen Landtag seit 2014 stetig sinkt.
Diese Unterrepräsentation in der sächsischen Politik stellen CDU und SPD im Koalitionsvertrag zwar fest und verpflichten sich allgemein zur „Förderung von Maßnahmen“. Wie sie aber mehr Frauen für politische Ämter gewinnen und eine gleichmäßige Vertretung im Landtag und in den Kreistagen erreichen wollen, lassen sie offen.
2. Höchste Beschäftigungsquote in Deutschland
Sachsen verteidigt den ersten Platz bei der Frauen-Beschäftigungsquote. Bundesweit sind 58,9 Prozent der Frauen in Deutschland erwerbstätig, im Freistaat sind es 64,6 Prozent – der höchste Wert im Vergleich aller Bundesländern, gefolgt von Brandenburg, Thüringen und Sachsen-Anhalt.
Der Wermutstropfen ist: Die Hälfte der Frauen in Sachsen (54 Prozent) arbeitet in Teilzeit, Tendenz steigend. Das wirkt sich nach Ansicht vieler Experten und Expertinnen negativ auf Karriere und Stundenlöhne aus.
Sachsens Wirtschafts- und Arbeitsminister Dirk Panter (SPD) lobte am Freitag: „Ohne die vielfältigen Kompetenzen und die hohe Erwerbstätigkeit von Frauen hätte sich die sächsische Wirtschaft in den vergangenen Jahrzehnten nicht so gut entwickeln können“. Für den Erfolg des Wirtschaftsstandorts Sachsen sind Frauen laut Panter eine Notwendigkeit. „Nicht zuletzt deshalb müssen wir die noch vorhandenen Defizite bei der Gleichstellung aktiv angehen und zum Beispiel die Lohngerechtigkeit fördern“, betont der SPD-Politiker.
3. Sachsens Frauen müssten eigentlich mehr verdienen
Frauen erhalten in Sachsen durchschnittlich sieben Prozent weniger Gehalt als Männer. Diesen aktuellen Wert zur Lohnlücke haben die Statistiker zum gestrigen Equal Pay Day ausgerechnet. Was erstmal niedrig klingt und deutlich unter dem Bundesdurchschnitt von 16 Prozent liegt, ist dennoch kein Erfolg. Denn die bereinigte Lohnlücke, bei der gleiche Qualifikation, gleiche Arbeitszeit und gleicher Beruf von Mann und Frau berücksichtigt werden, steigt in Sachsen auf elf Prozent.
Sobald die Lohnlücke um Faktoren wie Teilzeitquote und Berufswahl „bereinigt“ wird, erhöht sie sich in den ostdeutschen Ländern, während sie in den westdeutschen sinkt, siehe Tabelle. Fazit: Die Frauen müssten in Sachsen für die gleiche Arbeit eigentlich elf Prozent mehr verdienen.
Auffällig ist auch, dass die Lohnlücke in Sachsen mit zunehmendem Alter steigt. Berufseinsteigerinnen bekommen im Schnitt nach dem ersten Jahr im Unternehmen vier Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen. Nach 26 Dienstjahren sind es 15 Prozent weniger.
Als Gründe werden in den Studien Babypausen und Teilzeitarbeit genannt. Deshalb fordern Gewerkschaften wie Frauenverbände seit Jahren unter anderem den Abbau steuerlicher Anreize wie dem Ehegattensplitting. Auch sollte in Tarifverträgen geregelt werden, dass Erwerbsunterbrechungen zugunsten der Familie nicht zu Karriere-Nachteilen führen dürfen.
4. Auf jedem dritten Chefposten sitzt eine Frau
Die hohe Erwerbstätigkeit und die bessere Qualifizierung spiegelt sich nicht unbedingt in den Chefetagen wider. Auf der ersten Führungsebene, also zum Beispiel Geschäftsführung, beträgt der Frauenanteil in Sachsen derzeit 35 Prozent, auf der zweiten Führungsebene sind es 46 Prozent. Damit gehört Sachsen zur Spitze beim Anteil von Frauen auf der ersten Führungsebene und liegt bei der zweiten Führungsebene auch über dem Durchschnitt. Deutschlandweit stagniert der Chefinnen-Anteil nach einer IAB-Studie seit 2020 bei 28 Prozent.
