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Sachsens Unternehmen ignorieren die Hannover-Messe

Auf der Welt-Industrieschau stellen nur noch wenige Firmen aus dem Freistaat aus. Kein Gemeinschaftsstand, kein Ministerbesuch. Aber warum?

Lesedauer: 3 Minuten

Man sieht die Hannover Messer mit einem großen Plakat "The place to be for Tech to come"
Knapp 4.000 Aussteller aus 60 Ländern präsentieren auf der Hannover-Messe bis zum Freitag ihre Innovationen. Sachsens Unternehmen glänzen auf der größten Industrieschau der Welt hingegen mit Abwesenheit. Das war vor einigen Jahren anders. © dpa

Von Michael Rothe

Stellt Euch vor, es ist Hannover-Messe, und kaum einer geht hin. So stellt sich in diesem Jahr die größte Industrieschau der Welt für sächsische Unternehmen dar. Im Ausstellerverzeichnis nach Bundesland gibt es ganze 37 Treffer, darunter zehn Fraunhofer Institute. Zum Vergleich: In den 1990er-Jahren wurde an weit über 200 Ständen gesächselt. Auch später noch stellte der Freistaat als Ostprimus mehr Teilnehmer als Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Thüringen zusammen.

Seit zehn Jahren gehen die Zahlen permanent zurück – bis zum jetzt erreichten Tiefpunkt. Dabei hatten die Veranstalter von der Deutschen Messe AG in diesem Jahr „Signale des Aufbruchs“ angekündigt.

Künstliche Intelligenz, Wasserstoff und klimaschonende Produktion sind seit Montag und bis zum kommenden Freitag die großen Themen auf dieser Weltleitmesse. „Unsere Aussteller werden zeigen, dass eine wettbewerbsfähige und nachhaltige Industrie auch in Europa möglich ist“, sagt Jochen Köckler, Vorstandschef vom Veranstalter Deutsche Messe AG.

Innovationskraft der Messe so, hoch wie selten zuvor

Auf der Messe sind konkrete Anwendungen zu sehen: Roboter, die sich per Sprache steuern lassen, Maschinen, die Fehler automatisch erkennen und Systeme, die durch vorausschauende Wartung Ausfallzeiten reduzieren. Die Innovationskraft der Unternehmen auf der Messe sei „so hoch, wie selten zuvor“, heißt es von den Organisatoren. Ebenso wie die Präsenz der internationalen Politik. Mehr als 300 Delegation aus aller Welt werden erwartet.

Zur Eröffnungsfeier am Sonntagabend hatten sich Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Jonas Gahr Støre, Ministerpräsident von Partnerland Norwegen, angesagt. Bei Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) steht die Messe am Montag und Dienstag im Terminkalender.

Auch für Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) gab’s jedes Jahr im April den Pflichttermin mit Rundgang. Er lud vor Ort regelmäßig zum „Sachsenabend“ und nannte die Schau „eine hervorragende Plattform, auf der sich über den eigenen Tellerrand blicken und erkennen lässt, wo Sachsen im Vergleich mit anderen Regionen und Ländern steht“. Sein Haus hatte zeitweise sogar Mitfahrgelegenheiten für Journalisten und Interessierte organisiert. Und nun? Kein Ministerbesuch, kein Gemeinschaftsstand. Einzig Wirtschaftsstaatssekretär Thomas Kralinski (SPD) soll am Mittwoch mal vorbeischauen – ganz ohne Bohei.

Sachsen sind lieber Tagesbesucher als Aussteller

Was ist der Grund für das Desinteresse? Hohe Kosten für Messestand und Hotel? Schrumpfende Marketingetats? Fehlende Effizienz? Wachsende Konkurrenz durch Regionalschauen wie Leipzigs Messetrio „Intec, Z, Grindtec“, wo 2023 beim Comeback nach Corona immerhin 821 Aussteller aus 29 Ländern gezählt wurden?

