Von Georg Moeritz
Dresden. Eine einzige kalte Nacht im April hat einen Millionenschaden bei Sachsens Obstbauern angerichtet: Bis zu 70 Millionen Euro Verlust durch Frostschäden erwartet nun Jörg Geithel, Vorsitzender des Obstbauverbandes Sachsen und Sachsen-Anhalt. In der Nacht auf den 23. April waren Obstblüten und Weinreben geschädigt worden, die im warmen Frühling zuvor weit vorangekommen waren. Nun steht die Ernte an, aber sächsische Äpfel werden in diesem Herbst knapp.
Das Statistische Bundesamt in Wiesbaden legte am Donnerstag neue Ernteschätzungen vor: Sachsen ist demnach zwar weiterhin das drittgrößte Apfel-Anbaugebiet in Deutschland mit 2.300 Hektar. Doch weil dort „eine extrem niedrige Ernte“ erwartet werde, kämen in diesem Jahr voraussichtlich drei Viertel aller deutschen Äpfel aus Baden-Württemberg und Niedersachsen. Dort gab es nicht die starken Frostschäden wie in Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt.
Für Deutschland insgesamt werde die niedrigste Apfelernte seit 2017 erwartet, teilten die Statistiker mit. Voraussichtlich würden in diesem Jahr gut ein Viertel weniger Äpfel gepflückt als im Durchschnitt der letzten zehn Jahre. In den südöstlichen Bundesländern sei mit bis zu 90 Prozent Ausfall zu rechnen. Sächsische Winzer verzichten in diesem Jahr auf Federweißen, manche sprechen von Totalverlust. Der Weinbauverband rechnet damit, dass nur 20 bis 30 Prozent einer normalen Ernte in die Keller kommen.
Sachsens Landesregierung hilft mit 22 Millionen Euro
Sachsens Landwirtschaftsministerium in Dresden hat noch keine eigenen Schätzungen für die bevorstehende Ernte. Doch ein Sprecher erinnert daran, dass die Landesregierung im Juni 22 Millionen Euro Hilfsgeld für die Obstbauern und Winzer freigegeben hat. Die Antragstellung bei der Sächsischen Aufbaubank solle „ab Ende September ermöglicht werden“. Außerdem habe der Bund einen Antrag auf finanzielle Soforthilfe bei der EU-Kommission gestellt. In Sachsen-Anhalt gibt es nach MDR-Informationen fünf Millionen Euro Hilfsgeld, in Thüringen zwei Millionen.
Der Obstbauverband Sachsen & Sachsen-Anhalt e. V. hatte bereits im Juni mitgeteilt, mindestens 27 Millionen Euro seien in Sachsen nötig, um die Betriebe zu erhalten und die Pflegearbeiten bis zur nächsten Ernte zu finanzieren. Das Hilfsgeld reiche „hinten und vorne nicht“, weil die Betriebe schon in den Vorjahren keine Rücklagen bilden konnten. Allerdings könne in diesem Jahr etwas an den Ausgaben für Lagerung und für Erntehelfer gespart werden.
Apfelsaft ein Drittel teurer als vor vier Jahren
Sachsens Landwirtschaftsminister Wolfram Günther (Grüne) hatte im Juni gesagt, das sächsische Hilfsprogramm sei eine große politische Kraftanstrengung. Der Finanzminister habe zum Sparen aufgefordert. Bis zu zehn Millionen Euro könnten vorübergehend und einmalig aus dem Klimafonds entnommen werden, müssten aber nächstes Jahr dorthin zurückfließen. Das Geld werde in Sachsen dann für Aufgaben des Wassermanagements benötigt.
Sachsens Obstbauern werden ihre spärlichen Äpfel voraussichtlich bevorzugt in eigenen Hofläden und auf Märkten anbieten, wo sie höhere Gewinnspannen als mit Supermärkten erzielen. Die Kelterei Sachsenobst wird voraussichtlich auch Obst von außerhalb Sachsens kaufen. Marktexperten, Fruchtsaft-Industrie und Obstverarbeiter wie Konfitüre-Hersteller rechnen mit steigenden Preisen, sofern sie im Handel durchzusetzen sind.
Apfelsaft ist nach Angaben des Statistischen Bundesamtes derzeit ein Drittel teurer als im Jahr 2020, Orangensaft legte um 57 Prozent zu. Auch anderswo fielen Ernten schwach aus: In Polen, dem wichtigsten Lieferland für Erdbeeren, wurde laut Bundesverband der obst-, gemüse- und kartoffelverarbeitenden Industrie nur die Hälfte der sonst üblichen Menge geerntet. (mit dpa)