Das die Lage in Sachsen besser ist, dürfte vor allem am Staatsdienst liegen, denn der ist weiblich. Nach Zahlen aus dem sächsischen Sozialministerium beträgt der Anteil an Frauen mit oberster Leitungsfunktion in sächsischen Ministerium derzeit 50,6 Prozent und der Anteil an Frauen mit leitender Funktion 68,2 Prozent zum Stichtag 30. Juni 2023. Insbesondere das Kultusministerium zieht mit der hohen Frauenquote im Schulbereich das Ruder herum.
Im öffentlichen Dienst im Freistaat Sachsen einschließlich der Kommunen saß zum Stichtag Ende Juni 2024 auf jeder zweiten Position mit oberster Leitungsfunktion eine Frau. Auf der Ebene darunter – Beschäftigte mit leitenden Funktionen – liegt der Frauenanteil bei 67 Prozent.
Entsprechend schätzt die Vorstandsvorsitzende der Sächsischen Aufbaubank, Katrin Leonhardt, die Lage so ein: „Mein Eindruck ist: Der Frauenanteil in Sachsen nimmt zu. Die Entwicklung geht in die richtige Richtung, aber sie verläuft in unterschiedlichen Sektoren unterschiedlich schnell und insgesamt zu langsam.“
Es komme darauf an, strukturelle Hürden weiter abzubauen durch gezielte Unterstützung, familienfreundliche Arbeitsmodelle und eine gute Unternehmenskultur. „Der 8. März erinnert uns jedes Jahr daran, aber der Wandel muss an 365 Tagen stattfinden“, fordert Leonhardt.
5. In den Hörsälen in der Überzahl, aber nicht unter den Lehrenden
Ähnlich verhält es sich in deutschen und sächsischen Hochschulen. Im Bereich der Wirtschaft und in mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächern sind Männer und Frauen bei der Anzahl der Studierenden inzwischen bundesweit gleichauf. Auch studieren sogar 4.500 mehr Frauen Informatik als Germanistik.
Doch in der Professorenschaft gibt es nur eine leicht positive Entwicklung hin zu mehr Weiblichkeit. 2019 lag der Anteil hauptberuflicher Professorinnen an deutschen Hochschulen bei 25,6 Prozent, waren es 2023 immerhin 28,8 Prozent. Und da macht Sachsen keine Ausnahme. Auch im Freistaat ist nach vorliegenden Statistiken nur jede dritte Professorenstelle mit einer Frau besetzt (28,8 Prozent) – und das bei 52, 8 Prozent weiblichen Hochschulabsolventen und 46,3 Prozent weiblichen Promovierenden.
6. Sachsen noch kein Gründerinnenland
Nach Einschätzung von Futuresax, der Innovationsplattform des Freistaats, führt der geringe Frauenanteil bei den Professorenstellen zu einer niedrigeren Wahrscheinlichkeit akademischer Gründungen durch Frauen.
Bei den 72 Bewerbungen für den Sächsischen Gründerpreis 2024 kamen 39 von gemischten Teams mit mindestens einem weiblichen Mitglied. Ein reines weibliches Gründungsteam gab es offenbar gar nicht. 15 von 37 Finanzierungsrunden gingen im vergangenen Jahr an Start-ups mit weiblichen Führungspersonen.
Und auch beim Innostartbonus, der Gründungsförderung für innovative Geschäftsideen, kommen Frauen weniger zum Zug. Seit 2019 wurden insgesamt 3,9 Millionen Euro Fördergeld bewilligt, rund 20 Prozent erhielten weibliche Teams und Einzelpersonen.
Bei männlichen Kapitalgebern haben Gründerinnen das Nachsehen
Fehlendes Vertrauen in weibliche Gründungsteams und Stereotype sind laut Futuresax die Ursache dafür, dass Frauen bei überwiegend männlichen Kapitalgebern das Nachsehen haben. Weibliche Business Angels, also Geldgeberinnen in der ersten Gründungsphase, könnten helfen, den Blick auf von Frauen geführte Start-ups zu stärken. Auch sei die Sorgearbeit neben mangelnden Betreuungsplätzen ein Grund dafür, dass das Gründungsgeschehen in Sachsen weiterhin männlich dominiert bleibt, heißt es bei Futuresax.
Fazit: Es gibt leichte Verbesserungen, aber auch einige Rückschritte. So bleibt der Weltfrauentag wohl auch künftig der Tag, an dem wir uns jährlich die Ungleichheiten zwischen Männern und Frauen vor Augen führen werden – auch in Sachsen.
SZ