Den regelmäßig von der Industrie- und Handelskammer (IHK) Chemnitz organisierten Landesauftritt hatte es schon 2023 nicht mehr gegeben. Martin Witschaß, Geschäftsführer Standortpolitik, begründet das auf Anfrage mit fehlender Resonanz. „In herausfordernden Zeiten haben die Betriebe andere Sorgen“, sagt er. Neben Geld für teure Messestände und Übernachtungen fehle Personal, um eine Woche vor Ort zu sein – bei kaum messbaren Erfolgen. Entscheider kämen stattdessen als Tagesbesucher mit weit weniger Aufwand. Und die Firmen gingen lieber auf Spezialmessen.

Und doch gibt es einen sächsischen Dauerbrenner auf der Hannover-Messe: Futuresax. Für die Innovationsplattform des Freistaats ist die Teilnahme „alternativlos“, wie Geschäftsführer Steffen Beer sagt. Zwar habe sich die Zahl der Start-ups auch am Gemeinschaftsstand des Netzwerks fast halbiert – aber sieben der acht vorgesehenen Plätze seien belegt. „Es wird für die Messen nicht einfacher, sie müssen ihr Geschäft neu erfinden“, so Beer gegenüber Saechsische.de. Vor der Pandemie waren noch 6.000 Unternehmen, Institute und Start-ups aus aller Welt nach Hannover gekommen. Diesmal sind es 4.000 aus 60 Ländern – aufgerundet.

Futuresax hält mit sieben Start-ups weiter zur Stange

Sachsen-Anhalt bewertet die Messe anders als Sachsen und ist neben Einzelausstellern auch mit einer Landespräsentation und einem Gemeinschaftsstand der Hochschulen dabei. Das Nachbarland werde auf der Messe „nicht zuletzt durch die jüngsten Ansiedlungserfolge große Aufmerksamkeit erhalten“, ist Wirtschaftsstaatssekretärin Stefanie Pötzsch (CDU) überzeugt.

Am Landesstand unter dem Motto „Where Industry and Talents Shape the Future“ seien Trends wie Energie 4.0, künstliche Intelligenz und Lösungen für das Fachkräfteproblem zu sehen. Premiere habe die Landesbeteiligung an der Nachwuchs- und Fachkräfteinitiative der Messe „Your Future“. Dort böten sich Jugendlichen und jungen Erwachsenen einmalige Gelegenheiten, die Industrie kennenzulernen und Kontakt zu potenziellen Arbeitgebern zu knüpfen.

Die größte Leistungsschau der Industrie sei „eine gute Adresse auch für kleine und mittlere Unternehmen, Einblicke zu geben, wie junge Talente die Zukunft der Industrie mitgestalten können und welche Karrieremöglichkeiten sich konkret bei Unternehmen in Sachsen-Anhalt bieten“, sagt Robert Franke, seit 2023 Chef der landeseigenen Investitions- und Marketinggesellschaft in Magdeburg. Er war sinnigerweise zuvor Wirtschaftsförderer in Sachsen: als ein solcher Amtsleiter Dresden.

Von der Fischbrötchen-Schau zur Weltmesse der Industrie

  • Zum Auftakt 1947 galt die Hannover Messe als „Fischbrötchen-Messe“.
  • 1.300 deutsche Aussteller hielten 736.000 Besucher 21 Tage mit belegten Semmeln bei Laune – Devise: Sattessen ohne Lebensmittelmarken.
  • Es wurde gezeigt, was es nach dem Krieg „Made in Germany“ gab: den kleinsten Dieselmotor, den VW-Käfer, klappbare Kinderwagen, Zahnprothesen, …
  • Heute prägen automatisierte Produktionsanlagen und Hightech-Innovationen das Bild der Weltleitmesse.
  • Immer wieder wurden Einzelevents herausgelöst – wie die 2018 eingestellte Computerschau Cebit.
  • Seit Jahren stagnieren Besucher- und Ausstellerzahlen oder gehen zurück.
  • 2016 eröffnete der damalige US-Präsident Barack Obama mit Kanzlerin Angela Merkel die Schau.
  • Wegen der Corona-Pandemie musste die Messe 2020 erstmals abgesagt, dafür gab’s „Digital Days“.
  • 2021 war die Schau ein rein digitales Event. Im Jahr darauf glückt der physische Neustart mit vier Messetagen. (SZ/mr)

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